Der Bund freiberuflicher Hebammen (BfHD) und Deutsche Hebammenverband (DHV) schlagen Alarm: Ab dem Sommer 2015 will die Nürnberger Versicherung keine Haftpflichtversicherung mehr für Hebammen anbieten. Da kaum noch Versicherer Hebammen absichern wollen, fürchtet der Verband das Aus für die freie Geburtshilfe.
Wer wird zukünftig noch Hebammen eine Haftpflichtversicherung anbieten? Glaubt man den beiden Berufsverbänden Bund freiberuflicher Hebammen e.V. (BfHD) und Deutscher Hebammenverband (DHV), ist diese Frage ungewisser denn je. „Der Versicherungsmarkt für Hebammen bricht zusammen“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemeldung der Verbände. Es sei nicht weniger als der Berufsstand bedroht.
Kein Wettbewerb unter Haftpflichtversicherern
Der Grund für die fatalistische Einschätzung: Die Nürnberger Versicherung steigt zum 01. Juli 2015 aus dem Versicherungsmarkt für Hebammen aus. Ein Wettbewerb unter den Anbietern findet schon lange nicht mehr statt, derzeit sind nur zwei Gesellschaften auf dem schwierigen Markt aktiv. Die Mitglieder des Deutschen Hebammenverbandes können sich bei der Bayrischen Versicherungskammer versichern, die freiberuflichen Hebammen sind bisher bei der Nürnberger Versicherung organisiert.
Hier wird bald eine gewaltige Lücke klaffen, sollte sich auch die Nürnberger aus dem Haftpflichtgeschäft zurückziehen. „Das bedeutet Berufsverbot für die freiberuflichen Hebammen“ erklärt Ruth Pinno, Vorsitzende des BfHD, „denn ohne Haftpflichtversicherung dürfen wir weder Geburten zu Hause, im Geburtshaus oder als 1:1 Beleghebamme in der Klinik betreuen noch Schwangeren- und Wochenbettbetreuungen annehmen.“ Zahlreiche Anfragen bei alternativen Versicherern im In- und Ausland hätten bisher zu keinem Ergebnis geführt.
Dass der Beruf der Hebamme schon bald verschwinden könnte, fürchtet auch Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes (DHV). „Die Lage am Versicherungsmarkt führt zum Zusammenbruch der Versorgung mit Geburtshilfe. Das ist eine absurde Situation“, so Klenk. Sie fordert deshalb: „Wir brauchen jetzt dringend eine politische Lösung“. Denkbar sei etwa ein staatlicher Haftungsfonds, der die Kosten ab einer bestimmten Haftungsobergrenze übernimmt. Eine kurzfristige Lösung könne auch ein Regressverzicht seitens der Sozialversicherungsträger sein.
Zahlreiche Hebammen geben Beruf auf
In den letzten Jahren haben zahlreiche Hebammen ihren Beruf wegen steigender Haftpflichtprämien aufgeben müssen, berichten die Berufsverbände. „Für freiberuflich in der Geburtshilfe tätige Hebammen hat sich die Prämie in den vergangenen zehn Jahren trotz abnehmender Schadenszahlen verzehnfacht bei weiterhin niedriger Vergütung.“ Aktuell zahlen Geburtshelfer und -helferinnen über 5.000 Euro Versicherungsprämie im Jahr: bei einem Stundenlohn von 7,50 Euro. Ein Ende der Preisspirale ist nicht abzusehen. Auch im nächsten Jahr sollen die Beiträge um rund 20 Prozent steigen.
Ursache für die explodierenden Haftpflichtkosten sei eine steigende Klagebereitschaft der Eltern bei Geburtsschäden und die immer höheren Schadensforderungen. Auf bis zu 2,6 Millionen Euro schätzt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) die Summe, die nach einem Geburtsfehler an den Patienten überwiesen werden muss. Das Schmerzensgeld ist nur ein kleiner Teil davon. Hinzu gesellen sich Kosten für eine lebenslange Weiterbehandlung, Verdienstausfall und Medikamente.
Viele Hebammen wollen deshalb das Risiko einer häuslichen Entbindung nicht mehr tragen. Von 18.000 Hebammen deutschlandweit sind nur noch 3.000 überhaupt bereit, Hausgeburten durchzuführen. Geht bei der Entbindung etwas schief, haften Hebammen 30 Jahre für eventuell auftretende Folgeschäden. Da hilft es auch nichts, dass die Haftpflichtkosten von den Krankenkassen mit viel Geld bezuschusst werden. Jede Hausgeburt werde mit 140 bis 200 Euro allein für die Versicherungsprämien unterstützt, berichtet der GDV.
Hebammenverbände sehen flächendeckende Versorgung gefährdet
Aber die Hebammenverbände fordern eine stärkere Rückendeckung. „Die Kostenexplosion der Haftpflichtprämie wird auch durch die Beteiligung der Krankenkassen nicht vollständig für jede Hebamme ausgeglichen“, heißt es in der Pressemitteilung. Weil viele Geburtshelfer ihren Beruf aufgeben müssten, sei vielerorts die Wahlfreiheit für Mütter nicht mehr gegeben, ob sie in der Klinik oder zu Hause entbinden. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gesteht Frauen nach Artikel 8 der Menschenrechtskonvention ein Recht auf Wahlfreiheit zu.
Die schwierige Situation der Hebammen war Anlass für die Autorin Anke Bastrop, vor der Bundestagswahl eine Petition zur Unterstützung der Berufsgruppe zu starten. Die Petition wurde ein Erfolg: 133.798 Unterstützer haben sie unterschrieben. Dank der Unterstützung so vieler Menschen findet sich ein Passus im schwarz-roten Koalitionsvertrag, der noch auf Umsetzung wartet: "Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe ist uns wichtig. Wir werden daher die Situation der Geburtshilfe und der Hebammen im Speziellen beobachten und für eine angemessene Vergütung sorgen.“