Versicherungsvertrieb - "Skepsis gegen Honorarberatung resultiert aus Lügen"

Quelle: dvvf

Honorarberatung: Gibt es im Versicherungsvertrieb eine breite Lobby gegen die Honorarberatung und alternative Vergütungsmodelle? Zu dieser Einschätzung kommt die Deutsche Verrechnungsstelle für Versicherungs- & Finanzdienstleistungen AG (dvvf), die unter dem offensiven Slogan "Alles-Lüge(!)" im Oktober zu einer Roadshow zu alternativen bzw. Honorarvergütungsmodellen aufbricht und mit Vorurteilen aufräumen will. Aber wen bezichtigt man der Lüge? Und warum ist der Widerstand gegen die Honorarberatung so groß? Versicherungsbote hat einen schriftlichen Fragekatalog an Michael Hillenbrand geschickt, Vorstand der Deutschen Verrechnungsstelle und selbst zugelassener Versicherungsberater. Hillenbrand antwortete durchaus meinungsfreudig.

Versicherungsbote: Laut Pressemitteilung planen Sie eine Road Show unter dem provokanten Titel „Alles Lüge(!) –Tour“ und wollen „endlich Tacheles reden“. Das klingt recht offensiv. Wen bezichtigen Sie mit Blick auf die Honorarberatung der Lüge - und welche Lügen sind das?

Michael Hillenbrand: Wir sprechen nicht von Honorarberatung. Das Wort ist ein Lapsus - ein Richter des LG Nürnberg hat es einmal so ausgedrückt: „Wenn man so sieht, was diese Berater wirklich tun, so zeugt die Bezeichnung nicht von besonders großer Intelligenz“.
Wir dagegen sprechen von Honorarmodellen für Versicherungsvermittler. Und das heißt: die Provision verliert ihre Existenzberechtigung, und das schmeckt vielen, deren Geschäftsmodell darauf ausgerichtet ist, überhaupt nicht.
Das Vertriebskonzept der Versicherer fußt auf der Provision, insbesondere der Abschlussprovision. Ohne die schaut es also erstmal zappenduster aus.
Auch viele Pools leben ausschließlich von Overhead-Provisionen durch die Versicherer. Auch die haben dann kein Interesse Nettoprodukte anzubieten, weil die meisten keinen Schimmer haben, wie sie da ihre Margen unterbringen sollen, obwohl das ganz einfach ist. Jetzt wäre es ja völlig in Ordnung, wenn die Genannten sagen würden: „Wir wollen das nicht, weil wir keine Ahnung haben, wie wir dann Geld verdienen sollen.“
Das sagt aber keiner. Stattdessen wird – um mal einige wenige zu nennen - behauptet, dass (1) Honorare nicht funktionieren, weil der Kunde das weder zahlen kann noch will (aber die versteckte Provision in doppelter Höhe kann er sich leisten???), oder dass (2) man das als Makler ja gar nicht darf, weil es sich dann um Rechtsberatung handeln würde (aber dieselbe Leistung für Provision ist keine Rechtsberatung?).
Uns zur „Alles Lüge (!) – Tour“ animiert haben jedoch die wiederholten Ausführungen, dass (3) das Provisionsverbot in Großbritannien schier zur Hölle auf Erden geführt hätte. Von Maklersterben ungekannter Größe, von Beratungslücken und von 16.000.000 (sprich: 16 Millionen) unberatenen und daher von Altersarmut betroffenen britischen Bürgern war da unter anderem die Rede. Wir haben uns in den vergangenen Monaten intensiv mit britischen Studien zu den Auswirkungen der RDR auseinandergesetzt, und fanden mal überhaupt keine einzige dieser Münchhausen-Geschichten bestätigt.
Und wenn etwas schlicht unwahr ist, dann ist das eben eine Lüge. Und das muss man dann auch mal sagen dürfen. Gerne auch provokant. Das kann man einfach nicht so stehen lassen.

Versicherungsbote: Welches Interesse haben aus Ihrer Sicht Versicherer, eine Etablierung der Honorarberatung bzw. anderer alternativer Vergütungsmodelle zu „behindern“?

Michael Hillenbrand: Versicherer kämpfen schlicht und einfach um den Status Quo Ihrer Marktmacht. Die steht und fällt mit der Kontrolle des Geldstroms.
Die Provision, genauer ihre Höhe, war über Jahrzehnte das schärfste vertriebliche Schwert des Versicherers, wenn es darum ging, die Produkte über Vermittler an den Kunden zu bringen. Die Produktqualität war und ist dagegen für den Vertriebserfolg oft ein nachrangiges Kriterium, weil sich viele Vermittler Produkte mit niedrigen Provisionen nicht einmal ansehen.
Wer den Geldhahn bedient, kann nicht nur bestimmen, wie üppig er sprudelt, sondern regelt auch das „Auf oder Zu“.
Und jetzt schauen Sie sich eine Honorarvereinbarung an, die direkt zwischen dem Makler und seinem Kunden geschlossen wird! Das ist ein in sich geschlossener separater Vertrag, in dem der Versicherer keine Rolle mehr spielt. Der Versicherer hat weder Informationen über Art und Umfang der Vergütung, noch spielen seine Produkte dabei eine Rolle. Ohne hohe Provisionen würden viele Versicherungsprodukte wie Sauerbier in den Regalen liegen. Der Versicherer verliert seine marktbeherrschende Stellung!

Versicherungsbote: Sprechen Sie sich für ein Provisionsverbot aus? Wenn ja: Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass der Kunde zwischen Vergütung gegen Provision und/oder Honorarberatung entscheiden kann?

Michael Hillenbrand: Grundsätzlich sind wir gegen zu viel Regulierung. Andererseits kann mal wohl schon von einem Husarenstück sprechen, wenn man bedenkt, dass eine ganze Branche erst einmal von BGH und BVerfG abgestraft werden muss, bevor sich etwas ändert.
Abgesehen davon ist uns allen klar, dass es die Flächenbrände, die wilde Vertriebsgruppen in der Vergangenheit ausgelöst haben, ohne Provisionsmodelle nicht gegeben hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich zum Wohle des Volkes ist, wenn ein Volkswohlbund lt. BAFin im Jahre 2012 alleine 18,46 % seiner verdienten Bruttobeiträge nur für Vertriebskosten verbraucht.
Schaut man sich die aktuellsten Untersuchungen aus Großbritannien an, in denen überprüft wurde, was die RDR denn gebracht hat, so darf man dort zumindest feststellen, dass das Provisionsverbot zu einer deutlich verbesserten Beratungsqualität und gleichzeitig zu wesentlich preiswerteren Produkten geführt hat.
Trotzdem spricht für mich überhaupt nichts dagegen, erwachsenden geschäftsfähigen Kunden beide Modelle vorzustellen, so dass er sich entscheiden kann. Das muss auch keine Grundsatzentscheidung sein, man kann das durchaus je Situation individuell gestalten.

Versicherungsbote:…und wie positionieren Sie sich zu sogenannten Mischmodellen in der Vermittlervergütung?

Michael Hillenbrand: Auch wieder so ein Käse, der von den „Edlen, Hilfreichen und Guten“ ins Feld geführt wird. Halten Sie eine Provision von 35 %o vom Versicherer für richtiger, als 17,5 %o vom Versicherer und 17,5 %o vom Versicherungsnehmer? Der VN überrascht Sie jedenfalls nicht mit einem Produktbewertungsfaktor von 0,8, sodass Sie feststellen müssen, „oh, das sind ja dann nur 14 %o“! Wir raten den Kollegen: Pfeifen Sie auf die 35 %o Provision, bei der Sie sich gleich eine Storno-Rückforderungs-Garantie einkaufen. Nehmen Sie ein Honorar von 3-5 %, das ist garantiert stornofrei!

Versicherungsbote: Laut einer Studie der ServiceRating GmbH wäre jeder fünfte Bürger bereit, für die bloße Beratungsleistung in der Versicherungs- und Finanzberatung zu zahlen. Aber knapp die Hälfte der Beratungswilligen würde nicht mehr als 50 Euro pro Beratung ausgeben wollen. Muss nicht erst ein Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen werden, was gute Beratung wert ist, damit sich die Honorarberatung etablieren kann?

Michael Hillenbrand: Bleiben Sie mir vom Leib mit Studien, die nicht von neutraler Seite beauftragt sind, z. B. BaFin, FCA o. ä. Hier gilt „Weß Brot ich eß“. In der letzten Studie die zu einem vergleichbaren Ergebnis kam, bekannten sich ca. 70 % der befragten Makler dazu, dass sie selbst in den vergangenen 12 Monaten kein Honorar in Rechnung gestellt haben. Super, was soll man mit solchen Studien anfangen?
Sie müssen nur den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellen und bekommen so jedes gewünschte Ergebnis. Wenn Sie einen Kunden fragen, ob er Ihnen für eine Beratung zu Versicherungen was bezahlen möchte, werden die meisten mit „Nein“ antworten, weil sie ja „noch nie“ etwas dafür bezahlt haben.
Fragen Sie einen Kunden, ob Sie ihm zeigen sollen, wie er bei seinen privaten Versicherungen inkl. Altersvorsorge zwischen 15.000 und 30.000 sparen kann, das koste allerdings je nach Ergebnis 2-3.000 €, so haben Sie bei den meisten Kunden ein offenes Ohr, weil die keinen Taschenrechner brauchen um zu erkennen, dass sich das rechnet.
Was also wirklich zählt ist die Realität! Und die bildet sich in unserem System ab. Mit jeder Rechnung, die wir für Makler verschicken, haben wir ein Beweisstück mehr, dass Kunden mit Honorarmodellen kein Problem haben. Sobald das Bewusstsein im Kopf des Beraters ist, ist es auch beim Kunden vorhanden.
Philip Martin, Marketing Direktor eines der größten Maklernetzwerke in GB hat in einem Interview im März dieses Jahres erklärt, dass es rückblickend keinerlei Ressentiments der Kunden gegen Honorare gegeben hat. Wörtlich: Die Kunden, die unsere Berater wegen Einführung der Honorare verloren haben, können Sie an einer Hand abzählen! Das bestätigt sich nicht nur durch die Tatsache, dass dieses Netzwerk seine Umsätze in den letzten Jahren kontinuierlich steigerte, sondern auch der Britische Maklerverband (APFA) zeigt in seinen Erhebungen, dass die Umsätze der Makler 2013 höher sind als noch 2011 vor Einführung des Provisionsverbotes. Ohne Kunden, die das bezahlen, geht das wohl nicht!

Versicherungsbote: Ein oft vorgebrachter Vorwand gegen die Honorarberatung: Sie könnte eine Versorgungslücke bewirken, da sich Geringverdiener keine teure Beratung leisten können oder wollen. In der Pressemeldung bestreiten Sie das Argument. Wie können Geringverdiener eine Honorarberatung in Anspruch nehmen, da doch eine umfassende Finanzberatung einen vierstelligen Betrag kosten würde?

Michael Hillenbrand: Da halte ich es mit Einstein, dem zugeschrieben wird: „Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die Dummheit der Menschen, wobei ich mir im ersten Falle nicht ganz sicher bin.“
Dieses Scheinargument unterschlägt: wenn durch Provisionen, die die Kunden bezahlen müssen (ob sie wollen, oder nicht) genug Geld eingesammelt wird, so ist das auch durch Honorare möglich. Andernfalls handelt es sich um die „wundersame Geldvermehrung“, oder Versicherer spenden aus ihren Privatschatullen große Beträge, weil die eingepreisten Provisionen ja nicht genügen. Daran glaube ich aber nicht.

Versicherungsbote:…und wie sieht es mit der Bestandspflege und Haftung des Honorarberaters aus? Gerade Versicherungsmakler argumentieren oft: Wir betreuen den Bestand unserer Kunden über Jahre hinweg und helfen als Sachverwalter des Kunden auch bei der Durchsetzung der Ansprüche gegenüber dem Versicherer. Ein Honorarberater müsste das hingegen nicht tun.

Michael Hillenbrand: Das ist keine Frage der Vergütung. Egal, ob Sie Versicherungsmakler, Versicherungsberater, Honorar-Irgendwas sind, wenn Sie mit einem Kunden eine exakte Vereinbarung treffen, dass Sie ihn ausschließlich zu seiner Berufsunfähigkeitsabsicherung beraten, dann haften Sie nicht dafür, wenn seine Hausrat- oder Krankenversicherung eine Lücke hat, oder in seiner Firma etwas klemmt.
Wenn Sie aber dem Kunden erklären (und vielleicht sogar im Maklervertrag zum Ausdruck bringen), dass Sie für Ihn in allen Lebenslagen da sind, selbst wenn Sie gar nichts vereinbaren, dann haften Sie für alle Lücken, die sich finden, weil der Kunde sich auf Sie verlassen hat. Dann sollten Sie

  • möglichst exakt dokumentieren
  • eine möglichst nachhaltige und umfangreiche Vergütung vom VU oder Kunden erhalten

Bei unseren Seminaren im Oktober werden wir den Teilnehmern erklären, dass und wie sie nie wieder umsonst arbeiten müssen und wie man sehr einfach solche Vergütungen vereinbart, denn im Gegensatz zu den Kritikern habe ich selbst seit 1989 Honorarmodelle betrieben, habe 1991 schon Seminare zu dem Thema gegeben und weiß wie es wirklich geht. Da fällt mir Dieter Hallervorden ein der einmal gesagt haben soll: „Kritiker? Kritiker sind wie Eunuchen, die wissen alle genau wie’s geht, aber keiner kann’s.“

Versicherungsbote: Ist vielleicht das Problem, dass die Verbraucher ungenügend über die Vergütungsmodelle informiert sind? Provision und Honorar könnten doch eine echte Wahlalternative für den Kunden bilden - wenn denn eine höhere Kostentransparenz gegeben wäre.

Michael Hillenbrand: Das kann sein, muss aber nicht. Man muss auch damit leben können, dass normale Kunden keine Lust haben, sich über die Vergütungsmodelle des eigenen Maklers zu informieren. Ich lasse mir beim Metzger jetzt ja auch nicht jeden Tag erklären, wie sich seine Leistung, die Wurst, zusammensetzt und welche fixen und variablen Kosten da „drin“ sind. Die Kunden erwarten einfach, dass sie nicht über den Tisch gezogen werden. Die Provisionsmodelle haben sich da in den vergangenen Jahren nicht immer als ideal ausgezeichnet. Häufig waren die schlechtesten Produkte mit den höchsten Provisionen ausgestattet, die dann von wilden Struki-Buden in den Markt geklopft wurden.

Versicherungsbote: In der Maklerschaft ist eine Zweiteilung zu beobachten. Während noch immer viele Versicherungsmakler der Honorarberatung skeptisch gegenüber stehen, fordern Verbände wie der IGVM die rasche Einführung von Nettotarifen. Welche Chancen sehen Sie für Makler durch die Honorarberatung?

Michael Hillenbrand: Die Skepsis resultiert vor allem aus den eingangs angesprochenen Lügen. Das sind ja keine Einzelfälle oder Ausnahmen. Da wird Stimmungsmache gegen Honorarmodelle betrieben, werden Horrorszenarien entworfen, der Weltuntergang heraufbeschworen, Lobbyarbeit gemacht.
Allein Nettotarife sind da nicht die Lösung. Die muss man auch nicht mehr einführen, die gibt es längst. Ob sie auch immer gut sind, sei mal dahingestellt.
Die Chance der Makler liegt gerade eben in der Distanzierung von den Produkten (in meinem Buch habe ich das bewusst statt Produktbeschaffung Produktabschaffung genannt) durch Honorare, hin zu einem Berufsbild des echten Sachwalters, der die Interessen der Kunden vertritt genau wie seine eigenen. Da spielt dann die Vermittlung selbst eine weitgehend untergeordnete oder gar keine Rolle mehr. Wer nicht weiß, wo er Nettoprodukte herbekommt, der kann doch einfach Direktversicherer nehmen. Deren Produkte haben viel geringere Kosten als herkömmliche Produkte. Denn auch Nettoprodukte müssen sie nachrechnen. Da gibt es Versicherer, die sich bei einer FRV über die Verwaltungskosten mal locker 10 % der Beiträge einstreichen. Das nennt sich dann dort „Honorartarif“. Der Makler, der etwas von der Sache versteht, würde (jetzt nachdem er sensibilisiert ist) in eigener Angelegenheit auch einmal nachsehen, welche Kosten sind denn im Produkt. Wie Sie das Kind nennen ist völlig gleichgültig. Es ist für den Kunden eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Streichen Sie die Ablaufleistungen und die Garantien, die dann doch keine sind. Überlegen Sie, ob es möglich ist, dass ein Versicherer, der doppelt so hohe Kosten hat wie ein anderer, höhere Versprechungen machen und halten kann.

Versicherungsbote: Ich bedanke mich für das Interview! (Die Fragen stellte Mirko Wenig)

Hintergrundinformationen: Die "Alles-Lüge(!)" - Live-Seminar-Tour 2015 findet im Oktober 2015 statt. Eine Teilnahmegebühr wird nicht fällig, stattdessen will die dvvf an jeden Teilnehmer 10 Euro auszahlen. Die Anmeldung zu den Veranstaltungen ist hier möglich. Folgende Termine sind eingeplant:

  • 01.10.15 Würzburg
  • 08.10.15 München
  • 13.10.15 Berlin
  • 14.10.15 Hamburg
  • 20.10.15 Köln
  • 21.10.15 Frankfurt am Main