Allianz Versicherung: Beim weltweit größten Versicherer wird heute eine Ära enden, wenn der langjährige Firmenpatriarch Michael Diekmann den Chefsessel an Oliver Bäte übergeben wird. Der 49jährige Bäte übernimmt ein intaktes Unternehmen – und steht vor zahlreichen Herausforderungen. Doch wer ist der neue Allianz-Chef? Versuch einer Annäherung.
Wer ist Oliver Bäte? Es gibt mehrere Pressefotos des Mannes. Auf einem Foto lächelt er freundlich und offen, als wolle er gerade einen Scherz machen. Auf einem anderen schaut er den Betrachter streng und fordernd an, kühl, ja fast abweisend. Auch die Artikel über den neuen Firmenchef sind ein wenig widersprüchlich. Als „Mister Effizienz“ bezeichnet ihn das Portal boerse-online.de und berichtet, er würde bei Empfängen druckreife Antworten im Stakkato-Stil geben, dem Smalltalk aber abgeneigt sein. Die Süddeutsche hingegen schreibt, er sei auch Scherzen und Kalauern gegenüber nicht abgeneigt.
Fest steht: Michael Bäte ist der neue Mann an der Spitze der Allianz Versicherung, dem größten Versicherungsunternehmen der Welt. Denn nach zwölf Jahren als Vorstandsvorsitzender gibt der 60jährige Michael Diekmann sein Amt ab. Es ist eine ungewöhnliche Entscheidung, denn Bäte fehlt der Stallgeruch, er ist erst seit 2008 im Unternehmen. Zum Vergleich: Diekmann war bereits 15 Jahre bei der Allianz aktiv, als er den Chefsessel übernahm.
Bäte: Ein sehr fordernder Chef?
Die biographischen Daten von Oliver Bäte sind schnell erzählt. Geboren 1965 in Bensberg, einer idyllisch gelegenen Schlossstadt in Bergisch Gladbach. Lehre als Bankkaufmann in der WestLB, Wehrdienst bei der Luftwaffe in Sardinien, BWL-Studium in Köln. Seinen Master machte Bäte an der renommierten Leonard Stern School in New York, dort, wo auch der vermeintliche Karstadt-Retter Niklas Berggrün studiert haben und Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank.
Dann machte Bäte bei jenem Unternehmen Karriere, das wohl wie kein anderes für harte Umstrukturierungen und Stellenstreichungen steht: McKinsey. Dieser Tatsache könnte es auch geschuldet sein, dass Bäte als „exzellenter Zahlenmensch“ gilt, zugleich aber auch als „hart, kalt und unnahbar“, wie boerse-online.de berichtet. "Er ist ein guter Kommunikator", sagt Analyst Cohen vom Finanzinstitut Canaccord Genuity in London. "Ich gehe davon aus, dass er ein sehr fordernder Chef sein wird."
Hart, kalt, fordernd und unnahbar? Ex-McKinsey? So manch einen Allianz-Mitarbeiter mag es ob dieser Beschreibung schaudern. Aber es gibt auch anderes über Bäte zu berichten. Der neue Vorstandschef ist Vater dreier Kinder – und habe Elternzeit genommen, wie Boulevardzeitungen berichten. Er ließ laut FAZ die italienische Café-Bar am Konzernsitz aufrüsten, auch um dort selbst Espresso zu trinken. Bäte lässt sich bei offiziellen Anlässen nicht mit einer Limousine vorfahren, sondern mit dem i3, einem kleinen Elektromobil von BMW. All das klingt sehr menschlich, sympathisch, so gar nicht nach unnahbarem Konzernchef. Mitarbeiter berichten, Bäte soll sie nach Feierabend schon mal zu einem Bier in die Kneipe eingeladen haben.
Türen mit Glasfenstern eingebaut
Bäte selbst beansprucht für sich, die Allianz ein wenig transparenter und menschlicher gemacht zu haben. "Als ich in der Finanzabteilung anfing, saßen die Mitarbeiter wie in einem Finanzamt auf vier Etagen hinter verschlossenen Türen", zitiert ihn Börse Online. "Wir haben Türen mit Glasfenstern eingebaut." Überhaupt sei er inzwischen einer der dienstältesten Vorstände im Konzern. "Ich behaupte mal, dass ich mehr Mitarbeiter in der Holding kenne als viele andere Kollegen."
Skeptisch stimmt viele „Allianzer“, dass Bäte das Versicherungsgeschäft als Praktiker fremd ist – im Gegensatz zu Vorgänger Diekmann. Er ist nie zu den Kunden gegangen und hat Versicherungen verkauft. Bäte ist in der Welt der Banker, Investoren und Analysten zu Hause, wo er freilich einen sehr guten Ruf genießt. Er gilt als international vernetzt, soll u.a. mit den Chefs von Microsoft und Black Rock bekannt oder gar befreundet sein. Immerhin: Er will zuhören, lernen, das Versicherungsgeschäft verstehen. Seit Monaten schon sei er auf sogenannter „Listening-Tour“ und unterhält sich mit Mitarbeitern, aber auch Politikern und Investoren.
Dass Bäte einiges neu und anders machen will als sein Vorgänger, davon kann man ausgehen. Er gilt als Befürworter einer Digitalisierung des Versicherungsgeschäfts. Dass die Allianz im letzten Jahr eine große Online-Offensive angeschoben hat, ist wohl auch auf sein Drängen zurückzuführen. In Indien hat er sich laut FAZ die Idee abgeschaut, bunte Apps bei der Schadenbearbeitung einzusetzen. Nach einem Unfall kann der Kunde z.B. die Beule an seinem Auto fotografieren und so den Schaden an die Kfz-Versicherung melden: Ohne große Rumtelefoniererei. Bei den Vertretern und Agenturen dürfte er sich mit solchen Plänen nicht nur Freunde machen. Digitalisierung bedeutet auch potentiell Arbeitsplatzabbau.
Bäte tritt schweres Erbe an
Dass Bäte ein schweres Erbe antritt, dürfte in diesen Tagen eine häufig gebrauchte Floskel sein. Am Mittwoch bei der Hauptversammlung ließ sich Vorgänger Diekmann von den Aktionären noch einmal mächtig feiern. Und verkündete fast sensationelle Zahlen: Der Umsatz sei 2014 um 11 Prozent auf nun 37,8 Milliarden Euro gestiegen, das operative Ergebnis liege mit 2,9 Milliarden Euro um 4,8 Prozent höher als im Vorjahr. Was das bedeutet, erklärte der scheidende Konzernchef mit einer ganz speziellen Machtdemonstration: Der Allianz-Umsatzanstieg sei höher als der Gesamtumsatz bei den meisten europäischen Versicherern. Diekmann tritt in Siegerpose ab.
Da fällt es leicht, den scheidenden Konzernchef im Rückblick zu verklären. Und all die Dinge zu übersehen, die unter Diekmann weniger gut gelaufen sind. Dem rigorosen Konzernumbau unter seiner Führung dürften zehntausende Stellen zum Opfer gefallen sein. Und er hinterlässt viele offene Baustellen: etwa den US-Vermögensverwalter PIMCO, der seit dem Weggang des Gründers Bill Gross Milliardengelder verloren hat. Dass die Lebensversicherung schwächelt, musste Diekmann selbst einräumen. „Das Neugeschäft in der Lebensversicherung ist in der Tat unter sehr sehr großem Druck“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung. Auch wegen dieser ungelösten „Problemzonen“ ist der Ausblick der Analysten pessimistisch: JP Morgan stufte den Versicherer gar auf „Untergewichten“ herab. Der neue Chef Oliver Bäte hat eine Chance verdient. Auch, wenn es in den nächsten zwei bis drei Jahren weniger gut laufen sollte.