Wer an einer Lungenkrankheit leidet, hat kein Anrecht auf ein mobiles Sauerstoffgerät von seiner Krankenkasse, solange er das Rauchen nicht aufgibt und bereits mit einem stationären Gerät versorgt wird. Dies hat das Landgericht Heilbronn mit einem aktuellen Urteil bestätigt.
Hat ein Patient nur dann ein Anrecht auf Leistungen von seiner Krankenkasse, wenn er sich für ein gesundes und bewusstes Leben entscheidet? Diese Frage steht indirekt im Mittelpunkt eines Gerichtsurteils, das nur vor dem Landgericht in Heilbronn entschieden wurde. Und es hatte keinen guten Ausgang für all jene, die auch im Falle einer Krankheit ihren Lastern nicht entsagen wollen.
Griff zur Zigarette trotz Raucherlunge
Geklagt hatte der 66jährige Rentner Walter S., der bereits seit seinem 14. Lebensjahr zu Glimmstängeln greift. In der Vergangenheit konsumierte er zwei Schachteln täglich, wie er selbst vor Gericht aussagte, doch nun habe er seinen Tabakkonsum auf zehn selbstgedrehte Zigaretten am Tag reduziert. Und das tat auch dringend Not: Vor vier Jahren diagnostizierte ein Arzt bei dem Rentner eine sogenannte „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“. Es ist jene Krankheit, die im Volksmund auch als „Raucherlunge“ bezeichnet wird.
Die Krankenkasse KKH finanziert Walter S. wegen seiner Atemnot ein stationäres Sauerstoffgerät, mit dem die zu geringe Konzentration von Sauerstoff im Blut ausgeglichen werden kann. Das Gerät hat aber einen entscheidenden Nachteil: es fesselt den Rentner an seine eigene Wohnung, Spaziergänge und Ausflüge sind damit nicht möglich. Deshalb wollte der Rentner auch ein mobiles Gerät bewilligt haben, welches ihm außerhalb der eigenen vier Wände zu mehr Luft verhelfe.
Den Antrag des Rentners, ihn mit einem auch mobil nutzbaren Flüssigsauerstoffsystem zu versorgen, entsprach die KKH vorläufig für zwei Monate. Nach erfolgter Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen -MDK- lehnte sie eine zeitlich darüber hinausgehende Versorgung ab. “Wer den Sauerstoffgehalt im Blut durch das Rauchen senkt, kann nicht erwarten, dass wir ihm das Anheben durch ein Gerät finanzieren“, argumentierte ein Sprecher der Krankenkasse laut Schwäbischem Tagblatt. Die Ansage ist eindeutig: Ohne kompletten Rauchverzicht kein mobiles Sauerstoffgerät!
Eilantrag auf mobiles Sauerstoffgerät von Sozialgericht abgelehnt
Nach dem negativen Bescheid verklagte der Rentner seine Krankenkasse. Zugleich stellte er einen Eilantrag mit dem Ziel, ihn vorläufig bis zur Entscheidung über seine Klage mit mobil einzusetzendem Flüssigsauerstoff incl. Beatmungsgerät zu versorgen. Dieser aber blieb erfolglos: Das Sozialgericht Heilbronn hat rechtskräftig entschieden, dass es Walter S. zumutbar sei, den Ausgang des derzeit rechtshängigen Klageverfahrens (S 15 KR 4254/13) abzuwarten. Denn der bei ihm vorhandene zu geringe Sauerstoffgehalt im Blut könne mit dem zur Verfügung stehenden Konzentrator ausreichend behandelt werden.
Darüber hinaus betonten die Richter, dass das mobile Sauerstoffgerät für den rauchenden Rentner gar nicht geeignet sei, solange er das Rauchen nicht einstelle. Es bestehe „Explosionsgefahr bei gleichzeitiger Verwendung von Feuer“, wie etwa auch ein 52jähriger Mann aus Filderstadt erfahren musste. Dieser hatte sich trotz Atmungsgerät eine Zigarette angesteckt und damit eine Verpuffung ausgelöst, die schwere Verbrennungen im Gesicht zur Folge hatte.
KKH zuvor negativ in den Schlagzeilen
Sind die Argumente der Krankenkasse im Fall des rauchenden Rentners auch nachvollziehbar, so könnte der ausstehende Urteilsspruch die Debatte über Leistungskürzungen in der GKV neu befeuern. Gerade die KKH hatte in den letzten Monaten mehrfach für Unmut bei ihren Versicherten gesorgt.
Im November 2012 berichtete das ZDF-Magazin Frontal 21, KKH-Angestellte hätten wiederholt alte Menschen und chronisch Kranke angerufen, um sie aus der Krankenkasse zu mobben: diese Versicherten seien schlicht zu teuer geworden. Externe Telefonprotokolle bestätigten die Vorwürfe des öffentlich-rechtlichen Senders. Andere Krankenkassen müssen sich ebenfalls vorwerfen lassen, infolge des vermehrten Wettbewerbsdrucks ihren Patienten Leistungen vorzuenthalten (Versicherungsbote berichtete).
Als Sandra Maischberger im Dezember 2013 diskutierte, ob Krankenkassen ihren Patienten zu Unrecht Leistungen verweigern, musste ebenfalls die KKH als schlechtes Beispiel dienen. Sie hatte sich mit dem 53jährigen Michael Juhnke einen Gast in die Talkshow eingeladen, der infolge seines fortschreitenden Muskelschwunds auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen ist. Die Kasse aber wollte Juhnke den Rollstuhl wegnehmen und durch ein weniger adäquates Modell ersetzen.
Juhnke beschwerte sich daraufhin bei seiner Kasse und erhielt eine unerhörte Antwort. Am Telefon erklärte ihm ein Angestellter, dass die Kaufmännische Krankenkasse für die arbeitende Bevölkerung da sei, zu der er schon lange nicht mehr gehöre. Er solle es doch mal bei einer Allgemeinen Ortskrankenkasse probieren. Zwar entschuldigte sich die Krankenkasse später für den Vorfall. Die Form der Entschuldigung war aber ein stilles Eingeständnis: ein Pressesprecher sagte, da sei ein Mitarbeiter „leider über das Ziel hinausgeschossen“.
Zudem erlaubt das Urteil zu fragen: Darf eine Krankenkasse ihren Patienten zukünftig Leistungen verweigern, wenn er nicht zur Gesunderhaltung beiträgt? Wenn etwa ein Diabetes-Patient Süßigkeiten isst oder ein Übergewichtiger zu wenig Sport treibt? Wo beginnt da der Eingriff in die individuelle Freiheit? Wann hat die Kasse das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen unkooperatives Verhalten kranker Patienten zu sanktionieren? Eine breite gesellschaftliche Debatte zu diesen Themen steht bisher noch aus.