Wie dramatisch ist die Altersarmut in Deutschland? Über diese Frage ist eine Debatte zwischen Bundessozialministerin Andrea Nahles und Sozialexperten entbrannt. Nahles will in den aktuellen Armutsbericht hineinschreiben, dass die Altersgruppe der ab 65-jährigen weniger von Armutsgefährdung betroffen sei als die Gesamtbevölkerung, da aus dieser Altersgruppe nur drei Prozent Grundsicherung erhalten. Die Experten widersprechen - und verweisen auf die hohe Dunkelziffer.
Ein Expertengremium hat Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) gewarnt, die Altersarmut im neuen Armuts- und Reichstumsbericht des Bundessozialministeriums zu verharmlosen. Das berichtet „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 04.03.2017. Das Magazin zitiert einen Entwurf des bisher unveröffentlichten Berichtes. Darin heißt es: „Die Altersgruppe der ab 65-jährigen ist durchschnittlich weniger von Armutsgefährdung betroffen als die Gesamtbevölkerung“.
Hohe Dunkelziffer vermutet
Hintergrund der Aussage ist der Umstand, dass zwar immer mehr Senioren auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind – im Dezember 2015 bezogen demnach 1.038 Millionen Bundesbürger entsprechende Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII). Dennoch relativiert sich diese Zahl, wenn man sie ins Gesamtverhältnis zu allen Senioren setzt. Dann nämlich lässt sich feststellen, dass „nur“ drei Prozent der Generation Ü65 auf Grundsicherung angewiesen sind.
Der Beraterkreis von Andrea Nahles hat jedoch darauf hingewiesen, dass „die Dunkelziffer“ der Bedürftigen höher liege und es sich bei Altersarmut oft um „verdeckte Armut“ handle. Denn viele Senioren scheuten entweder aus Scham den Gang zum Sozialamt oder wüssten schlichtweg nicht, welche Sozialleistungen ihnen zustünden. Diese verdeckte Armut werde im aktuellen Bericht nicht thematisiert, kritisiert der Beraterkreis. Dies geht laut „Spiegel“ aus einem Protokoll des Bundessozialministeriums zu einem Symposium mit Sozialexperten und Verbänden hervor.
Viele Grundsicherungs-Empfänger im Alter "haben keine Berührungspunkte zur gesetzlichen Rentenversicherung"
Die Zahl der Grundsicherungs-Empfänger im Alter hat sich seit 2003 mehr als verdoppelt, erstmals waren 2015 mehr als eine Million Menschen davon betroffen. Dennoch verweist die Bundesregierung darauf, dass dies mit drei Prozent nach wie vor nur einen kleinen Teil der Menschen ab 65 Jahren betreffe. Von massenhafter Altersarmut könne folglich keine Rede sein. Zudem seien viele Solo-Selbständige betroffen, die gar nicht oder nur kurz in die Rentenkasse einzahlten und nun dennoch Grundsicherung erhalten.
Auch Karl Schiewerling, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, warnt davor, die Altersarmut zu dramatisieren. „Trotz dieser Steigerung sind nur drei Prozent aller Senioren auf Grundsicherungsleistungen angewiesen“, sagte Schiewerling in einem Interview mit dem Versicherungsboten. „Viele davon haben kaum Berührungspunkte zur gesetzlichen Rentenversicherung, darunter auch beachtlich viele, die erwerbsgemindert sind. Das zeigt auch, dass wir an den Ursachen arbeiten sollten.“
Die angedachte Lebensleistungsrente habe insoweit einige Defizite, sagte Schiewerling. „Wichtiger ist beispielsweise eine Absicherungspflicht für Selbständige, die keinem Pflichtversicherungssystem angehören. Im Bereich der Absicherung der Erwerbsminderung haben wir jetzt mehrere Schritte unternommen, die auch zu steigenden Erwerbsminderungsrenten führen. Schließlich muss man sehr differenziert schauen, was man im Bereich der Geringverdiener oder unserer Beschäftigten nachbessern kann. Altersarmut wird durch gute Ausbildung und durch eine durchgehende Erwerbsbiografie verhindert“, so der CDU-Experte.