Rentner die Bratwürste verkaufen, Zeitung austragen und Stromtarife auf der Straße verkaufen. Ein Klischee? Nein! Altersarmut ist mittlerweile kein Gespenst mehr. Sondern allgegenwärtig auf Deutschlands Straßen. In der ZDF-Reportage 37° wurde gestern über Schicksale von aktuellen Ruheständlern, die trotz Rente arbeiten müssen, berichtet.
Deutschlands Rentner werden immer ärmer: Seit 2003 hat sich die Zahl der Menschen, die Altersgrundsicherung beziehen, fast verdoppelt. In der gestrigen zeichneten die Reporter der ZDF-Doku-Reihe 37° ein Bild von armen Rentnern, dass mittlerweile schon fast zum Alltag gehört. Schließlich sank die Kaufkraft der deutschen Rentner allein in den letzten 15 Jahren deutlich.
Rentner wollen ihr soziales Umfeld nicht verlieren
Unter dem Titel "Schuften bis zum Schluss“ stellt die Reportage unter anderem die Berlinerin Heidi Steenbock vor. Die gelernte Bäckereiverkäuferin hat seit ihrer Jugend gearbeitet, aber wenn sie Miete und Fixkosten bezahlt hat, bleibt zum Leben kaum noch etwas übrig. 50 Stunden im Monat arbeitet sie im Schichtdienst in einer Bäckerei. Wenn große Feste in der Stadt anstehen, brät sie Würstchen in einer Imbissbude.
Warum sie arbeitet? Die 66-jährige wohnt schon seit 33 Jahren in ihrer kleinen Wohnung. Die ist mit 557 Euro zu teuer, um noch Grundsicherung zu erhalten. Die Berlinerin müsste in eine günstigere Wohnung ziehen, doch das ist in Berlin kaum möglich. Außerdem möchte sie ihr gewachsenes soziales Umfeld nicht verlieren.
Scheidung & Pflege der Mutter fraßen Erspartes auf
Wolfgang Hergt, war bis zur Wende in der DDR Ingenieur, danach selbstständiger Versicherungsberater. Beruflich lief es gut, privat er überstand zwei Scheidungen und sorgte für seine drei Kinder. Doch dann musste er für die Pflege seiner Mutter aufkommen. Danach folgte ein Unglück auf das nächste. Heute erhält der 65-Jährige eine monatliche Rente von 799 Euro. Weil das zum Leben nicht reicht, verkauft er als Energieberater Strom- und Gasverträge. Trotzdem ist Wolfgang Hergt auch noch auf die Lebensmittel der Berliner Tafel angewiesen.
Hans-Jürgen Baciulis ist fast 70. Der frühere Fachangestellte bei einem Steuerberater lebt auf dem Land bei Hamburg. Eigentlich hatte er gedacht, er könnte einen sorglosen Lebensabend verbringen, doch es kam alles ganz anders. Nun fährt er für ein Taschengeld jeden Sonntag Zeitungen aus. Dafür steht er mitten in der Nacht auf. Der 450-Euro-Jobber macht außerdem im Dorf alle Arbeiten, die anfallen. "Ich habe keine großen Ansprüche“, sagt er, „ich trage ohnehin nur Arbeitskleidung“.
Auch aktuellen Durchschnittsverdienern droht die Altersarmut
Der Grund für die aktuelle und künftige Misere: Zwar erhöhten sich die zu versteuernden Renten von 2000 bis 2014 um 15,9 Prozent in den alten und 22,9 Prozent in den neuen Bundesländern. Gleichzeitig wurden diese Rentenerhöhungen allerdings durch Preissteigerungen von 24,4 Prozent im gleichen Zeitraum mehr als aufgefressen. Überdies sei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 15,7 Prozent gestiegen. Das geht aus aktuellen Berechnungen des Statistikprofessors Gerd Bosbach hervor.
Den Abwärtstrend belegt auch ein Blick auf die durchschnittliche Altersrente für Neurentner. Ein langjähriger Versicherter, der im Jahr 2000 mit 35 Beitragsjahren in Rente ging, erhielt eine durchschnittliche Rentenzahlung von 1.021 Euro. 2014 belief sich das Altersgeld für Neurentner nur noch auf 916 Euro. Um die Inflation auszugleichen, hätte die Durchschnittsrente aber um 354 Euro angehoben werden müssen, damit Rentner die gleiche Kaufkraft wie im Jahr 2000 haben.
Parallel dazu steigt die Zahl der Pensionäre, die zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Grundsicherung angewiesen sind. Am Jahresende 2013 bezogen rund 499.000 Personen ab 65 Jahren Leistungen der Grundsicherung. Im vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 7,4 Prozent.
Rentenniveau sinkt weiter
Für zukünftige Rentnergenerationen wird es voraussichtlich noch dicker kommen. Schuld daran ist die Absenkung des Rentenniveaus, die 2002 von der damaligen rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) auf den Weg gebracht wurde. Ziel war es, einen Anstieg der Beiträge in der Rentenversicherung angesichts der Alterung der Gesellschaft zu verhindern. Die Bürger sollten Einbußen durch eine kapitalgedeckte Privatvorsorge ausgleichen - die Geburt der Riester-Rente.
Während sich das Rentenniveau 2014 im Schnitt noch auf 48 Prozent eines durchschnittlichen Arbeitnehmergehalts bewegte, wird es bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent fallen. Bei einem Rentenniveau von 43 Prozent „droht auch für Durchschnittsverdiener der soziale Abstieg“, warnt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Annelie Buntenbach in der Süddeutschen. Bekomme etwa ein Metallarbeiter bei einen Niveau von 50 Prozent und 2.600 Euro Lohn eine Rente von 1.100 Euro, so seien es bei 43 Prozent nur noch 960 Euro. Der Sozialverband fordert, das Rentenniveau bei 50 Prozent einzufrieren.
Für zukünftige Ruheständler sollte sich spätestens an dieser Stelle die Frage stellen, ob man künftig, als Rentner, auch Bratwürste verkaufen, Zeitung austragen oder Stromtarife verkaufen möchte. Die Alternativen dazu sind, komplett auf die Grundsicherung zu setzen oder entsprechend vorsorgen.