Nach dem Selbstmord von Pierre Wauthier kommt der Versicherungskonzern Zurich nicht aus den Schlagzeilen. Medien spekulieren nun über die Rolle des Verwaltungsratschefs Josef Ackermann, nachdem dieser seinen Rücktritt mit dem Suizid von Wauthier begründet hat. Trägt er sogar eine Mitschuld?
Wenn Josef Ackermann einen schlechten Zeitpunkt für seinen Rücktritt wählen wollte, dann ist es ihm tatsächlich gelungen, den denkbar schlechtesten aller Zeitpunkte zu wählen. Und dabei hat er noch eine schlechte Figur gemacht. Am Donnerstag hat der einst mächtige Deutsche Bank-Chef seinen sofortigen Rücktritt als Verwaltungsratschef des Schweizer Versicherers Zurich bekannt gegeben. Er begründete diesen Rücktritt mit dem vermeintlichen Freitod von Finanzvorstand Pierre Wauthier.
Seitdem spekulieren die Medien, ob Josef Ackermann vielleicht etwas mit dem Suizid von Wauthier zu tun haben könnte. „Der Rücktritt von Ackermann gibt Rätsel auf“, titelte Welt Online am Donnerstag. Auch der Spiegel und das Handelsblatt widmeten „Ackermanns rätselhaftem Rücktritt“ einen Artikel. Der schlimmste Verdacht: Hat Ackermann möglicherweise sogar eine Mitschuld am Freitod des Topmanagers, weil er starken Druck auf ihn ausübte?
Erhebt die Witwe Wauthiers Vorwürfe gegen Ackermann?
Pierre Wauthier war am Montag in seiner Wohnung tot aufgefunden worden. Es sei von einem Selbstmord auszugehen, teilte die Kantonspolizei Zug mit. Der Franzose, der auch einen britischen Pass besaß, wurde 53 Jahre alt. Warum aber der Finanzvorstand sich das Leben nahm, darüber wurde zunächst nichts bekannt. „Warum schweigt die Zurich CEO?“, fragte das Boulevardblatt Blick in großen Lettern auf seiner Titelseite.
Doch Wauthier war nicht der erste Topmanager, der sich in diesem Jahr das Leben nahm. Einen Monat zuvor hatte sich bereits Carsten Schloter umgebracht, Chef des Medienkonzerns Swisscom. Damals war schnell der Verdacht entstanden, das raue Klima in der Vorstandsetage könnte den Suizid begünstigt haben. Schloter habe über Burnout geklagt, sich einen „Zermürbungskrieg“ mit Verwaltungsratspräsident Hansueli Loosi geliefert, wollte das Unternehmen verlassen. Der Vorwurf wurde laut, dass Schloter in den Tod gemobbt wurde. Die Swisscom dementierte zwar – stets sei die Zusammenarbeit von „gegenseitigem Vertrauen“ geprägt gewesen. Zudem habe Schloter unter der Scheidung von seiner Exfrau gelitten. Aber ein bitterer Nachgeschmack blieb.
Ist auch Pierre Wauthier an den rüden Umgangsformen in den Vorstandsetagen zerbrochen? Hat Josef Ackermann Druck auf ihn ausgeübt? Diesen Verdacht nährt nun ausgerechnet Ackermann selbst mit der Begründung für seinen Rücktritt. Er wolle eine "Rufschädigung zu Lasten von Zurich vermeiden", hatte Ackermann am Donnerstag verkündet. Und ergänzte: „Ich habe Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag". Ein Schweizer Kommunikationsexperte wertet das als Indiz, „dass die Familie Wauthier nicht nur der Zurich etwas vorwirft, sondern Ackermann persönlich.“ (Handelszeitung).
Laut aktuellen Meldungen soll Pierre Wauthier in seinem Abschiedsbrief sogar explizit Josef Ackermann erwähnt haben. Die Zurich will nun den Todesfall ihres Finanzvorstands untersuchen lassen. "Der Verwaltungsrat sieht es als seine Hauptverantwortung an, der Frage nachzugehen, ob unser Finanzchef unter ungerechtfertigtem Druck stand", sagte der amtierende Präsident Tom de Swaan am Freitag in einer Telefonkonferenz mit Analysten.
Mit ruhiger Hand, aber mit Blick auf die Zahlen
Wer die Mutmaßungen über Josef Ackermann verstehen will, muss wissen, dass er als Chef des Verwaltungsrates in der Schweiz mehr Macht hatte als etwa ein Aufsichtsratsvorsitzender in Deutschland. Ackermann konnte direkt Einfluss auf die Unternehmensstrategie der Zurich nehmen. Er habe den Verwaltungsrat „ruhig geführt, aber mit Blick auf die Zahlen“, berichtet Spiegel Online.
Doch die Zahlen des Versicherers sahen zuletzt nicht gut aus. Im ersten Halbjahr 2013 sank der den Aktionären zustehende Reingewinn um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch das Eigenkapital schrumpfte um ein Zehntel. Wie reagiert darauf ein Machtmensch, der zu Deutsche Bank-Zeiten zweistellige Renditeziele ausgerufen hat? Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert einen früheren Kollegen von Wauthier: “Pierre stand unter Druck von oben. Das kam von der Entwicklung des Aktienkurses her. Das war ein offenes Geheimnis.“
Um Ackermanns Rolle zu diskutieren, greifen andere Zeitungen noch weiter zurück. „Bekannt ist, dass Ackermann als Chef der Deutschen Bank (DB) eine hochkompetitive und laut Eingeweihten sogar «eisige» Stimmung im Vorstand schuf“, mutmaßt die Schweizer Handelszeitung. Das damals anvisierte Renditeziel von 25 Prozent aufs Eigenkapital sei inzwischen berüchtigt und fast sprichwörtlich geworden. Es bedeutete damals auch einen enormen Druck auf die Entscheidungsträger in den Spitzenpositionen.
Die heutigen Vorstände der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen und Anshu Jain, hätten ein regelrecht vergiftetes Verhältnis zu ihrem früheren Chef, berichtet die Handelszeitung. Dass beide nun eine andere Unternehmenskultur propagieren, solle auch den Druck von den Angestellten nehmen, die etwa nicht mehr zur Ertragsmaximierung verpflichtet seien. Alles soll ein wenig menschlicher werden bei Deutschlands größtem Geldhaus. Menschlicher, als es zu Zeiten von Ackermanns Regentschaft gewesen ist. Den Zorn vieler Mitarbeiter zog Ackermann 2005 auf sich, als er einen Rekordgewinn und zugleich tausende Entlassungen verkündete.
Auch bei der Zurich sei Ackermann wenig zimperlich mit seinen Mitarbeitern umgegangen, berichtete das Schweizer Blatt „Bilanz“ im März. Unter anderem habe sich Josef Ackermann bei seinem Antritt eine ganze Büroflucht von hochrangigen Mitarbeitern freiräumen lassen, um vom Fenster aus einen freien Blick auf den Zürichsee zu haben. Man könnte dies arrogant und respektlos nennen.
Auch positive Stimmen zu Ackermanns Rücktritt
Aber alle Anschuldigungen gegen Josef Ackermann müssen vorerst spekulativ bleiben. Selbst, wenn er bei der Zurich mit harter Hand agierte und den Druck auf den Finanzchef Wauthier hoch hielt – verhielt er anders als Vorstände in ähnlichen Positionen? Ist ein ruppiger Umgangsstil in der Finanzbranche nicht häufig anzutreffen? Wird er von Entscheidungsträgern nicht geradezu erwartet? Und üben nicht auch die Aktionäre einen großen Druck auf die Vorstandsetagen aus, weil sie eben eine satte Rendite erwarten? Hier wäre es wünschenswert, wenn eine ethische Debatte über Unternehmenskulturen einsetzt, die auch die immense Belastung in den Vorständen einschließt.
So finden sich durchaus auch positive Einschätzungen zu Josef Ackermanns Rücktritt. „Josef Ackermann hat in seiner Karriere regelmässig Verantwortung übernommen“, sagt Roman Geiser, Chef der Zürcher Beratungsfirma Farner Consulting. Er wolle Druck von dem Unternehmen nehmen, ohne dass ihm persönlich ein Fehlverhalten vorgeworfen werden könne. Zurich-Konzernchef Martin Senn betonte, „Wir haben keine Konflikte festgestellt, die zu einem solchen Tod führen könnten und sollten.“
Sogar die Presse spielt mitunter eine unrühmliche Rolle, wenn es gilt, den Druck auf Finanzunternehmen und ihre Vorstände hoch zu halten. Als die Deutsche Bank im ersten Quartal 2013 einen immer noch akzeptablen Vorsteuergewinn von 792 Millionen erzielte, schrieben einvernehmlich alle Zeitungen von „katastrophalen“, „enttäuschenden“ und „schockierenden“ Zahlen. Es sind ebenjene Medien, die übertriebene Rendite-Erwartungen mitverantwortlich für die Finanzkrise machen und eine Zügelung der Finanzmärkte fordern.