Pflege und optimale Gesundheitsvorsorge - das funktioniert, indem man die gesetzlichen Lücken in der Pflegeversicherung mit privaten Zusatzversicherungen schließt. Dabei hat die Versicherungswirtschaft, vor allem aber die Vermittler, eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe. Warum dies so ist und wie die Branche der Herausforderung begegnen kann, erläutert Hagen Engelhard, Mitbegründer der Firma Medi-Kost, einem Dienstleister im Gesundheitswesen, im Versicherungsbote Interview.
Versicherungsbote: Herr Engelhard, mit Ihrem Unternehmen Medi-Kost-Net setzen Sie sich für eine optimale Gesundheitsversorgung ein. Wenn man über Gesundheitsversorgung spricht, ist nicht nur eine Versorgung im Krankheitsfall wichtig, sondern auch das Thema Pflege. Die gesetzliche Absicherung reicht nicht aus. Auch hier haben GKV-Versicherte Möglichkeiten, die gesetzliche Absicherung durch Privatvorsorge zu verbessern. Wie bewerten Sie die einzelnen Möglichkeiten der Zusatzversicherung?
Hagen Engelhard: Man hat grundsätzlich drei Möglichkeiten, um die Pflegeversorgung zu verbessern. Zum ersten gibt es die Pflegekostenversicherung, die nach dem Prinzip der Krankenvollversicherung arbeitet, das heißt, man reicht eine Rechnung ein und bekommt den Betrag erstattet. Das hat sich bisher auf dem Markt wenig durchgesetzt.
Die zweite Form ist die Pflegerente, für die man Beiträge zahlt, man bekommt im Pflegefall eine Rente und wenn man doch kein Pflegefall wird, erhält man das Geld zurück. Das ist ein spannender Ansatz für den Kunden, der ein oder andere Tarif ist auch gut ausgestaltet. Der Nachteil ist: Die große Masse der Produkte auf dem Markt ist nicht veränderbar. Das Produkt wird auch bei sich ändernden Rahmenbedingungen so bleiben, wie es ist. Pflege ist allerdings ein langfristig angelegtes Thema, es greift vielleicht in 50 Jahren. Man kauft ein Produkt, das sich die nächsten 50 Jahre nicht verändert. Aber was könnte sich im Bereich Pflege in dieser Zeit alles verändern? Denkmodelle, medizinische Behandlungen und Therapien, der gesetzliche Pflegebegriff unterliegen stetigem Wandel. Die gesetzliche Pflegeversicherung verändert sich etwa alle zwei Jahre, das Pflegestärkungsgesetz 1 ist gerade in Kraft getreten, das zweite ist bereits in der Bearbeitung – dahingehend sind statische Produkte wie eine Pflegerente eher kurzfristig konzipiert. Das Zusatzprodukt muss meiner Meinung nach neuen Rahmenbedingungen zumindest folgen können.
Pflegetagegelder, als dritte Variante der Zusatzversicherung, haben wiederum zumindest im Kleingedruckten einen Passus, dass der Versicherer auf gesetzliche Neuerungen reagiert und der Versicherungsnehmer abgesichert wäre. Damit ist für viele ein Pflegetagegeld die einfache und konzeptionell richtige Entscheidung. Pflegerente ist beispielsweise dann empfehlenswert, wenn man bereits älter ist und einen großen Betrag für eine Einmalzahlung hätte.
Pflege – ein schwieriges Thema für Versicherungsmakler
Pflege ist ein Zukunftsthema, das Risiko ist den meisten bewusst. Warum ist es für Makler dennoch schwierig, das Thema Pflege bei ihren Kunden anzusprechen?
Die Schwierigkeit liegt vor allem in der emotionalen Betrachtung des Themas. Zwar wissen alle um die Relevanz einer Pflegevorsorge. Doch fragt man Verbraucher, ob sie es geregelt haben oder Makler ob sie eine verkauft haben, heißt es, dass man dafür nicht soviel zahlen will beziehungsweise der Makler erklärt, dass seine Kunden dafür kein Geld in die Hand nehmen möchten. Aus meiner Sicht ist das alles Quatsch, der Makler spricht mit ihnen falsch.
Falsch ist es, den Teufel an die Wand zu malen. Pflege ist psychologisch ein negativ endendes Erlebnis. Und auch, wenn man sich eine Versicherung kauft, bleibt das Ergebnis negativ – man wird ein Pflegefall, hat Schmerzen, sieht alt aus, ist krank, gebrechlich, steht kurz vorm Exitus. Angesichts von Sonnenschein und Frühjahrswetter möchte sich mit diesen Gedanken niemand beschäftigen. Der Makler kriegt seinen Kunden nicht mit den Schauergeschichten.
Kennt der Kunde das persönliche Pflegerisiko?
Und was wäre der richtige Ansatz?
Der Makler sollte seinen Kunden fragen: „Kennst du dein persönliches Risiko, ein Pflegefall zu werden?“ Vermittler haben wegen ihres Berufsbildes eine moralische Verpflichtung, dieses Risiko anzusprechen. Möglicherweise haben sie auch ein Haftungsproblem, wenn sie es nicht tun. Pflege ist ein gesellschaftlich relevantes Thema und hat etwas mit Versicherungen zu tun. Wer außer uns Versicherungsleuten soll mit der Bevölkerung darüber sprechen? Das ist unsere Aufgabe! Bei solchen relevanten Themen müssen wir also die Kunden zwingen, mit uns darüber zu reden.
Dabei gibt es zwei Alternativen: Entweder der Makler identifiziert mit dem Kunden zusammen dessen Risiko – anschließend liegt die Entscheidung beim Kunden, ob bzw. was er unternehmen möchte, um es gegebenenfalls abzusichern. Oder, wenn der Kunde dieses Risiko nicht identifizieren möchte, dann sollte er dem Makler unterschreiben, dass dieser versucht hat, ihn aufzuklären. Damit hat der Vermittler die Haftungsfrage zumindest weitestgehend vom Tisch. Meine Erfahrung ist, wenn man mit Verbrauchern souverän über das Pflegerisiko spricht, wollen nahezu alle das Thema auch aufarbeiten. Für die Identifikation und auch Individualisierung des Risikos braucht der Makler dann vielleicht 20-30 Minuten, weil dazu nur wenige Informationen notwendig sind: Die statistische Pflegewahrscheinlichkeit ist X und die individuelle Kundensituation eingearbeitet ergibt das Risiko X minus individuelle Situation. Und schon kann der Kunde, wenn er das will und braucht, den Makler mit einer Absicherung für das Risiko beauftragen. Alternativ unterschreibt er seinem Vermittler, dass er das Risiko trotzdem gehen möchte oder man stellt fest, dass kein Risiko besteht. Benennen sollte man im Übrigen nur die finanziellen Risiken für den Betroffenen und die Angehörigen.
Wenn nicht wir, wer sonst?
Der Makler sollte das Thema also so konkret wie möglich formulieren, so schwierig, wie sich das auch im ersten Moment anhört ...
Ja, so schwierig finde ich das nicht. Aus meiner Sicht ist es gut, den Begriff Pflegerisiko zu nutzen. Der Begriff ist gesellschaftlich anerkannt und gar nicht so negativ besetzt. Der Makler muss den Mut haben, für sich das Thema auch als verbindliche gesellschaftliche Forderung an diese Berufsgruppe zu erfassen. Das sollten wir als Versicherungsbranche unbedingt lernen. Wir sind da mit den Versicherungsgesellschaften, Maklern und Vermittlern in der Verantwortung, Wege zu finden, wie man das Thema sowohl einfach als auch transparent an die Bevölkerung heranträgt. Kurz gesagt erklärt man dem Kunden nur noch: „So sieht dein individuelles Risiko aus, Betrag X kostet die Absicherung, wenn du sie möchtest und du erhältst diese und jene Leistung“. Alles was darüber hinausgeht, ist aus meiner Sicht „Luxus“, über den sich der Verbraucher zwar Gedanken machen muss, wodurch er aber gegebenenfalls mehr Kosten hat. An dieser Stelle wird es eher wieder kompliziert.
Etwas Verantwortung für das Thema hat ja der Gesetzgeber mit der Einführung des Pflege-Bahr gezeigt. Hat er damit etwas erreicht?
Viele neigen ja leicht dazu, den Pflege-Bahr zu verteufeln. Das möchte ich nicht machen, denn die übergeordnete Aussage ist: „Das Allerschlimmste ist, nichts zu tun“ – und dann kommt erstmal eine Weile nichts. Ich glaube, der Pflege-Bahr war das richtige Signal, etwas zu tun und zeigte, dass man Teile der Bevölkerung nicht komplett hängen lässt, weil sie sich aufgrund der eigenen Gesundheit nicht über private Zusatzversicherer absichern können. Der Pflege-Bahr müsste aber künftig in seiner Struktur nochmals angepasst werden, weil er enorme Schwächen hat. Das Produkt ließe sich mit wenig Aufwand intelligenter gestalten. Es wäre eventuell etwas teurer. Zu verbessern ist die Leistung für Demenzerkrankungen, da wird bisher zu wenig gezahlt. Die starre Abstufung der Zahlungen für die Stufen I bis III ist nicht durchdacht. Das finanzielle Risiko für eine stationäre Behandlung in Pflegestufe I ist genauso hoch wie in Pflegestufe III. Man könnte in den jeweiligen Stufen also lieber den gleichen Betrag an Pflegetagegeld zahlen. Dennoch war es ein richtiger Schritt, die Verantwortung an Versicherungswirtschaft und Vermittler zu geben, denn „Wenn nicht wir, wer sonst?“
Herr Engelhard, vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Hanna Behn. Das komplette Gespräch mit Hagen Engelhard ist zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 01-2015 erschienen. Teil I des Interviews mit dem Schwerpunkt: „Privatpatient in der GKV - mit dem Kostenerstattungsprinzip“ wurde am 17. Juni hier auf Versicherungsbote.de veröffentlicht.