Erwerbsunfähigkeitsversicherungen sind „unbefriedigende Notlösungen“, kritisiert Gerd Kemnitz. Der Versicherungsmakler aus Stollberg begründete dies nicht nur mit dem reduzierten Versicherungsschutz sondern auch mit der fehlenden Beitragsbefreiung im Falle einer Berufsunfähigkeit (der Versicherungsbote berichtete). Schließlich gäbe es viele Krankheiten, die langsam beziehungsweise in Schüben zunächst zu einer Berufsunfähigkeit und erst Jahre später zur Erwerbsunfähigkeit führen. „Doch wovon soll ein von BU Betroffener seine Beiträge für die EU-Versicherung weiterbezahlen?“ – fragte Kemnitz damals.
Versicherungsbote: Hat sich seit Ihrer Kritik etwas geändert? Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Vorschlag einer BUZ-Beitragsbefreiung in der EU-Versicherung erhalten?
Gerd Kemnitz: Für den Verbraucher hat sich leider noch nichts geändert. Es gibt die „Kombinierte Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung“ der Iduna, bei der man eine EU-Rente mit Beitragsbefreiung bei BU wählen kann. Die selbstständigen EU-Versicherungen werden meines Wissens nach wie vor ausnahmslos ohne BUZ-Beitragsbefreiung angeboten. Die Reaktionen auf meinen Vorschlag waren eher zurückhaltend. Die Versicherer führten hier vorrangig
- die höhere Komplexität des Produkts,
- strengere Risikoprüfungen bei der Antragsannahme,
- und den erforderlichen höheren Beitrag
als Probleme an. Kurz: Mit dem Einschluss einer BUZ-Beitragsbefreiung würde man die ursprünglich mit einer EU-Police angestrebten Ziele durchkreuzen.
Das klingt doch durchaus nachvollziehbar.
Vielleicht fehlt den Versicherern aber auch der ernsthafte Wille für einen verbraucherfreundlichen Einschluss. Denn wer berufsunfähig wird und die Beiträge für seine EU-Versicherung nicht mehr bezahlen kann, verliert seinen Versicherungsschutz zum ungünstigsten Zeitpunkt. Oder aus Sicht des Versicherers – die Versicherung endet, wenn das Schadensrisiko überdurchschnittlich hoch geworden ist. Das dürfte manchem Versicherer gelegen kommen.
Übrigens führt die BUZ-Beitragsbefreiung auch bei Risikolebensversicherungen oder Rentenversicherungen zu einer höheren Komplexität, einer strengeren Antragsprüfung sowie zu höheren Beiträgen. Trotzdem wird sie dort von nahezu allen Versicherern seit Jahren angeboten. Aber hier werden ja beim Übergang von Berufsunfähigkeit zu Erwerbsunfähigkeit auch keine weiteren Leistungen fällig. Also mir erscheinen die Gegenargumente doch etwas zweifelhaft.
Könnte ein Vermittler das Problem auch lösen, indem er zusätzlich zur EU- noch eine kleine BU-Versicherung empfiehlt?
Damit der Versicherte bei Berufsunfähigkeit dann von der BU-Rente die Beiträge für die EU-Versicherung weiterbezahlen kann? So einen Vorschlag habe ich schon mal gelesen. Aber das funktioniert nicht, wenn der Betroffene Arbeitslosengeld 2 beantragen muss. Dann würde die BU-Rente zur Kürzung des ALG2 führen und nicht mehr zur Bezahlung der EU-Versicherung zur Verfügung stehen.
Bisher argumentierten Sie häufig, dass es keine Alternativen zur Berufsunfähigkeitsversicherung gäbe. Wäre eine EU-Versicherung mit BUZ-Beitragsbefreiung dann solch eine Alternative?
Nein! Nur die Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt eine monatliche Rente, wenn der zuletzt ausgeübte Beruf auf Grund irgendeiner Krankheit oder Körperverletzung nicht mehr ausgeübt werden kann. Alle anderen Produkte beziehen sich nicht auf den zuletzt ausgeübten Beruf oder leisten nur bei ausgewählten Krankheiten oder Körperverletzungen. Vielleicht kann ich dies an einem Beispiel verdeutlichen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein 30-jähriger Bäckergeselle bis zu seinem 65. Lebensjahr berufsunfähig wird, liegt nach Angaben eines Versicherers bei circa 66 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in dieser Zeit erwerbsunfähig wird, bei circa 28 Prozent.
Darf man dann ein Produkt, das nur bei Erwerbsunfähigkeit – also nicht einmal in der Hälfte der Fälle – leistet, als Alternative zur BU-Versicherung anbieten? Das wäre Betrug am Kunden.
Auch wenn es schwer fällt – wir müssen gegenüber den Personen, die keinen BU-Schutz bekommen beziehungsweise bezahlen können, ehrlich bleiben. Wir Vermittler sind doch nicht schuld, dass die Versicherer diesen Personen keinen bezahlbaren BU-Schutz mehr anbietet – sondern nur noch Notlösungen. Aber EU-, GF- oder auch MultiRisk-Versicherungen mit BUZ-Beitragsbefreiung wären zumindest etwas bessere Notlösungen.
Erwarten Sie, dass zukünftige EU-Tarife eine BUZ-Beitragsbefreiung haben werden?
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Entscheidend wird sein, ob die renommierten Analysehäuser diesen Punkt in ihre Ratingverfahren aufnehmen. So lange sie Tarife auch ohne diese Beitragsbefreiung mit Bestnoten bewerten, gibt es für die Versicherer kaum Anreize, verbraucherfreundlicher zu werden.
Und hier zeigt sich auch das Dilemma von Ratings für den Vermittler. Welche Kriterien mit welcher Wichtung in ein Rating einfließen, sind zweifellos gut überlegte – aber trotzdem subjektive Entscheidungen der jeweiligen Analysten. Und es ist keinesfalls sichergestellt, dass für den Verbraucher wichtige Punkte dabei berücksichtigt werden.
Deshalb sollte jeder Versicherungsmakler selbst prüfen, ob die Versicherungsbedingungen eines Tarifs dem Kundenwunsch möglichst nahe kommen – auch wenn es sich um eine Notlösung handelt. Aber auch mir wäre lieber, ich könnte jedem Interessenten eine bezahlbare Berufsunfähigkeitsversicherung anbieten, so wie das schon der Kollege Matthias Helberg kürzlich hier gefordert hat. Dann wäre diese Diskussion über EU-Versicherungen sehr wahrscheinlich überflüssig.
Vielen Dank für das Interview!