Seit Jahresanfang 2015 können pflegende Angehörige eine Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, wenn ein Pflegefall in der Familie auftritt. So sieht es das "Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf" vor. Bis zu 24 Monate ist dann eine teilweise Freistellung von der Arbeit möglich. Doch das Angebot wird von den Bundesbürgern bisher kaum angenommen. Lediglich 90 Darlehen wurden für die Familienpflegezeit im letzten Jahr gewährt, berichtet die Bundesregierung. Von einer mehrmonatigen Auszeit machten bis zum Juni 2016 rund 39.000 Personen Gebrauch.
Wie können Beruf und die häusliche Pflege von Familienangehörigen besser vereinbart werden? Die Bundesregierung präsentierte als eine Antwort auf diese Frage die sogenannte Familienpflegezeit. Doch diese findet bisher kaum Anklang, wie das Portal biallo.de mit Berufung auf Zahlen der Bundesregierung berichtet.
Lediglich 90 entsprechende Darlehen für die Familienpflegezeit (Unterbrechung des Berufs bis zu 24 Monate) seien im Jahr 2015 beantragt worden. Die Zahl der Darlehen für die sogenannte Pflegezeit (6 Monate Auszeit) war mit 79 sogar noch geringer.
Die Zahl derjenigen, die eine mehrmonatige Auszeit genommen haben, ist freilich höher. Bis zum Juni 2016 haben demnach 39.000 Männer und Frauen eine mehrmonatige Auszeit genutzt, 13.600 Personen machten darüber hinaus von ihrem Recht auf eine zehntägige Unterbrechung der Arbeit Gebrauch.
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Die Familienpflegezeit soll eigentlich eine bessere Vereinbarkeit von häuslicher Pflege und Beruf gewährleisten. Rund 2,63 Millionen Pflegebedürftige leben derzeit in Deutschland – rund zwei Drittel davon werden in den eigenen vier Wänden von Angehörigen umsorgt. Gerade Frauen müssen oft ihren Beruf vorübergehend aufgeben oder die Arbeitszeit reduzieren, weil sie Angehörige zu Hause betreuen.
Erst Pflegezeit – dann Familienpflegezeit
Insgesamt gibt es drei Varianten zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Tritt ein Pflegefall in der Familie auf, können pflegende Angehörige zunächst für zehn Tage der Arbeit fernbleiben, um eine professionelle Betreuung zu organisieren. In dieser Zeit erhalten sie ein Pflegeunterstützungsgeld als Lohnausgleich, das aber extra beantragt werden muss.
Diese Auszeit lässt sich zunächst auf 6 Monate ausdehnen, in denen eine vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeit möglich ist („Pflegezeit“). Anrecht auf einen Lohnersatz haben die pflegenden Angehörigen in diesem Halbjahr nicht – sie können aber ein zinsloses Darlehen vom Bundesamt für Familie in Anspruch nehmen. Dieses Darlehen deckt maximal die Hälfte des Nettoverdienstes ab.
Von „Familienpflegezeit“ spricht man, wenn die Auszeit im Beruf über die Sechs-Monats-Frist hinaus beansprucht wird; maximal bis zu 24 Monate. Die Vorgaben für diesen Zeitraum sind strenger. So müssen die Pflegenden eine Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden nachweisen.
Hohe Hürden für Inanspruchnahme - und anschließende Schuldenlast?
Nun also zeigt sich, dass die Nachfrage nach der Auszeit bisher gering ist - wenn sie laut Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) auch anwächst. Und das liegt auch an den hohen Hürden, die für eine Inanspruchnahme überwinden werden müssen. So haben Arbeitnehmer aus kleinen Betrieben weder Anrecht auf Pflegezeit noch auf Familienpflegezeit.
Ein Rechtsanspruch auf die Pflegezeit, also ein sechsmonatiges Ausscheiden aus dem Beruf, besteht nur für Beschäftigte, die in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten tätig sind. Ein Rechtsanspruch auf die deutlich längere Familienpflegezeit besteht sogar erst ab 25 Beschäftigten in einem Unternehmen. Die geringe Nachfrage nach den Bundesdarlehen deutet zudem darauf hin, dass nur Familien die Auszeiten nutzen, die sich das ohnehin finanziell leisten können. Denn die Bundesdarlehen müssen mühsam vom Lohn wieder abgestottert werden - zusätzlich zu den hohen Kosten, die durch die Pflege entstehen.
„Viele können es sich nicht leisten, eine berufliche Auszeit zu nehmen, auf Lohn zu verzichten, sich zu verschulden und später auch noch das Darlehen zurückzuzahlen“, erklärt Pflegeexpertin Christel Bienstein, Pflegexpertin der Universität Witten-Herdecke, gegenüber derwesten.de. Und auch die Grünen üben Kritik: Selbstständige und Mitarbeiter in kleinen Betrieben hätten überhaupt kein Anrecht auf die Auszeiten für Pflege. Und finanzielle Einbußen müssten die Betroffenen in jedem Fall akzeptieren. „Die Lebenswirklichkeit heißt immer noch: Pflegezeit und Familienpflegezeit verringern das Einkommen“, sagt Pflegeexpertin Elisabeth Scharfenberg.