Betriebliche Altersvorsorge: Ein Stresstest offenbart eine enorme Krisenanfälligkeit der europäischen Betriebsrenten. Zu Beginn des Jahres untersuchten die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) erstmals, wie stabil die betriebliche Altersvorsorge in den europäischen Ländern steht. Dabei offenbarte sich ein Widerspruch zwischen ihrer tatsächlichen mangelnden Krisenstabilität und den optimistischen Zusagen, welche Arbeitnehmern für aktuelle und künftige Betriebsrenten gemacht werden. Die positive Nachricht: In Deutschland soll die Finanzierungslücke deutlich geringer sein als in anderen Staaten.
In den betrieblichen Pensionskassen der europäischen Länder fehlt Geld. Insgesamt circa 430 Milliarden Euro, auch dann, wenn sich Zins- und Vermögenspreisniveau eines Tages einmal wieder beruhigen sollten. Das habe zu Beginn des Jahres ein Stresstest der europäischen Finanzaufsicht EIOPA ergeben, wie die Europa-Abgeordneten Sven Giegold, Molly Scott-Cato und Philippe Lamberts in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt berichten.
Vor allem in Großbritannien und den Niederlanden würde sich die Finanzierung der gemachten Versprechen im Ernstfall schwierig gestalten, so das Gastautorenkollektiv. Die Autoren konstatieren kritisieren das Fehlen von 25 Prozent des Finanzierungsbedarfs europaweit, für GB und die Niederlande bedeute das jeweils 218 und 66 Milliarden fehlender Euros. Dem gegenüber nimmt sich die Finanzierungslücke für die BRD fast mager aus, hier wurde eine Finanzierungslücke von 15 Milliarden errechnet.
Finanzierungslücken der Betriebsrenten wachsen
Bedenkt man die Möglichkeit der weiteren Verkleinerung der Erträge von Vermögenswerten unter Berücksichtigung der Inflation, eröffnet sich das Szenario einer künftig weiteren Ausweitung der Finanzierungslücken. So stellen die Gastautoren die Zahl von 770 Milliarden Euro in den Raum, um das künftige „Loch“ zu beschreiben, wovon 33 Milliarden allein auf Deutschland entfielen beziehungsweise entfallen müssten.
Die Autoren betonen, dass es zwischen den optimistischen Berechnungen der Nationen gegenüber den faktenbasierten Berechnungen der Europäischen Aufsichtsbehörde grobe Abweichungen gäbe. „Anbieter betrieblicher Altersvorsorge sowie die Finanzaufsichtsbehörden haben auf nationaler Ebene zahlreiche Möglichkeiten zur Schönfärberei genutzt: Die Wachstumsraten der Vermögenswerte im Besitz der betrieblichen Pensionsfonds werden oft deutlich höher angesetzt, als es angesichts der gegenwärtigen Marktsituation und den Anforderungen einer vorsichtigen Prognose realistisch wäre.“
Kapitalstock hält künftigen Forderungen nicht stand
Es sei darum falsch anzunehmen, dass das Kapital, welches gegenwärtig zur Verfügung stünde, den gemachten Zusagen künftig entsprechen könne. In der BRD haften die Unternehmen für ihre Verpflichtungen der betrieblichen Alterssicherung. In anderen Ländern aber gibt es gar keine Sicherungen – wer legt dann das Geld aus, dass zum Ausfüllen der Lücken fehlt? Die Arbeitnehmer müssten sich hier wohl auf drastische Kürzungen gefasst machen.
Da Betriebsrenten eng mit dem Arbeitsrecht verbandelt sind, gelten sie in der Hauptsache als Angelegenheit der EU-Mitgliedsländer. All jenen nationalen Fonds gemein ist, außer wenn sie von Versicherungen gemanagt werden, dass sie nicht als Finanzinstitute gelten – und sich somit zahlreicher Ausnahmeregelungen erfreuen, was die Einhaltung von Standards zur finanziellen Stabilität angeht, welche im Krisenfall eine Pleite des betrieblichen Rentenfonds verhindern soll. Doch machen die Autoren bei den betriebliche Pensionsfonds gegenüber ihren Beitragszahlern langfristige und mit Risiko verbundene Zusagen aus, die beispielsweise einer Lebensversicherung stark ähneln und die Ausnahme von der Regel (also die Einhaltung von Stabilitätsstandards) ad absurdum führen.
Reform der europäischen Regeln für Betriebsrenten
Bereits seit zwei Jahren wird vom Europaparlament und dem Rat der Mitgliedsstaaten an einer Reform der europäischen Regeln für Betriebsrenten (sog. IORP 2 Richtlinie) geschraubt. Innerhalb des Europarlaments degradieren konservative Kräfte die Forderung, national orientierte - und insbesondere grenzübergreifende betriebliche Pensionsfonds - mit einer robusten Kapitaldecke auszustatten, als Bürokratismus, kritisieren die Grünen-Politiker.
Dabei sei die volle Finanzierung von Betriebsrenten die an der Realität gemessene Notwendigkeit. „Ohne robuste finanzielle Grundlage ist eine betriebliche Altersvorsorge nur ein Kartenhaus, das beim ersten rauen Lüftchen der nächsten Krise in sich zusammenfällt und auch Unternehmen in die Bredouille bringen kann“, heißt es in dem Gastbeitrag.
Beschluss zur Einhaltung der Zusagen - noch nicht Gesetz
Ein Lichtblick in dieser desolaten Lage sei der Beschluss des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im Europarlament. Der Beschluss beinhaltet, dass betriebliche Rentenkassen jederzeit ausreichendes Vermögen zu einem angemessenen Wert haben müssen, um ihre Zusagen erfüllen zu können.
So muss die betriebliche Pensionskasse In Krisenzeiten der Finanzaufsicht nachweisen, wie sie das notwendige Vermögen zur fristgerechten Auszahlung der Leistungen beschafft. Man rechnet unter den Autoren mit viel Widerstand bei der Verwirklichung des Beschlusses als EU-Gesetz, ein robustes Regelwerk stünde den Interessen vieler der in der EU aktiven Kräfte jedenfalls entgegen.
So oder so aber sei eine offene und ehrliche Diskussion der Politik mit den Bürgern über Zustand, Kosten und mögliche Finanzierungsoptionen dringend angetan und dabei müsste zuerst einmal das optimistische Gerechne ein Ende haben. „Betriebsrenten sollen ein Zusatz und kein Lückenfüller für die öffentliche Rente sein. Deshalb braucht das Thema betriebliche Altersvorsorge vergleichbare Transparenz und Aufmerksamkeit.“