Klassische Lebensversicherungen drohen weiter an Attraktivität zu verlieren. Laut internen Berechnungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sinkt der sogenannte Referenzzins für die Zinszusatzreserve binnen Jahresfrist von 2,54 auf 2,21 Prozent. Das bestätigte ein BaFin-Sprecher der Wirtschaftszeitung „Euro am Sonntag“ (Ausgabe 14. Oktober).
Der Referenzzins gibt üblicherweise die Richtung der Überschüsse vor, den die Branche im Schnitt ihren Neukunden für das kommende Jahr zuweist. Im Jahr 2017 erhielten neu abgeschlossene private Rentenpolicen im Schnitt eine laufende Verzinsung von 2,61 Prozent gutgeschrieben, so hat das Analysehaus Assekurata errechnet. „Für 2018 ist im Marktdurchschnitt von einem weiteren Rückgang der laufenden Verzinsung auf schätzungsweise 2,40 Prozent auszugehen“, sagt Assekurata-Bereichsleiter Lars Heermann der „Euro am Sonntag“.
Auch höhere Rücklagen müssen gebildet werden
Die BaFin ermittelt den Referenzzins -stark vereinfacht- jeweils Ende September aus dem zehnjährigen Renditedurchschnitt europäischer Staatsanleihen mit höchster Bonität. Veröffentlicht wurde er bisher noch nicht. Laut Heermann ist der Referenzzins ein guter Gradmesser für die Branche, „weil etwa 90 Prozent des Versichertengeldes in Anleihen stecken“.
Die Versicherer legen gegen Jahresende fest, wie sie das Geld ihrer Kunden im folgenden Jahr verzinsen. Dabei müssen sie bei klassischen Lebensversicherungen mindestens den zu Vertragsbeginn vereinbarten Garantiezins auf den Sparanteil (abzüglich Vertriebs- und Verwaltungskosten) erfüllen – bei Policen, die in den 90er Jahren abgeschlossen wurden, können das bis zu vier Prozent sein.
Diese hochverzinsten Altverträge belasten indirekt auch Neukunden. Um die hohen Garantiezinsen bedienen zu können, müssen die Versicherer Rückstellungen bilden, so schreibt es der Gesetzgeber vor: die sogenannte Zinszusatzreserve. Je weiter der Garantiezins eines Vertrages über dem Referenzzins liegt, desto mehr Geld müssen die Versicherer der Zinszusatzreserve zuführen.
Auch bei der Zinszusatzreserve bahnt sich dank des gesunkenen Referenzzinses von 2,21 Prozent ein neuer Rekord an. Erstmals müssen nun auch Rücklagen für Verträge gebildet werden, die zwischen Anfang 2007 und Ende 2011 abgeschlossen wurden: Sie sahen einen Garantiezins von 2,25 Prozent vor. Dies bestätigte ein BaFin-Sprecher der „Euro am Sonntag“. Nach Schätzungen von Assekurata muss die Branche im laufenden Jahr der Zinszusatzreserve insgesamt rund 20 Milliarden Euro zuführen. 2016 waren es 13 Milliarden Euro.
Versicherer ziehen sich aus Geschäft mit klassischen Leben-Policen zurück
Im aktuellen Niedrigzins-Umfeld sind klassische Garantie-Policen sowohl für die Versicherer als auch die Kunden sehr teuer. Die Lebensversicherer haben Probleme, neue Anlagemöglichkeiten für das Geld ihrer Kunden zu finden. Um höhere Renditen zu erzielen, müssten sie auf lange Laufzeiten setzen. Das Problem hierbei: Das Zinstief würde dann an nachfolgende Generationen vererbt, selbst wenn die Zinsen zwischenzeitlich wieder steigen sollten. Die Alternative wäre ein Investment in risikoreichere Anlageklassen, die oft auch mehr Rendite abwerfen. Dann aber müssten die Versicherungen mehr Eigenmittel hinterlegen, was wiederum die Bilanzen gefährden würde.
Deshalb ziehen sich immer mehr Versicherer aus dem Geschäft mit der „klassischen“ Lebensversicherung zurück. Beim Marktführer Allianz ist das Neugeschäft mit diesen Verträgen auf unter zehn Prozent gesunken, so geht aus Unternehmenszahlen hervor. Andere Anbieter wie die Debeka oder Zurich haben das Neugeschäft mit diesen Verträgen komplett eingestellt. Statt einen Garantiezins anzubieten, setzen sie auf neue Mischmodelle, bei denen oft nur der Erhalt der eingezahlten Beiträge garantiert ist. Zugleich dürfen die Versicherer das Geld der Kunden riskanter investieren. Für die Sparer freilich bedeutet dies, sie müssen das Anlagerisiko selbst schultern - sogar bei langer Vertragslaufzeit. Die klassische Lebensversicherung droht zu einem Auslaufmodell zu werden.