In der hektischen Welt des Versicherungsvertriebs sind Zahlen, Quoten und Verkaufsziele allgegenwärtig. Doch abseits der harten Fakten und der beeindruckenden Verkaufsstrategien gibt es eine weniger sichtbare und ebenso kritische Dimension: die psychische Gesundheit derjenigen, die in dieser Branche arbeiten. Versicherungsvermittler setzen sich aufgrund ihrer beruflichen Herausforderungen oft einem Arbeitsmarathon aus und versuchen rund um die Uhr, für ihre Kunden da zu sein – und dies neben ihren Weiterbildungspflichten, der wachsenden Digitalisierung und der deutschen Bürokratie. Auf der einen Seite greifen sie nach hohen Provisionen, auf der anderen finden sich Existenzängste, beispielsweise wenn Kunden während der Stornohaftungszeit kündigen. Oft hätten sie sehr viel gearbeitet, jedoch keinen Ertrag; und das Tag für Tag, erwähnt bereits T. Schmitt 2012 im Handelsblatt.

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Versicherungsvermittler stehen unter erheblichem Druck. Die ständige Notwendigkeit, neue Kunden zu akquirieren, Ziele zu erreichen und der hohe Wettbewerbsdruck können zu einem belastenden Arbeitsumfeld führen. Die ständige Jagd nach Erfolg und Anerkennung lässt oft wenig Raum für Erholung und Selbstreflexion. Erschwert wird dies durch den gestiegenen Leistungsdruck der Gesellschaft und die Erwartungshaltung der jüngeren Generation, in den sozialen Medien vertreten zu sein. Das Durchschnittsalter von Versicherungsvermittlern liegt bei 54 Jahren – und viele sind nicht geprägt von digitaler Affinität. Gleichzeitig gibt es ein Nachwuchsproblem, wie das Versicherungsbarometer des Bundesverbands Finanzdienstleistung AfW zeigt.

Der Mix aus Angst vor Misserfolg und dem gesellschaftlichen Perfektionsdruck führt nicht dazu, dass Menschen erfolgreich und glücklich sind, sondern verstärkt die Versagensangst, bestätigt die Psychotherapeutin Gisela Scherer der Tageszeitung Welt im Jahr 2017. Daniela König führte im Jahr 2020 eine Studie durch und befragte 339 Versicherungsvermittler zum Thema Arbeitssucht. Die Forschungsfrage, ob ein Zusammenhang zwischen Furcht vor Misserfolg und Arbeitssucht besteht, wird durch die Untersuchung bejaht. Erfolgsorientierung hatte im Gegenzug keine nennenswerten Auswirkungen auf die Gefahr, arbeitssüchtig zu werden.

Die Folgen vernachlässigter psychischer Gesundheit

Wird die psychische Gesundheit vernachlässigt, kann dies schwerwiegende Folgen haben. Herzkreislauferkrankungen, Burnout, Depressionen und Angstzustände sind nur einige der Erkrankungen, die durch chronischen Stress und Überlastung ausgelöst werden können. Japan hat sogar ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung: „Karoshi“ – die Todesursache ist meist ein durch Stress ausgelöster Herzinfarkt oder Schlaganfall, wie die Welt 2017 über den Tod einer Japanerin nach 159 Überstunden in einem Monat berichtete. Ein ungesundes Arbeitsumfeld kann zu höherer Fluktuation und geringerer Produktivität führen – ein Teufelskreis, der sowohl die Mitarbeitenden als auch Unternehmen belastet. Gesundheitliche Spätfolgen, die einerseits die Lebensweise der Betroffenen stark beeinflussen und auf der anderen Seite für horrende Kosten im Gesundheitssystem sorgen, sollten einen Anreiz dazu geben, diesem Thema eine höhere Aufmerksamkeit zu schenken.

Prävention und Unterstützung

Es ist deshalb unerlässlich, dass Versicherungsunternehmen die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen und proaktive Maßnahmen ergreifen. Mögliche Ansätze sind:

  1. Schaffen eines unterstützenden Arbeitsumfelds: Offene Kommunikation und ein unterstützendes Teamklima können dazu beitragen, den Stress zu mildern und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu fördern.
  2. Regelmäßige Schulungen und Workshops: Durch Schulungen zu Stressbewältigung, Zeitmanagement und Achtsamkeit können Mitarbeitende Werkzeuge an die Hand bekommen, um besser mit den Anforderungen ihres Jobs umzugehen.
  3. Angebot von psychologischer Unterstützung: Der Zugang zu professioneller Hilfe, wie etwa durch betriebliche Gesundheitsprogramme oder externe Psychologen, kann eine wertvolle Ressource sein.
  4. Flexibilität und Work-Life-Balance: Flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Optionen können den Druck verringern und helfen, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden.
  5. Anerkennung und Wertschätzung: Regelmäßige Anerkennung und Wertschätzung der geleisteten Arbeit können das Selbstwertgefühl stärken und die Motivation erhöhen.
  6. Veränderung des Gehaltsmodells: Durch ein geregeltes, ausreichendes Einkommen wird der Sicherheitsfaktor für Mitarbeitende erhöht und gleichzeitig die Motivation gesteigert.

Die Rolle der Führungskräfte

Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung der psychischen Gesundheit. Durch ein offenes Ohr und Empathie können sie ein Umfeld schaffen, in dem sich Mitarbeitende sicher fühlen, ihre Sorgen zu teilen. Zudem sollten sie selbst als Vorbilder fungieren, indem sie gesunde Arbeitsgewohnheiten und den offenen Umgang mit psychischen Gesundheitsthemen vorleben.

Zusammenfassend ist die psychische Gesundheit im Versicherungsvertrieb ein Thema, das nicht länger ignoriert werden darf. Nur durch ein umfassendes Verständnis und gezielte Maßnahmen können Versicherungsunternehmen sicherstellen, dass Mitarbeitende nicht nur erfolgreich, sondern auch gesund und zufrieden sind. Letztlich sind es die Menschen hinter den Verkaufszahlen, die den wahren Wert eines Unternehmens ausmachen.

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Hintergrund: Der Text ist zuerst in der Ausgabe 02/2024 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen – in der Sonderausgabe „Versicherungsbotin“. Das Magazin kann hier kostenfrei abonniert werden.