Heiß! Den Lebensversichern fehlen viele Milliarden, wohl Billionen, wenn man die Zahlen für Europa rechnet. Im Jahr 2010 errechnete die EU-Versicherungsaufsicht Eiopa für die Lebensversicherer noch 4,2 Prozent „sicheren“ Zins als langfristige Prognose. Nach denselben Regeln käme die Eiopa in diesem Jahr noch auf 0,25 Prozent risikofreiem Zins. Da das nicht geht und um die Lebensversicherer zu schützen, ändert die Eiopa nun ihren Rechenmodus. Und orakelt sich nun statt realen 0,25 einfach 3,7 Prozent Zins herbei. Und startet einen hoffnungslosen Hoffnungslauf, basierend auf Inflations-Fantasien – nicht auf Marktfakten.
Nach den Rechenregeln der EU-Versicherungsaufsicht Eiopa Stand 2010 erwirtschaften die Lebensversicherer aktuell noch 0,25 Prozent Zins. Zurzeit und noch gut fünfzehn bis zwanzig und mehr Jahre lang haben die Lebensversicherer (bald 0,9) 1,25, 1,75, 2,25, 2.75, 3,25, 3,5 und bis zu 4,0 Prozent Garantien in den Büchern stehen. Ohne Drama, rein in Zahlen der Eiopa: Es geht um Milliarden, nein Billionen Euro. Bei rund 90 Millionen Lebensversicherungs-Verträgen allein in Deutschland und im Schnitt 100 Euro Monatsbeitrag X Europa (Allianz, Axa bis Zurich) geht es um Billionen.
Selbst der aktuell beschlossene Rechnungszins von 0,9 Prozent übertrifft neuen Eiopa-Wert (rechnerisch 0,25 Prozent nach den Regeln 2010) fast um das Dreifache. Nun ändert die EU-Aufsicht einfach ihre Berechnungen. Ein Häuslebauer mit so einer schlechten Einkommensprognose müsste der Bank neue Sicherheiten stellen und Oma’s ihr Kleinhäuschen zusätzlich verpfänden. Aber Lebensversicherungen haben keine so vielen Omas, die so viele Sicherungsmittel (Pullover und Socken) stricken könnten. Die Eiopa setzt nun gegen ihre Regeln von 2010 eigene, neue Berechnungen für die Lebensversicherer mit stolzen 3,7 Prozent Zins-Hoffnung an. Ohne konkreten wirtschaftlichen Grund. Und wenn die Inflation nicht steigt. Nur steigt sie zurzeit nicht.
Zur Übersicht
Die Frage ist einfach. Mit wie viel Zinsen (EU-Aufsicht Eiopa: Ultimate Forward Rate, kurz UFR) können die Lebensversicherungen – und deren Kunden – für die kommenden Jahre rechnen, damit die Unternehmen ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Sparkunden nachkommen? 4,2 Prozent „risikofreier“ Zins gab die EU-Versicherungsaufsicht Eiopa im Jahr 2010 heraus, zusammengesetzt aus 2,2 Prozent Marktzins für sichere Staatsanleihen plus 2,0 Prozent Inflation (letztere „verbilligt“ Schulden, die Leistungspflichten der Versicherer). Grundlage hierfür war ein Papier namens Solvency II-Auswirkungsstudie QIS5; dies als Quelle.
Für das laufende Jahr kommt die Eiopa nach denselben Rechenregeln wie 2010 auf null Prozent Inflation. Plus 0,25 Prozent für zehnjährige deutsche Anleihen. Macht in Summe: 0,00 plus 0,25 Prozent Zins = 0,25 Prozent. Das entspricht derselben Wert-Addition wie der Eiopa-Regel von 2010. Mit diesem Wert wäre der Staus Quo eigentlich beschrieben.
Schnellleser, die es eilig haben, könnten hier enden. Im Folgenden kommen nämlich keine neuen, frohen Botschaften für die Lebensversicherung.
Schönen Feierabend!
Lang-Leser lesen das Papier der Eiopa vom 6. April 2016, das seine Zinsprojektion von (neu) 3,7 Prozent für die Lebensversicherer vor allem auf 1,7 Prozent Zins - plus Hoffnung auf 2,0 Prozent bei derzeit null und nicht vorhandener Inflation - stützt.
Zur Zinslage
Marktweit auf Deutschland bezogen, alle Policen zusammengenommen und einen Strich drunter gesetzt, mussten die Lebensversicherer ihren Kunden für das Jahr 2014 im Schnitt 3,15 Prozent auf die angesparten Kapitalien sicherstellen. Dieser so genannte Referenzzins ist etwa als Durchschnittsertrag der langfristigen Kapitalanlagen der Versicherer im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre zu erklären.
3,15 Prozent Soll-Zins, den die Versicherer 2014 marktweit zu erwirtschaften in der Lage waren, bedeutete vor zwei Jahren bereits, dass die Versicherer bei ihren Beständen mit 3,5 und 4,0 Prozent Garantien Geld drauflegen mussten. Da die Unternehmen in diesen Dimensionen kein eigenes Geld haben, nehmen sie sich die erforderlichen Zusatzmittel von ihren Kunden. Deren ohnehin schmalen, sinkenden Überschüsse werden seit einigen Jahren um die so genannte Zinszusatzreserve gemindert.
Dadurch sinken die Überschüsse für alle Kunden. Zu Lasten der Kunden und ihrer Verträge, die in diesen Jahren „zinsgemindert“ auslaufen, zu Gunsten der Ablaufleistungen der weiter bestehenden Verträge.
2014 galten 3,15 Prozent Referenz- also kritischer Zins.
2015 galten 2,88 Prozent.
2016 gelten 2,56 Prozent als Referenzzins (Quelle: Heistermann Aktuare)
Nach Eiopa-Rechenregeln von 2010: Null Komma 25 Prozent. Tendenz fallend.
Im Detail
Zur Betonung: Die Eiopa rechnet 2016 (zunächst) nach den gleichen (!) Rechen-Regeln wie 2010; damals übrigens mit Daten aus 2009 – verdammt nah und seinerzeit auswirkungsfern von den Anfängen der Finanzkrise 2008. Nun hat die EU-Aufsicht über die Assekuranz aber zusammengefasste Inflationsziele formuliert, mit anderen Worten, sie plant einen Hoffnungslauf. Und richtet ihre Erwartungen auf Inflationsziele der Europäischen Zentralbank von (hoffentlich bald wieder?!) 2,0 Prozent Geldentwertung (zurzeit nahe Null).
Zusätzlich (stark abgekürzt vorgetragen) rechnet sich die Eiopa noch weitere 1,7 Prozent Zinsen herbei. Diese Rate passt auch zu 1,86 Prozent Zins für zehnjährige Anlagen, mit denen etwa die anerkannte „Frankfurt School of Finance & Management“ (FSFM) rechnet, wenn sie die Kosten für Lebensversicherungs-Garantien kundenseitig kalkuliert. Eine 25-jährige Sparerin, für Versicherungsvermittler eine recht junge Kundin, muss rund 66 von 100 Euro in minimalverzinsliche Anlagen (Anleihen) betonieren, damit ihre Beiträge garantiert sind (Riester).
Zur Sache
„Risikofreie“ Verzinsung galt und gilt seit sechs Jahren. Wie errechnete die Eiopa diesen Wert? Zum einen nahmen die EU-Aufseher über die Assekuranz die „erwartete Verzinsung risikofreier Bonds“ (klassische Staatsanleihen erster Güte, wie sie jeder Lebensversicherer in Massen im Portfolio hat).
Für diese Anleihen ermittelte die Eiopa 2010, zum Anfang der bilanziellen Auswirkungen der Finanzkrise in den Büchern der Versicherer, einen Zins von 2,2 Prozent. Hinzu kam die Inflation von 2,0 Prozent, addiert 4,2 Prozent. „Moooment“, würde nun der kleine Mann rufen; etwa der, der Geld anlegt und sich um seine Rendite sorgt. 2,2 Prozent bekommen und wegen Inflation 2,0 Prozent höhere Preise macht unterm Strich gerademal noch 0,2 Prozent Vermögensplus – nicht 4,2 Prozent, wie die Eiopa rechnet. Das stimmt. Aber nur für den Sparer.
Zur Kasse bitte – oder Omas ihr Kleinhäuschen?
Schuldner rechnen anders. Etwa die Lebensversicherer, die fast 90 Millionen Lebensversicherungen mit Zins und zum Ablauf auch mit Tilgung bedienen müssen. Sie rechnen wie die Eiopa: 2,0 Prozent Inflation machen die Schulden „billiger“, erhöhen umgekehrt die Einnahmen. Plus 2,2 Prozent Zinsen ist gleich 4,2 Prozent gesamt. So die Alt-Rechnung der Eiopa 2010. Häuslebauer rechnen genauso. Je höher die Geldentwertung (sagen wir wie 2010 etwa 2,0 Prozent), desto weniger sind die Schulden „wert“.
Umgekehrt werden die Schulden aufs Häusle Jahr für Jahr entwertet. Kurzum: Wären die Lebensversicherer Schuldner (das sind sie ja), dann würde ihr Gläubiger, der Sparer, von ihnen neue Sicherheiten verlangen. Omas ihr Kleinhäuschen zu Beispiel. Aber das haben die Versicherer ja nicht. Nicht 90 Millionen mal jedenfalls nicht.