Während sich die Bundestagsabgeordneten am Freitag eine Diätenerhöhung um 830 Euro im Monat genehmigten, bereiten sie zugleich schärfere Regeln für Arbeitslosengeld II- und Sozialhilfeempfänger vor. Der Sozialrechtler Harald Thomé warnt: Die Jobcenter könnten sich zu Sonderrechtszonen für Erwerbslose entwickeln. Aber es sind auch Erleichterungen für Leistungsempfänger geplant.
Es war eine der ersten Maßnahmen, die von der neuen schwarz-roten Koalition aus CDU, CSU und SPD verabschiedet wurde: Am Freitag genehmigten sich die Bundestagsabgeordneten eine satte Diätenerhöhung um 830 auf nun 9082 Euro im Monat. Während die führenden Politiker des Landes nun deutlich mehr Geld in der Tasche haben, will man bei den sozial Bedürftigen zukünftig strengere Regeln durchsetzen.
Wie der Sozialwissenschaftler Harald Thomé auf seiner Webseite berichtet, werden im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe derzeit Gesetzesänderungen im Sozialgesetzbuch II vorbereitet. Bei 24 der debattierten 120 Änderungsvorschläge hätte sich bei einem ersten Fachgespräch am Mittwoch im Bundestag bereits ein Konsens herausgebildet, schreibt Thomé. Doch was unter dem wohlklingenden Titel „Rechtsvereinfachungen im zweiten Sozialgesetzbuch“ diskutiert wird, könnte für HartzIV-Empfänger in manchen Punkten eine Schlechterstellung bedeuten – und eine Schwächung ihrer Rechtsposition (Zwischenbericht der Arbeitsgruppe von September 2013).
Geringere Freibeträge für Ehrenamtliche, mehr Härten für „Stromschuldner“
Unter anderem ist vorgesehen, die Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche stärker als bisher mit der Grundsicherung zu verrechnen. Auch wenn Hilfsbedürftige eine Zahlung des Jobcenters zweckentfremdet haben, etwa um Stromschulden statt der Miete zu begleichen, sollen sie zukünftig höhere Belastungen akzeptieren. Bisher durfte die Behörde monatlich nur zehn Prozent des Regelsatzes von 391 Euro zurück verlangen, wenn sie ein Darlehen für Energiekosten gab – zukünftig sollen es bei Alleinstehenden 30 Prozent sein.
Die Kürzung der Regelleistung durch Regressforderungen der Ämter sieht Thomé kritisch. „Die Unterschreitung des Existenzminimums hat generell aufzuhören. Die Regelleistungen sind sowieso zu niedrig, hier noch Kürzungen vorzunehmen ist nicht vertretbar und akzeptabel“, heißt es in einer Stellungnahme.
Tatsächlich stellen die explodierenden Energiepreise der letzten Jahre viele einkommensschwache Familien vor Probleme, so dass die Sozialleistungen oft nicht mehr ausreichen. Laut einer Studie des Vergleichsportals Verivox „sind die Leistungen für Hilfsbedürftige im Bereich Strom um mindestens 21 Prozent zu niedrig" kalkuliert.
Die steigenden Energiepreise treffen nicht nur Hartz-IV-Empfänger hart, sondern alle Haushalte mit schmalem Einkommen wie zum Beispiel Wohngeldempfänger, Sozialhilfebezieher, alte oder erwerbsgeminderte Menschen, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Eine Zweckentfremdung von Sozialleistungen ist oft die bittere Konsequenz, wollen die Betroffenen eine Abschaltung von Strom und Wasser verhindern.
Rückwirkende Zahlungen sollen erschwert werden
Schwerer könnten die Eingriffe wiegen, die eine rechtliche Schlechterstellung von HartzIV- Empfängern bedeuten. Hat das Jobcenter sich verrechnet und deshalb einem Anspruchsberechtigten über Monate hinweg zu wenig Geld gezahlt, so konnten die Hilfsbedürftigen bisher mit einem Überprüfungsantrag die rückwirkende Zahlung der vorenthaltenen Beträge einfordern. Diese Möglichkeit soll zukünftig entfallen. Besonders hinterhältig: Widersprüche und Klagen sollen dabei keine aufschiebende Wirkung haben, es sei denn der Betroffene hat dies beim Sozialgericht beantragt.
„Mit der Regelung soll eine rückwirkende Korrektur faktisch ausgeschlossen werden“, kritisiert Thomé. Könnte die Neuregelung sogar eine Einladung an die Jobcenter sein, absichtlich zu niedrige Leistungen zu berechnen, um Geld zu sparen? Der Hartz-IV-Empfänger hätte keine rechtliche Handhabe mehr, seine Ansprüche rückwirkend geltend zu machen. Entgegengesetzt sollen die Ämter zu viel gezahlte Beträge zukünftig ohne schriftlichen Bescheid zurückfordern dürfen.
Weniger Rechte bei Wohnungswechsel
Auch bei Wohnungswechseln sollen Leistungsempfänger zukünftig weniger Rechte haben. Zieht ein Sozialleistungsempfänger ohne Erfordernis in eine neue Wohnung und ist diese teurer als die bisherige, so muss das Amt auf unbestimmte Zeit lediglich die alte Miete übernehmen. Dies gilt selbst dann, wenn die neue Wohnung innerhalb der jeweiligen örtlichen Angemessenheitsgrenzen liegt, also nicht zu groß und teuer ist. Auch diese Neuregelung würde nach Einschätzung von Thomé die amtliche Willkür begünstigen und zu einer Unterschreitung des Existenzminimums führen.
Andere Vorschläge fallen ebenfalls zu Lasten der Hilfsbedürftigen aus. Unter anderem regt die Arbeitsgruppe an, Aufstockern den anrechnungsfreien Einkommensbeitrag zu kürzen und auch beim Mehrbedarf von Alleinerziehenden den Rotstift anzusetzen. Diese Vorschläge haben aber bisher keine Mehrheit gefunden.
Das Fazit von Harald Thomé fällt kritisch aus. „Abschließend möchte ich bemerken, dass im Rahmen der Diskussionen um die „Rechtsvereinfachungen“ im SGB II erhebliche Leistungskürzungen geplant sind“, schreibt der Sozialwissenschaftler. Für einen abgehängten Teil der Bevölkerung würde „eine Sonderrechtszone zementiert“ werden, „die immer stärker vom einst gültigen Sozialrecht abweicht“.
Auch Reformen im Sinne der HartzIV-Empfänger
Bei aller Kritik muss jedoch auch Thomé zugestehen, dass einige Änderungen durchaus im Sinne der Hartz-IV-Empfänger wirken. So sind unter anderem längere Bewilligungszeiträume von einem Jahr vorgesehen. Besonders wichtig: Zukünftig sollen nicht mehrere Sanktionen gleichzeitig verhängt werden dürfen, so dass die Hilfsbedürftigen einen kompletten Wegfall ihrer Bezüge fürchten müssen. Stattdessen ist vorgesehen, die Sanktionen nacheinander zu vollstrecken.
Für Arbeitslose bedeutet vor allem die letzte Regel eine Erleichterung, müssen sie doch nicht mehr den kompletten Wegfall ihrer Existenzgrundlage fürchten. Für Empörung sorgte 2007 der Hungertod eines Mannes aus Speyer, dem das Jobcenter trotz einer psychischen Störung sämtliche Bezüge gestrichen hatte.
Vorgeschlagen wird auch eine „Pauschalierung des Einkommensabsetzbetrags für Beiträge zur geförderten Altersvorsorge“ (Riester-Rente). Hierzu heißt es im Entwurf: „Staatlich geförderte Altersvorsorgebeträge sind in Höhe der Cent genauen Beträge monatlich vom Einkommen abzusetzen (§ 11b Abs. 1 S 1 Nr. 4 SGB II), dies aber nur bis zur Höhe des Mindesteigenbetrages nach § 86 EStG.“ Um hier einen Prüfungsvorgang zu erleichtern, ist ein zusätzlicher Altersvorsorgefreibeitrag von 30 Euro im Gespräch.