Lebensversicherer müssen ihre Deckungsrückstellungen allein in 2015 um 12 bis 14 Milliarden Euro erhöhen, um ihren Verpflichtungen aus den Altverträgen nachzukommen. Das sog. Nachreservierungsvolumen entspricht damit einem neuen Rekordwert an jährlicher Reservezuführung, zeigt der „Marktausblick zur Lebensversicherung“ der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld sind die Zinszusatzreserven jedoch kaum noch bezahlbar.
Sollte das Niedrigzinsumfeld weiter bestehen, könnte sich der Reservebestand in den kommenden zehn Jahren sogar auf gut 150 Mrd. Euro summieren, prophezeien modellhafte Szenariorechnungen der Studie (vgl. Abb. 1). Die berechneten Reservierungsanforderungen bedeuten für die Branche eine massive Belastung und führen zu Finanzierungsengpässen: Sie müssten das Siebenfache des Reservebestandes stemmen, den die Versicherer seit 2011 aufgebaut haben, als der Rechnungszins erstmals bei 3,92 Prozent und somit unter dem in für früheren Verträge gegebenen Garantien von vier Prozent lag.
Niedrigzinsniveau birgt weiterhin größtes wirtschaftliches Risiko für Lebensversicherer
Zinszusatzreserven wurden in der Vergangenheit durch den vorzeitigen Verkauf von hochverzinsten festverzinslichen Anlagen finanziert. Der Nettozins der Kapitalanlagen steigt zwar, der Bestandszins geht jedoch zurück. Aktuell können Versicherer aus dem laufenden Ertrag ihre Leistungsversprechen an den Bestand erfüllen. (vgl. Abb. 2) Doch diese Leistungsversprechen an Kunden überschreiten die Laufzeit der Kapitalanlagen. „Dadurch gehen die Zinserträge bei anhaltendem Niedrigzinsumfeld schneller zurück als die Verpflichtungen der Lebensversicherer“, erklärt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse bei Assekurata. Damit wird ein extremes Niedrigzinsniveau ist damit mit Abstand das größte wirtschaftliche Risiko der Lebensversicherer.
Zusätzlich belastet werden die Unternehmen durch den geforderten Eigenkapitalaufbau im Zuge von Solvency II. Auch bleiben wenig Spielräume für Zuführungen zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) und Überschussbeteiligung der Kunden. Ein möglicher Ausweg: Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden müssten die Methodik der Zinszusatzreserve neu justieren. „Dies erfordert Fingerspitzengefühl, um die wirtschaftliche Basis der Branche nicht überzustrapazieren, ihr aber dennoch eine gebührende Reservedisziplin zum langfristigen Schutz der Versicherten aufzuerlegen“, mahnt Heermann.
Lebensversicherer auf der Suche nach Investitionsalternativen
Auch die Europäische Zentralbank wird wohl erst dann eine moderate Zinserhöhung in Erwägung ziehen, wenn das Vertrauen ins europäische Finanzsystem wieder hergestellt wurde und die Inflationsrate stabil bei knapp 2 Prozent liegt, prophezeit Assekurata. Aus diesem Grund könnte sich die Bonitätsstruktur in den Kapitalanlagen der Versicherer weiterhin verschlechtern.
So suchen die Gesellschaften zunehmend nach Investionsalternativen zu klassischen Rentenanlagen, um einen Renditeaufschlag zu erwirtschaften. Dank einer Verordnung der Bundesregierung soll es ihnen künftig auch möglich sein, einfacher in Infrastrukturprojekte zu investieren. Im Gespräch sind Infrastrukturfonds. Diese könnten vor allem kleinere Unternehmen entlasten, die mangels des notwendigen Expertenwissens oder Anlagevolumens mit Markteintrittsbarrieren zu rechnen hätten, so die Rating-Agentur.
LVRG ist ein Anfang
Das LVRG verlangt zur Rettung der Lebensversicherer bereits Einschnitte von Versicherern, Kunden und Vermittlern. In der Summe dürfte es zur Finanzstabilität beitragen. Ein Allheilrezept gegen die aktuelle Zinsrealität ist es jedoch nicht, so Heermann: „Vielmehr sind die Versicherer aktiv gefordert, sich unter den geänderten Rahmenbedingungen neu zu positionieren“. In ihrer strategischen Produktausrichtung streben viele Unternehmen mittlerweile danach, die Zinsabhängigkeit ihres Produktsortiments zu reduzieren und die eigene Risikotragfähigkeit im Gegenzug zu erhöhen.
In Anbetracht des wirtschaftlichen Umfelds und der bisweilen abwartenden Haltung der Bundesregierung, erweiterte Anreize zur privaten oder betrieblichen Altersversorgung in der Bevölkerung zu schaffen, dürfte der Druck auf Produktion und Margen im Neugeschäft der Lebensversicherer auch in den kommenden Jahren hoch bleiben.