Versicherungsvertrieb: Im Netz machen Gerüchte die Runde, wonach die Sanktionen für Versicherungsvermittler im Zuge der neuen EU-Versicherungsvermittlerrichtlinie IDD II drastisch verschärft werden sollen - und zwar so, dass selbst kleinste Fehler die Existenz gefährden können. Mit mindestens 700.000 Euro sollen bei Verletzung von Informations- und Beratungspflichten die Vermittler zur Kasse gebeten werden. Doch was ist dran an diesen Gerüchten? Versicherungsfachanwalt Norman Wirth klärt auf.
Vermittler haben bei der Politik kaum eine Lobby, im Gegensatz zu den Versicherern selbst, so ist aus Vermittlerkreisen gelegentlich die Klage zu hören. Zu diesem Vorwurf würde ein Gerücht passen, das aktuell im Netz die Runde macht. Demnach soll im Zuge der neuen Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD, die voraussichtlich ab Februar 2018 in Kraft tritt, die Vermittlerhaftung drastisch verschärft werden. Und zwar derart, dass selbst bei kleinsten Fehlern die Existenz des Maklerbüros oder der Agentur auf dem Spiel stehen würde.
Mindestens 700.000 Euro Geldbuße bei Verstößen gegen Wohlverhaltensregeln?
Anlass für die Spekulationen ist Artikel 33 Absatz 2 IDD, der Sanktionen bei Verstößen gegen Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln von Vermittlern festschreiben soll. Neben einer Unterlassungsanordnung, einem zeitweiligen Berufsverbot und dem Erlaubnis-Widerruf seien auch empfindliche Geldbußen bei Fehlverhalten geplant, so wurde im Netz und sogar in Fachvorträgen verbreitet. Und zwar bei natürlichen Personen „mindestens 700.000 Euro und maximal das Zweifache der infolge des Verstoßes erzielten Gewinne beziehungsweise verhinderten Verluste.“
Das wäre wirklich eine exorbitant hohe Summe. Bei jedem kleinen Beratungsfehler und jeder vergessenen Erstinformation müsste die Finanzaufsichtsbehörde einen Vermittler mit einer sechsstelligen Strafzahlung belasten – mindestens. Wer würde überhaupt noch den Beruf ergreifen wollen, wenn die Vermittler derartige Sanktionen fürchten müssen? Welche Gewerbehaftpflicht sichert ein solches Risiko selbst bei kleinen Verstößen ab?
Ein Begriff ändert alles: MAXIMAL MINDESTENS ist nicht gleich MINDESTENS
Man müsste die hohe Strafsumme als Kampfansage der EU an den Versicherungsvertrieb sehen, baldiges Vermittlersterben nicht ausgeschlossen. Doch das Gerücht beruht auf einem Missverständnis, wie Fachanwalt Norman Wirth von der Kanzlei „Wirth Rechtsanwälte“ aus Berlin in einer Pressemeldung berichtet. Oder besser gesagt: auf einem einzigen Wort, das bei der Lektüre des IDD-Gesetzentwurfs überlesen und unterschlagen wurde. Die IDD sagt nämlich nicht, dass die Strafsumme mindestens 700.000 Euro betragen soll, sondern MAXIMAL MINDESTENS 700.000 Euro.
„Und das ist ein riesiger Unterschied“, klärt Norman Wirth auf. „Wenn die Strafe mindestens 700.000 Euro beträgt, heißt das, dass die Strafe nicht darunter liegen darf. Darüber darf sie aber liegen. Und damit wäre tatsächlich schon beim kleinsten Verstoß gegen Wohlverhaltensregeln, die in der IDD definiert werden, die Existenz des betroffenen Vermittlers zerstört.“
Wirth führt weiter aus: „Wenn die Strafe aber – wie tatsächlich in der IDD festgeschrieben - maximal mindestens 700.000 Euro betragen soll, heißt das, sie kann von 0 Euro Geldstrafe bis zu maximal 700.000 Euro Geldstrafe betragen. Der deutsche Gesetzgeber dürfte also nicht festlegen, dass die Maximalsanktion nur 500.000 Euro betragen soll. Wobei aber durch das „maximal mindestens“ dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit gelassen wird, die Maximalstrafe noch höher als die 700.000 Euro zu setzen.“ In der deutschen Gesetzgebung könnte folglich auch eine Maximalsanktion von einer Million Euro festgeschrieben werden – oder gar noch höher.
„Vielleicht reicht ein erhobener Zeigefinger“
Im Klartext: Keineswegs beabsichtigt der Gesetzgeber, bei kleinen Verstößen oder Schusseligkeiten die Vermittler bereits mit einer sechsstelligen Summe zu belasten. Dies zeigt auch ein Blick auf den folgenden Artikel 34 der IDD, wie Norman Wirth ausführt. Dort werde deutlich, dass bei der Höhe der Strafe die „Umstände des Einzelfalles“ zu berücksichtigen seien. Also Schwere und Dauer des Verstoßes, Höhe des Schadens etc.
„Bei geringer Schuld, keinerlei Schaden für den Kunden und vielleicht noch Reue des Vermittlers wäre eine Strafe von mehreren hunderttausend Euro insofern völlig absurd“, kommentiert Wirth. „Vielmehr reicht in solch einem Fall ein erhobener Zeigefinger und genau das hat der europäische Gesetzgeber auch so vorgesehen“. Manchmal reicht ein einziges Wort aus, um die Branche wieder ruhiger schlafen zu lassen – ein so unscheinbares Wort wie „maximal“.