SPD und Unionsparteien zoffen sich wegen Beiträgen zur Krankenversicherung
Was steht eigentlich genau im Koalitionsvertrag drin? Da sind sich die Koalitionäre scheinbar selbst nicht so sicher. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte am Freitag, die Union habe in Aussicht gestellt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder zu gleichen Teilen an den steigenden Gesundheitskosten im Kassensystem zu beteiligen. Die Unionsparteien reagierten irritiert.
Es war ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD: Die Wiederherstellung der Beitragsparität bei der Finanzierung der Krankenkassen. Hatte die Vorgängerregierung noch beschlossen, dass alle zukünftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem allein von den Versicherten getragen werden, so sollten sich nun Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder zu gleichen Teilen an den Kassenbeiträgen beteiligen. Vom derzeitigen Beitragssatz von 15,5 Prozent vom Brutto übernehmen die Arbeitgeber lediglich 7,3 Punkte, die Arbeitnehmer zahlen 8,2 Punkte: Eine Ungerechtigkeit in den Augen der Sozialdemokraten.
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Nun sorgt das Thema Kassenbeiträge für eine erste Verstimmung unter den Koalitionären, noch bevor eine schwarz-rote Regierung überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat. Am Freitag verkündete der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, die große Koalition will die steigenden Kosten im Gesundheitssystem langfristig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlen lassen. "Eine solche Regelung ist in einer Protokollnotiz des Koalitionsvertrages festgehalten", erklärte Lauterbach laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vor Pressevertretern.
Kassenpatienten drohen Mehrbelastungen trotz Abschaffung der Zusatzbeiträge
Im offiziellen Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht freilich etwas anderes. Zwar wurden die Zusatzbeiträge für Kassenpatienten abgeschafft, was in nahezu allen Zeitungen als Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit beklatscht wird. Dass dies nicht automatisch eine geringere Belastung der Versicherten bedeutet, zeigt sich aber an den neuen Plänen von Schwarz-Rot. Fehlt einer Krankenkasse künftig Geld, kann sie einfach den prozentualen Beitragssatz anheben. Sie würde etwa statt 15,5 Prozent 16,5 Prozent fordern. Diese Steigerung muss dann aber alleine von den Arbeitnehmern bezahlt werden.
Das kann für die Versicherten richtig teuer werden, sollten erst einmal die angesparten Überschüsse in der GKV aufgebraucht sein. Derzeit profitieren die Krankenkassen noch von der stabilen Lage am Arbeitsmarkt. Doch ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen könnte schon bald wieder ein Milliardenloch ins Budget der Kassen reißen. CDU-Verhandlungsführer Jens Spahn erwartet für das Jahr 2017 bereits ein Defizit von zehn Milliarden Euro im Gesundheitssystem.
Umso mehr bemüht sich nun Karl Lauterbach, etwaige Zweifel an der Sozialverträglichkeit der neuen Regelung auszuräumen. "Es ist der Eindruck entstanden, dass die Arbeitnehmer die künftigen Kostensteigerungen alleine tragen müssen", sagte er der SZ. "Das ist nicht richtig." Stattdessen hätten Union und SPD vereinbart, die Deckelung der Arbeitgeberbeiträge wieder abzuschaffen. Dieser werde voraussichtlich aber nicht mehr in dieser Legislaturperiode zum Tragen kommen, sondern erst in der nächsten. "Langfristig sind die Arbeitgeber nicht vom Kostenanstieg ausgenommen."
Union spielt Vereinbarung herunter
CDU und CSU zeigten sich überrascht vom Vorstoß Karl Lauterbachs. Zwar wollten die Unionsparteien die interne Absprache nicht bestreiten, aber ihre Bedeutung herunterspielen. Entscheidend sei, was im Koalitionsvertrag stehe, hieß es. Alles andere habe für die nächsten vier Jahre „keinerlei Relevanz“. Inhaltlich liege die Notiz „in der Nähe des Belanglosen“, sagte Johannes Singhammer (CSU) dem Berliner Tagesspiegel.
Bei der "Opposition in spe" hingegen sorgen die Streitigkeiten noch vor der eigentlichen Regierungsbildung für Spott. "Offenbar haben Karl Lauterbach und Jens Spahn in Teilen jeweils unterschiedliche Koalitionsverträge ausgehandelt", twitterte der Grünen-Politiker Jörg Sauskat.
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Doch auch das vorgeschlagene Modell von Karl Lauterbach sieht eine höhere Beteiligung für die Arbeitnehmer vor. Nach den Worten des SPD-Politikers kommt nach 2018 ein Modell in Frage, wonach die Gesundheitskosten langfristig zu etwa 80 Prozent paritätisch getragen werden und die übrigen 20 Prozent von Steuerzahlern und Arbeitnehmern. Steigen Steueranteil und Solo-Beitrag der Arbeitnehmer über 20 Prozent, soll der allgemeine Beitragssatz ebenfalls steigen, um das Verhältnis wieder herzustellen. "Grob überschlagen, gehe ich davon aus, dass der paritätische Beitragssatz ab 2018 wieder steigt", sagte der SPD-Politiker.