Geht der Sparzwang bei den Krankenkassen zu Lasten der Patienten? Die Gutachter des Medizinischen Dienstes hätten 2012 in hunderttausenden Fällen Leistungen wie Krankengeld und Reha abgelehnt und Krankschreibungen wieder aufgehoben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Fatal seien die Folgen vor allem für psychisch Kranke.
Die gesetzlichen Krankenkassen können aktuell nicht klagen: Sie haben in den letzten Jahren Milliardenüberschüsse angespart. Trotzdem sehen sich die Anbieter einem verstärkten Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Um junge Gutverdiener mit Zusatzleistungen wie Prämienrückzahlungen oder Homöopathie zu ködern, fahren viele Kassen einen harten Sparkurs. Doch geht dies zu Lasten der kranken Versicherten?
Fakt ist: Im Jahr 2012 haben hunderttausende Patienten negative Bescheide zu Leistungen wie Krankengeld, Reha oder Hilfsmitteln bekommen. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa und beruft sich dabei auf Daten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Oftmals entscheiden die Gutachter dabei nach Aktenlage. Sie fällen ein Urteil über den Gesundheitszustand des Erkrankten, ohne ihn jemals zu Gesicht bekommen zu haben, kritisieren Patientenvertreter.
Rekord bei negativen Gutachten zu Arbeitsunfähigkeit und Hilfsmitteln
Die Krankenkassen sind bei bestimmten Leistungen dazu verpflichtet, ein Gutachten des MDK einzuholen, etwa bei längerer Arbeitsunfähigkeit oder häuslicher Krankenpflege von mehr als vier Wochen. In Zweifelsfällen können die Versicherer auch Gutachten beauftragen, zum Beispiel wenn ein Betrugsverdacht im Raum steht. Dabei hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen einige Macht. Er kann mit seinen Einschätzungen frühere Krankschreibungen von Fachärzten aufheben und die Zahlung eines Krankengeldes verweigern.
Die fragwürdige Tendenz: Im Jahr 2012 fielen die MDK-Gutachten häufiger als je zuvor zum Nachteil der Patienten aus. In rund 1,5 Millionen Fällen hätten die Kassen Gutachten zu ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit in Auftrag gegeben, berichtet die dpa. In 16 Prozent der Fälle urteilte der MDK, dass die Krankgeschriebenen wieder arbeiten gehen könnten.
Bei anderen Leistungen sind die Zahlen ähnlich drastisch. Von 700.000 Prüfungen zu Reha-Leistungen lehnten die MDK-Ärzte fast 39 Prozent ab, weil die medizinischen Leistungen nicht erfüllt seien. Auch für Hilfsmittel wie Hörgeräte wurden fast 500.000 Gutachten geschrieben – negative Urteile gab es bei 37 Prozent.
Patientenvertreter raten zu Widerspruch
Ob die Gutachten immer zum Wohle des Patienten erfolgen, daran haben Kritiker allerdings Zweifel. Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Kassen der Gutachten auch bedienen, um chronisch kranken Patienten Leistungen zu verweigern – schließlich wird der MDK zu 50 Prozent von den Krankenkassen finanziert. Entsprechende Vorwürfe hatte im Juni 2013 das ARD-Magazin Report München erhoben.
Die Betroffenen sollten sich „auf keinen Fall damit zufrieden geben, wenn der MDK ein Hörgerät über den Festbetrag ablehnt oder eine Reha-Leistung“, sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VDK, Ulrike Maschner. Gerade bei psychisch Kranken sei die Entscheidung nach Aktenlage fatal. Man könne Widerspruch einlegen und ein zweites Gutachten einfordern.
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) hatte bereits in ihrem Jahresbericht im Sommer auf die Vielzahl der Ablehnungen hingewiesen. Vieler Berater hätten den Eindruck, dass es im Gegensatz zu früher vermehrt Fälle gebe, in denen die Kassen den Versicherten Krankengeld oder andere Leistungen nicht gewähren wollten. Grund sei bloßer Kostendruck. Zahlen darüber, bei wie vielen Menschen eine Krankschreibung nachträglich aufgehoben wird, liegen laut GKV-Verband nicht vor.
Der UPD berichtet sogar von regelrechter Schikane gegenüber psychisch Kranken. Es komme vor, dass Krankenkassen die Betroffenen zuhause anrufen, um sie wieder zum Arbeiten zu überreden – nicht nur einmal, sondern ständig. Viele Patienten würden diesem Druck nicht standhalten, so dass sich ihre Symptome verschlimmern. Doch die ständigen Telefonate müssen Patienten nicht dulden. Versicherte könnten sich aber Anrufe von Sachbearbeitern einer Krankenkasse verbitten und eine schriftliche Mitteilung verlangen, berichtet Dörte Elß von der Verbraucherzentrale Berlin.
MDK weist Vorwürfe zurück
Der MDK sieht freilich keine Hinweise auf ein Fehlentwicklung. Die Zahl der begutachteten Fälle sei seit 2010 bei Arbeitsunfähigkeit, Reha und Hilfsmitteln leicht zurückgegangen, berichtet Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes. Die Gutachten würden sorgfältig erstellt, sagte er. Außerdem habe es einen positiven Effekt, Menschen mit psychischen Leiden wieder in die Arbeitswelt zu integrieren.