Die Bundesregierung plant, im Zuge der Rentenreform auch die betriebliche Altersvorsorge zu stärken. Doch welche Reformen sind notwendig, um in Zeiten niedriger Zinsen die zweite Säule der Altersvorsorge tatsächlich zukunftsfähig zu machen? Und wo herrscht der größte Nachbesserungsbedarf? Der Versicherungsbote hat bei Norbert Müller nachgefragt, bAV-Experte und Geschäftsführer der Premium BAV in Schwetzingen.
Versicherungsbote: Der Gesetzgeber will unter Federführung von Sozialministerin Nahles und Finanzminister Schäuble das Betriebsrentensystem in Deutschland stärken. Ist das nötig?
Da sind die Versicherer bestimmt anderer Meinung…
Das glaube ich gern. Doch schauen Sie sich einmal die nahezu hundertprozentige Rückdeckung der Rentenzusagen über Versicherungsprodukte an. Da sinkt seit drei Jahrzehnten die Verzinsung. Das früher positive Verhältnis aus Einzahlungen und der Auszahlung am Ende kippt allmählich ins Negative. Uns liegen etliche Versicherungs-bAV-Verträge zum Beispiel aus dem Jahr 2014 vor, bei denen die garantierte Ablaufleistung niedriger ist als die Summe der einbezahlten Beiträge! Und das bei Laufzeiten von deutlich über 25 Jahren! Betrachtet man dann noch die Nettoauszahlungen aus vielen bAV-Verträgen nach Kosten, Steuer und Krankenversicherungsbetrag im Vergleich zu den Einzahlungen, hat man jetzt meistens schon ein negatives Ergebnis.
Dafür verantwortlich sind aber bestimmt nicht nur die niedrige Verzinsung und die teils ansehnlichen Kosten aufseiten der Produktgeber, oder?
Das stimmt. Auch der Gesetzgeber hat erheblich dazu beigetragen, dass die versicherungsgestützten Durchführungswege der bAV allmählich zum Nullsummen-Spiel werden. Wenn‘s hochkommt. Etwa durch die stufenweise Verschlechterung der Förderung sowie durch die Erhöhung der Pauschalsteuern bei alten 40b-Verträgen von acht auf 20 Prozent. Sozialversicherungsvorteile gibt es überdies nur noch, wenn die bAV-Beiträge aus Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld überwiesen werden. Zudem wurde die komplette nachgelagerte Leistungsbesteuerung eingeführt, schließlich mit dem Gesetz zur Verbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung die Sozialversicherungspflicht aller Leistungen.
Für Arbeitgeber möglicherweise eine nicht ganz erfreuliche Situation…
Das kann sogar existenziell bedrohlich werden für die eine oder andere Firma. Etwa wenn die arbeitsrechtlich erteilten Versorgungszusagen und die gewählten Refinanzierungssysteme nicht aufeinander abgestimmt sind. Allgemein muss ein Arbeitgeber, der Gesetzgeber will es so, gegenüber seinen Arbeitnehmern hundertprozentig für eine Betriebsrentenzusage haften. Selbst wenn die Refinanzierung nicht oder nur zum Teil funktioniert. Angesichts der aktuellen Hiobsbotschaften aus der Versicherungswirtschaft besteht ein hohes Risiko, dass künftig enorme Ansprüche auf die Arbeitgeber zukommen werden.
Falls dies tatsächlich stimmt: Welche Fehler wurden denn Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit bei der Etablierung versicherungsgestützter bAV-Konzepte gemacht?
Oft haben Unternehmen Leistungszusagen erteilt, die zum Zeitpunkt des Rentenbeginns die bei Vertragsabschluss prognostizierten, aber nicht garantierten Gewinnanteile einer bAV-Versicherungslösung beinhalten. Bisweilen wurden außerdem BU-Renten mit abgesichert, ohne dass die Definition der Berufsunfähigkeit als solche mit dem Tarifwerk der Versicherung im Hintergrund abgestimmt war.
Bedeutet dies auch, dass der Vertrieb jetzt möglicherweise von den früheren Produktschwächen und den Fehlern der Vergangenheit eingeholt wird?
Durchaus möglich. Für den Vertrieb und die Berater ist eines der Hauptrisiken die Haftung für empfohlene und realisierte Versorgungswerke und die daraus entstehenden Finanzierungslücken. Falls ein Berater seinerzeit nicht auf die üblichen arbeitsrechtlichen, steuerrechtlichen und Refinanzierungsrisiken hingewiesen hat, muss er im Zweifel haften aufgrund mangelnder Aufklärung und Dokumentation.
Was erwarten Sie vom Gesetzgeber? Muss vor diesem Hintergrund nicht das gesamte Betriebsrentengesetz in Deutschland umgestaltet werden?
Das eher nicht, weil alle Lösungen ja vorhanden sind. Produktgeber und Vertrieb müssen den Menschen besser als bislang erklären, wie gewerbliche Erträge entstehen und wie diese für die betriebliche Altersversorgung eingesetzt werden können. Nötig ist auch, Arbeitnehmer wieder viel stärker an ihre Firmen zu binden, zugleich die Unabhängigkeit der Unternehmen von Banken und Fremdkapital zu vergrößern. Hier spielt insbesondere die betriebliche Altersversorgung eine sehr wichtige Rolle – idealerweise durch die Stärkung von Direktzusagen und die Etablierung von Unterstützungskassen als funktionierende, bewährte und vor allem flexible bAV-Durchführungswege.
Steckbrief Norbert Müller: Müller ist gelernter Versicherungskaufmann, Fachwirt für Finanzberatung sowie Betriebswirt (IHK). Er ist seit 1987 in der Finanzbranche tätig und beschäftigt sich seit 1996 schwerpunktmäßig mit dem Bereich betriebliche Altersvorsorge in Unternehmen. Sein Schwerpunkt liegt auf der Konzeptionierung und Realisierung von versicherungsfreien Firmenversorgungswerken.