Der „Staat lockt Renten-Sparer in die Falle: Nicht mal die Hälfte der Beiträge bleibt übrig“, schrieb das Magazin „Focus“ kürzlich. Grundlage für diese Überschrift waren Zahlen des IW-Instituts in Köln, welches Sparformen wie Riester, Rürup oder die Betriebsrente untereinander verglichen hat. Dabei hat das Institut falsch gerechnet, sagt etwa der Mathematiker Werner Siepe. Das IW-Institut nahm zu kritischen Fragen des Versicherungsboten Stellung zu seiner aus Anlegersicht „unüblichen“ Rechnung. Ein Diskurs.
Das IW-Institut hat ein Papier namens „Förderkulisse der privaten Altersvorsorge“ vorgelegt. Dabei offenbart der Output von IW-Autorin Susanna Kochskämper erhebliche fachliche Mängel, die die Arbeit unbrauchbar machen, weil die Werte als falsch erscheinen, geht man mit Steuer- und Sozialrecht rechnerisch an die Modelle des IW heran.
Zunächst die Fehler, die aus Sicht des Autors und des zusätzlich konsultierten Finanzmathematikers Werner Siepe auffallen:
In Auszügen:
- statt Renten werden Kapitalendwerte nach Steuern berechnet. Bei Renten!
- Kapitalendwerte werden nicht in die Rentenphase hinein gerechnet.
- Pauschaler Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen, wo keine anfallen.
- Steuervorteile bei betrieblicher Altersversorgung und Rürup-Rente fehlen.
- Sozialversicherungsfreiheit von bAV-Beiträgen wurde nicht berücksichtigt.
- Steuer bei Kapitalauszahlung falsch angewendet
- Steuern sogar doppelt abgezogen (Tabelle 4 - nach Steuern und Sozialversicherung)
- Investmentfonds: Abgeltungssteuer nicht angewendet, sozialversicherungspflichtig gemacht
- Steuerbesonderheiten Rürup-Rente im Vergleich zur Betriebsrente in den ausgewiesenen Endwerten nicht unterschieden
- Intransparente Nennung von Prozentsätzen statt Eurobeträgen.
- Rechenwege (Beitrag plus Förderung) in der Praxis nicht anwendbar.
Von diesen Kritikpunkten unbeeinflusst, mangels Kenntnis und weil weder Steuerprofi noch Mathematiker, hat das Magazin „Focus.de“ die Zahlen des IW am vorvergangenen Freitag veröffentlicht: „Nicht mal die Hälfte der Beiträge bleibt übrig“, so die Botschaft des Magazins. Weswegen der Autor dieser Kritik auf das Papier des IW stieß, es las, prüfte und die Angaben des Instituts nachrechnete. Was die „Die Förderkulisse der privaten Altersvorsorge“ des IW in seinen Tabellen ausweist, das entspricht dem Titel des Papiers: eine Kulisse. Des IW. Zumindest eine solche, die selbst Fachleser straucheln lässt.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), Köln, rechnet bei seinem Modellvergleich zu Riester, Rürup, Betriebsrente und anderen privaten Sparformen mit hochtrabend als „Simulation“ bezeichneten Annahmen. Den Vorgaben nach spart ein künftiger Rentner in den kommenden 35 Jahren vier Prozent seines jährlichen Bruttoeinkommens in unterschiedliche Sparprodukte. Aus dem Endwert seiner Sparbemühungen erhalte der Sparer anschließend eine Rentenzahlung. Rente! Das wird im Folgenden noch wichtig.
Kurz gesagt macht das IW-Institut eine dem Finanzfachmann durchaus bekannte Schichtenrechnung zu den Alternativen für die private Altersversorgung auf.
Verglichen hat das IW:
- Riester-Rente
- Rürup-Basisrente
- Betriebsrente (kurz: bAV; Entgeltumwandlung in Pensionskasse/-fonds, Direktversicherung)
- Kapital-Lebensversicherung (kurz KLV, verrentet)
- Investment-Fonds (ungefördert)
Renten-Varianten vorgegeben, aber Kapitalauszahlung berechnet
Diese Ergebnisse präsentiert das IW nach (falscher!) Berücksichtigung der Steuer:
Bei den angegebenen Werten fällt beim Nachrechnen (genauer ist es ein rechnerisches Nachvollziehen, weil das IW keine Rechenwege lieferte) sofort auf, dass das IW in einem ersten Schritt das Endkapital der jeweiligen Sparform ermittelt (Beitrag mal 35 Jahre und 3% Zins), anschließend um den jeweiligen (Grenz-)Steuersatz des Sparers minderte und final als Prozentsatz ausweist. Dies deutet rechnerisch darauf hin, dass das IW den Endbetrag des Sparvorgangs steuerlich als Kapitalauszahlung behandelt hat. Dieses Vorgehen des Instituts widerspricht dessen eigenen „Simulations“-Vorgaben. Dessen Kriterien verlangen die Behandlung des Sparergebnisses als Rentenzahlung. So steht es auf Seite 12 des IW-Papiers:
„Angenommen wird, dass sich die Anleger für eine Rentenzahlung und nicht für eine einmalige Kapitalausschüttung entscheiden.“
Also hätten die Ergebnisse der Sparbemühungen der Musterpersonen des IW von dem Institut nicht um die Einkommensteuer für Kapital-Leistungen gekürzt werden dürfen. Vielmehr hätte das Institut seiner Vorgabe treu die Steuer auf die dem Sparvorgang folgende Rentenphase einrechnen und je Produkt untereinander vergleichen müssen. Das tat das Institut beziehungsweise dessen Autorin Susanna Kochskämper aber offensichtlich nicht.
Ergebnisse falsch hergeleitet
Stattdessen und mangels weiterer Betrachtung der auf den Sparvorgang folgenden Rentenphase, beendet das IW seine Berechnungen nach dem 35 Jahre laufenden Sparvorgang. Und liefert dem Publikum falsche Werte nach Versteuerung von Kapitalleistungen – obwohl bei Verrentung keine Kapitalauszahlung stattfindet und entsprechend nicht als solche zu versteuern ist. Deswegen sind die vom IW in den Tabellen genannten Ergebnisse untauglich.
Die Endwerte, genauer die jeweiligen Sparergebnisse der verglichenen Sparformen für die private Rente, repräsentieren nicht mehr (aber auch nicht weniger!) als die Barwerte für anschließende Renten. Darauf wäre die Steuer über (zum Beispiel) 20 Jahre zu berechnen gewesen. Dies ist offensichtlich nicht geschehen, weswegen das IW seine eigene Vorgabe, Renten zu berechnen, verfehlt.
Mathematiker Siepe: „Typischer Vergleich von Äpfeln mit Birnen“ Der Versicherungsbote bat den Finanzmathematiker Werner Siepe um ein Statement zu der Untersuchung des IW. Auch er sieht die Tabellen des Instituts, bei denen die Endwerte des jeweiligen Kapitals nach Steuern und Sozialversicherung mit den Bruttoeinzahlungen verglichen werden, im „völligem Widerspruch“ zur IW-eigenen Vorgabe der Rentenzahlung. Siepe nennt der Redaktion „vier systematische Fehler“ und kritisiert (1.) an dem IW-Werk „den Vergleich von Kapitalendwerten, obwohl es sich bei Rürup-, Riester- und Betriebsrente um reine Rentenprodukte handelt“. Ausnahmen etwa bei Riester (30 Prozent Kapitalisierung) hier einmal ausgenommen, weil als Maßstab Renten verglichen werden sollen.
Ferner kritisiert Siepe (2.) den „Vergleich von Nettokapitalendwerten mit Bruttobeitragssummen“, dies sei ein „typischer Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Besser wäre der Vergleich von Nettorenten mit Nettobeiträgen bei der Rürup-Rente, Riester-Rente und Betriebsrente.“ Ferner bemängelt der Mathematiker (3.) die zu hohe Besteuerung der Ablaufleistungen von Kapital-Lebensversicherungen, da fälschlicherweise von einer Belastung mit der Abgeltungsteuer ausgegangen wird (siehe Grafik).
Herbe Kritik, die Nummer vier in Werners Siepes Liste, erntet das IW dafür, dass es in seinen Tabellen bei Rürup- und Riesters Rente sowie bei der Kapital-Lebensversicherung (KLV) jeweils Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abzieht. Dies, wie Siepe betont, „obwohl Rentner ihre privaten Renten oder Ablaufleistungen aus der Kapital-Lebensversicherung sozialabgabenfrei erhalten“. Soweit Mathematiker Werner Siepe. Und ergänzt: Natürlich fällt auf Fondauszahlungen kein Kassenbeitrag an.
Hier die Tabelle 4 des IW: „Endwert des Kapitals nach Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen im Verhältnis zur geleisteten Bruttoeinzahlung“:
Hanebüchene Werte
Die in Tabelle 4 angegebenen Werte, hier legt sich der Autor dieser Kritik fest, sind hanebüchen! Erstens fallen – mit Ausnahme der bAV; dazu gleich – in der Rentenphase zu den vom IW verglichenen Sparformen keine Kranken-/Pflegebeiträge bei AOK, Barmer, DAK & Co an. Zumindest dann nicht, wenn (wie meistens) der Ruheständler in der so genannten Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ist, bei den Privaten Versicherern (PKV) sowieso nicht.
KdVR-Rentner zahlen für Kranken-/Pflegeversicherung nur den Beitrag, der auf ihre gesetzliche Rente fällig wird. Lediglich mit Status „freiwillig“ bei den gesetzlichen Kassen versicherte Rentner müssen Renten- oder auch Mieteinnahmen (etc.) bei ihrer Kasse verbeitragen lassen bis zur Bemessungsgrenze der gesetzlichen Kassen.
Natürlich müsste man das Vorstehende in einem präzisen Rechenmodell genau differenzieren: nach KVdR, „freiwillig“ und PKV. Aber selbst das IW macht hierzu keine Vorgaben in seinen „Simulationsannahmen“. Stattdessen wird nach der Rasenmäher-Methode jede Leistung der verglichenen Sparformen mit Beitrag belastet. Und deswegen und wegen des schon fortgeschrittenen Textes erspart der Autor Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle die genaue Definition und Abgrenzung KVdR und freiwillig Versicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung. Weil das IW es auch nicht tut.
Sonderfall bAV und Sozialversicherung
Selbst bei der bAV, deren Beiträge in der Sparphase grundsätzlich sozialversicherungsfrei sind, sinkt laut IW deren Prozent-Wert von Tabelle 3 (nach Steuern) zu Tabelle 4 (nach Steuern und Sozialversicherung) beim Kleinverdiener von 177,9% auf 154,9%. Auch die Werte der besser verdienenden Personen B und C sinken „nach Sozialversicherungsbeiträgen“ wie das IW schreibt. Das Gegenteil ist jeweils der Fall: Durch die steuerfreie Einzahlung und die Befreiung der Beiträge von der Sozialversicherung (nicht beim Hochverdiener mit 100.000 Jahresbrutto) steigt die Rendite der bAV.
Dem IW ist das Kunststück gelungen, die Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge in der Sparphase bei der bAV zu ignorieren und am Ende falsch abzuziehen, mit überhöhten 20% gar. Selbst freiwillig krankenversicherte Rentner zahlen auch im Falle von Sozialversicherungspflicht auf ihre Privatrente keine Beiträge mehr für Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Mathematiker Siepe: Steuerabzug doppelt berücksichtigt
„Besonders schwere Fehler“ sieht auch Mathematiker Werner Siepe bei den Werten zu Tabelle 4: „Um auf nur 80,1% der Bruttoeinzahlungen bei der Rürup- und Riester-Rente zu kommen, werden zunächst 20% für die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung von dem Kapitalendwert nach Steuern in Höhe von 133,4 % abgezogen (Zwischensumme 106,8%) und davon noch einmal 25% für die Steuern. Der Steuerabzug wurde also doppelt berücksichtigt. Da bei der privaten Rürup-Rente und privaten Riester-Rente überhaupt keine Sozialversicherungspflicht für in der GKV pflichtversicherte Rentner besteht, ist zudem der pauschale Abzug von außerdem (zu hohen) 20% völlig unsinnig.“
Und wegen dieses Unsinns wird die Tabelle 4 (nach Sozialversicherung) hier nicht mehr weiter verfolgt. Außerdem hätte sich das IW sich und dem irritierten Leser diese zweite Tabelle komplett ersparen können. Denn da das Werk ohnehin nur auf die Sparphase reflektiert, wäre lediglich das Ergebnis für die bAV zu korrigieren gewesen: nach oben, nicht nach unten.
Das sagt das IW-Institut
Der Versicherungsbote hat das IW mit der vorstehenden Kritik konfrontiert. Dessen Autorin, Susanna Kochskämper, antwortete:
In dem Artikel (gemeint ist das IW-Papier; Anmerkung der Red.) wird herausgestellt, wie unterschiedlich der Staat verschiedene Anlageformen behandelt und so Anlageentscheidungen zu beeinflussen sucht.
Ziel der einfachen Simulation ist es also nicht, tatsächliche Renditen für bestimmte Anlageprodukte zu berechnen, sondern genau diese Problematik zu verdeutlichen. Deshalb wird in der Simulation an mehreren Stellen abstrahiert (beispielsweise, wie in dem Artikel beschrieben, werden sämtliche Übergangsregeln nicht betrachtet, wie die sogenannte Steuertreppe) und vereinfacht, indem unter anderem ein Großteil der Haushaltssituation und sich daraus ergebende steuerliche und sozialversicherungspflichtige Besonderheiten ausgeblendet wird (so fällt der Grenzsteuersatz quasi „vom Himmel“). Anspruch ist also nicht ein allumfassendes Modell, in dem all diese Dinge berechtigterweise einfließen müssten – beispielsweise die Frage nach freiwilliger oder Pflichtversicherung in der Krankenversicherung, aber auch die gesamte Einkommenssituation und der sich daraus ergebender Grenzsteuersatz etc. Die Simulation ist aber auch nicht als ein solches bezeichnet und angelegt.
Der Vergleichbarkeit ist auch geschuldet, dass die Berechnung nicht den gängigen Methoden der Versicherungsmakler entspricht. So lässt sich der Effekt der Doppelbesteuerung nur herausstellen, wenn sich bereits die Einzahlungsbeiträge (einmal aus versteuertem Einkommen, einmal durch Freibeträge steuerfrei gestellt) unterscheiden –in der Literatur nicht unüblich, wie sich exemplarisch in dem zitierten Artikel von Börsch-Supan/Lührmann (2000) zeigt. Zeigen lässt sich diese Methode am Beispiel des modellierten Geringverdieners: In der betrieblichen Altersversorgung wird nachgelagert und nur einmal besteuert, die Einzahlung beträgt hier 720,- Euro, bei Riester durch die zusätzliche Förderung sogar 874,- Euro (Single). Beiträge zur Kapitallebensversicherung erfolgen hingegen aus dem versteuerten Einkommen, deshalb wurde hier ein Einzahlungsbetrag von 619,20 Euro modelliert (Bruttospar“-Ziel“ abzüglich Steuer).
Genauso wurde mit den Sozialversicherungsbeiträgen verfahren. Hier wird, ebenfalls aus Gründen der Vergleichbarkeit, der vollständige Beitrag (also die Summe aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag) herausgerechnet, um die Effekte einer vor- beziehungsweise nachgelagerten Verbeitragung darzustellen. Hierüber lässt sich sicher diskutieren, da aus der reinen Anlegersicht nur der „eigene“ Anteil an der Sozialversicherung relevant ist (aus Arbeitgebersicht sind hingegen die gesamten Arbeitskosten ausschlaggebend, so dass sich der Bruttolohn um „gesparte“ Arbeitsgeberbeiträge erhöhen kann beziehungsweise sich entsprechend verringert, müssen sie geleistet werden).
Geht es darum, die so modellierten Bruttobeiträge dem für die Rentenzahlung übriggebliebenen Kapital gegenüberzustellen, sind mehrere Methoden denkbar: Möglich wäre eine Rechnung mit einer monatlichen Rentenzahlung, in der die entsprechende Nettorente ausgewiesen ist (bei ansonsten gleichen Annahmen wie beispielsweise über die Laufzeit). Möglich wäre es auch, einen internen Zins auszuweisen (Fußnote1). Hier wurde das Verhältnis Bruttobeiträge – verbliebenes Nettokapital ausgewiesen. Das verbliebene Kapital ergibt sich aus den Steuer- und Abgabenregeln, die für eine Rentenzahlung gelten.
Zu den Sozialversicherungsbeiträgen (Hervorhebungen durch die Redaktion):
Hier wurden zur Vergleichbarkeit die vollständigen Sozialversicherungsbeiträge (inklusive durchschnittlicher Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung von 1,1% abgezogen) – also die Summe aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen, in der Pflegversicherung differenziert nach Beitrag für Kinderlose bzw. Eltern.
Ein Anleger rechnet nur „seine“ Beiträge zur SV.
In diesem Artikel ging es jedoch darum zu zeigen, wie unterschiedlich der Staat die Anlageformen behandelt. Nachgelagerte Verbeitragung bedeutet ja, dass die Belastung des Gehalts durch Arbeitslosenversicherungs- und durch Rentenversicherungsbeiträge komplett entfällt, ebenso entfällt auf die Rente (bei ehemals Pflichtversicherten) nur der hälftige Beitrag zur Krankenversicherung (das Gehalt wird hingegen bei einer vorgelagerten Verbeitragung auch mit dem Arbeitgeberbeitrag belastet, deshalb auch hier eine aus Anlageberater-Sicht „unübliche“ Rechnung).
(1)(s. hierzu beispielsweise auch Börsch-Supan/Quinn, 2015, Taxing pensions and retirement benefits in Germany, Mea Discussion Papers, 10-2015).