Nein, wie ungerecht! Da war die private Krankenversicherung eine der letzten Bastionen, in denen der Mann als soziales und biologisches Wesen seine evolutionär errungenen “Vorteile” gegen das weibliche Geschlecht verteidigen konnte. Nicht nur zahlte er weniger Mitgliedsbeitrag als die Frau - mitunter nur halb soviel - , nein, er konnte zusätzlich den Damen der Schöpfung per Statistik vorhalten, dass sich Weiblichkeit in höheren Krankheitskosten niederschlägt. So hatte beispielsweise ein 30jähriger Mann für den "AXA-Tarif VITAL-N" monatlich 270,80 Euro zu berappen, während eine Frau mit 356,92 Euro Monatsbeitrag weitaus tiefer in die Tasche greifen musste. Bei anderen Versicherungsanbietern sah es nicht viel anders aus. Die private Krankenversicherung – it was a mans, mans world!

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Doch nun hat Justitia beschlossen, die Herren der Schöpfung auch auf dem Gebiet der Privatversicherung mit ihrem unbarmherzigen Schwert zu entmannen.
Soeben entschied der Europäische Gerichtshof per Urteilsspruch, dass das Geschlecht nicht mehr als Risikofaktor für die Berechnung der Mitgliedsbeiträge herangezogen werden dürfe.
Und schon ist der Aufschrei in den männlich besetzten Vorstandsetagen der Versicherungsunternehmen groß. Jörg von Fürstenwerth, Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des GDV, sieht sogar ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft gefährdet – das „Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung.“ Wie das gemeint sein könnte, lässt durchaus Interpretationsraum: Galt es bisher etwa als besondere Leistung, ein Mann zu sein?

Dabei waren männliche Vorteilsrechte in der privaten Krankenversicherung zuvor schon an einer zentralen Stelle beschnitten worden, hinsichtlich eines Tatbestandes, den man in Fachkreisen “fortpflanzungsrelevantes Verhalten” nennt. Denn spätestens seit dem Jahr 2006, der Mensch war soeben erst von den Bäumen gestiegen und das “Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz” eingeführt, ist es nicht mehr rechtens, den Frauen alleine die Risikokosten für Schwangerschaft und Geburt aufzubürden. Versicherer müssen seither die Ausgaben auf Männer und Frauen verteilen. Vorangegangen war eine überraschende biologische Erkenntnis: zu einer Schwangerschaft gehören immer zwei! Meistens eine Frau. Und mindestens ein Mann. So wurde der Herr der Schöpfung per Verursacherprinzip in Haftung genommen. Justitia und ihr Schwert: Für Männer eine schmerzhafte Erfahrung.

Paradox: Frauen leben gesünder. Und kosten die Krankenkasse mehr Geld.

Schon ist die Zahl der männlichen Mahner groß, die sich nun benachteiligt fühlen. Die Ungerechtigkeit beginnt bereits damit, dass Frauen statistisch älter werden. Denn laut PKV-Sterbetafel betrug die Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen im Jahr 2009 durchschnittlich 83,64 Jahre, die der Mädchen hingegen 87,14 Jahre.

Alt werden, das weiß der ordinäre Mann, ist jedoch mit einem gewissen Risiko verbunden. Nicht nur für Schauspielerinnen, die ab einem Lebensalter von vierzig Jahren trotz Botox keine Rollen mehr in Hollywood angeboten bekommen. Im Alter ist die Wahrscheinlichkeit auch besonders hoch, krank oder sogar ein Pflegefall zu werden. So fielen im Jahr 2006 für die Bevölkerungsgruppe der über 65jährigen, die rund 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen, 43 Prozent der gesamten Gesundheitskosten an. Und fast zwei Drittel aller pflegebedürftigen Personen sind weiblichen Geschlechts.

Findige Feministinnen könnten gegen dieses Kostenargument nun einwenden, dass es auch zu zwei Dritteln Frauen sind, die ihre kranken und pflegebedürftigen Angehörigen in häuslicher Pflege betreuen, bei unangemessener Entlohnung. Die Entbehrungen, die damit verbunden sind! Die Einbußen bei Job und Karriere! Und wieviel Geld würde es den Krankenkassen kosten, wenn sich diese Frauen ihre Arbeit plötzlich vollwertig bezahlen lassen würden? Wenn sie in einen Pflegestreik treten und sagen: “Pflege nur noch gegen Cash & Money?” Aber, liebe Feministinnen: Ist es denn rechtens, hinsichtlich einer individuellen Risikofürsorge in der privaten Krankenversicherung volkswirtschaftlich zu argumentieren?

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Wie man es dreht und wendet, es hilft alles nichts: Männer müssen sich auf die neue Ungleichbehandlung per Gleichbehandlung einstellen.
Und doch bietet sich bereits hier eine erste Chance, es den Frauen mit gleichen Mitteln heimzuzahlen. Denn Frauen gehen nicht nur öfter zum Arzt, sie nehmen auch häufiger Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch.
Die Folge: Gefährliche Krankheiten werden zeitiger erkannt, was sich in einer höheren Lebenserwartung niederschlägt. Dem entgegen sterben gerade Männer vielfach an Erkrankungen, die durch regelmäßige Früherkennungsmaßnahmen einzudämmen wären.
Also, liebe Herren, tun Sie es den Damen gleich! Gehen Sie häufiger zum Arzt! Gewöhnen Sie sich das Rauchen ab! Werden Sie älter! Treiben Sie so die Kosten für die männlichen Versicherungsnehmer Ihrer privaten Krankenkasse in die Höhe! Es ist ein erster Schritt auf dem Weg zur wiedererrungenen Gleichberechtigung.


Mirko Wenig