Der hohe Druck in den Pflegeberufen fordert seinen Tribut. „Im Bundesdurchschnitt bleiben Kranken- und Altenpfleger sieben Jahre lang in ihrem Beruf. Danach wechseln sie aufgrund der Belastung in einen anderen Job“, berichtete Martin Wieth, Betriebsratsvorsitzender des Seniorenpflegeheims in Zwickau. Immer mehr Pfleger würden den Beruf vorzeitig aufgeben, „weil man es sich einfach nicht mehr leisten kann, körperlich, psychisch und moralisch.“ Er wünscht sich „bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung für einen tollen, aber auch unglaublich anstrengenden Job.“
In den letzten Jahren aber hätten sich die Arbeitsbedingungen eher verschlechtert statt verbessert. Flächentarife seien zugunsten von Haustarifen gekündigt worden, der Zeitdruck gestiegen. Was dies für das Uniklinikum Leipzig bedeutet, verdeutlichte Sebastian Will, Personalratsvorsitzender des Uniklinikums. Seit 1999 seien 500 Pflegestellen abgebaut worden, obwohl die Arbeit deutlich zugenommen habe. Manche Pflegekräfte erhalten nun bis zu 40 Prozent weniger Lohn. Will beklagte einen "Wettbewerb über Lohndumping", der zu Lasten der Angestellten gehe.
Auch das Abrechnungssystem der Krankenkassen wirke kontraproduktiv, da es Kliniken regelrecht bestraft, wenn sie neue Pflegekräfte einstellen. „Jede zusätzliche Pflegekraft ist ein Kostenfaktor, jeder zusätzliche Arzt ein Profitzentrum“, beschrieb SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, Mitglied im Kompetenzteam von Peer Steinbrück, das vorherrschende Denken in vielen Krankenhäusern. Die fragwürdige Tendenz: Je höher die Gewinne seien, desto schlechter würden die Kliniken in der Qualitätsstatistik abschneiden.
Karl Lauterbach: Soziale Arbeit muss aufgewertet werden!
Bei all der Kritik waren sich die Anwesenden aber einig, dass in Deutschland noch immer gute Pflegearbeit geleistet werde. Nicht wegen, sondern trotz der Rahmenbedingungen. Dass eine bessere Pflege auch mehr Geld kosten wird, daraus machen die Sozialdemokraten kein Geheimnis. Den Beitrag zur Pflegeversicherung will die SPD laut Wahlprogramm um 0,5 Prozentpunkte anheben, um hunderttausende Pfleger neu einzustellen. Zudem sollen bundesweite Personalmindeststandards eingeführt werden. Abteilungen, die nicht genügend Pfleger einstellen, müssen dann mit ihrer Schließung rechnen.
Auch die Bezahlung der Pflegeberufe soll nach dem Willen der SPD steigen. „Der körperliche und psychische Verschleiß in diesem Job ist enorm. Soziale Arbeit muss endlich wieder aufgewertet werden!“, sagt Karl Lauterbach. Eine Forderung, der sich auch seine Parteigenossin Angelika Graf anschließt. In der Autobranche würden zum Beispiel deutlich höhere Tariflöhne gezahlt als in Pflegeberufen. „Ich sehe nicht ein, warum derjenige, der mein Auto repariert, mehr verdient als derjenige, der meine Mutter pflegt“, gibt Graf zu bedenken.
Lohnausgleich für die Betreuung zu Hause
Aber Pflege findet nicht nur in Pflegeheimen statt, sondern mehrheitlich zu Hause. Rund 88 Prozent der Pflegenden sind Frauen, die dafür häufig auf Job und Karriere verzichten müssen, um Eltern oder Großeltern zu betreuen. Hier schlägt die SPD ein Pflegegeld vor, dass pflegende Angehörige ähnlich dem Elterngeld zugesprochen bekommen. Eine Leistung, die nicht finanzierbar ist? Auch in den skandinavischen Ländern und in Belgien bekommen pflegende Angehörige Lohnersatzleistungen bis zu 80 Prozent ausgezahlt, berichtet die frühere Stadtkämmerin Dr. Cornelia Heintze. Ihr Plädoyer: "Der demokratische Wandel erfordert mehr Solidarität."
Doch wird die SPD tatsächlich alle Ideen umsetzen, sollte sie am 22. September wider Erwarten in die Regierungsverantwortung kommen? Herbert Weisbrod-Frey, Fachbereichsleiter Gesundheitspolitik im ver.di-Bundesvorstand, meldete da leise Zweifel an. "Ich bin froh, dass die SPD das Thema Pflege ins Wahlprogramm aufgenommen hat. Aber wir wollen auch, dass es in die Koalitionsverhandlungen kommt und dann umgesetzt wird", mahnte der Gewerkschafter.