Digitalisierung in der Krankenversicherung – da denken viele an Lebensstil- und Fitnessdaten, sogenannte "Pay as you live"-Tarife. Diese würden eine noch striktere Selektion der Versicherten bedeuten, weil immer mehr sensible Daten von den Versicherten erhoben werden. Clemens Muth, Vorstandsvorsitzender der DKV, denkt auch in die andere Richtung. Im Gespräch mit dem Versicherungsboten erklärt er, wieso gerade die Digitalisierung PKV-Tarife mit weniger Datenhunger erlaubt.
Herr Muth, immer mehr Krankenzusatzversicherungen kann man direkt im Internet abschließen. Wird man dafür bald keine Vermittler mehr brauchen?
Doch. Der Online-Vertrieb wird zwar immer wichtiger und der Trend geht im Markt genau in diese Richtung. Daher sind bei der DKV fast alle Zusatzversicherungen auch schon online abschließbar. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns hier nichts vormachen sollten: Bis jetzt ist immer noch der Verkauf über den Vermittler oder den Makler der häufigste Weg, wie eine Krankenzusatzversicherung abgeschlossen wird. Daran wird sich aus meiner Sicht so schnell nichts ändern. Die meisten Menschen lassen sich aus gutem Grund eben lieber persönlich beraten, gerade wenn es um ihre Gesundheit geht. Die Vertriebspartner beraten umfassend und kompetent und kennen die passenden Tarife. Strategisch wollen wir, dass unsere Kunden selbst entscheiden können: Jeder soll so zu uns kommen, wie er möchte - ob über eigene Vermittler, Makler, Internet, oder den telefonischen Kundenservice. Oder heute so und morgen so.
Was heißt das für die Produkte, wenn alle Wege offenstehen sollen?
Für uns bei der DKV heißt das, dass wir keine extra Online-Produkte anbieten. Alle Produkte sind auf den unterschiedlichen Kanälen gleich, die Preise übrigens auch. Produkte, die auch online zu kaufen sind, müssen vor allem intuitiv, einfach und preiswert sein. Um das zu schaffen, stellen wir schon im Prozess der Produktgestaltung diese Einfachheit und Verständlichkeit ganz nach oben. Wir hinterfragen heute auch sehr kritisch, ob ein Produkt Alterungsrückstellungen braucht oder nicht. Bei vielen Zusatzversicherungen sind Alterungsrückstellungen überflüssig. Und schließlich müssen wir dann noch eine Lösung für die Gesundheitsprüfung finden.
Wo liegt da das Problem?
In der ganzen Diskussion um Digitalisierung, Fitnessdaten und spezielle Tarife geht es vielfach darum, dass Versicherer oder solche, die es werden wollen, noch mehr Daten von ihren Kunden verlangen oder meinen zu brauchen. Ich sehe einen Trend in die komplett andere Richtung, vor allem bei der Zusatzversicherung: Die meisten Menschen haben wenig Lust, ihre Gesundheitsdaten ihrem Krankenversicherer offenzulegen oder reihenweise Fragen zu beantworten. Jede zusätzliche Gesundheitsfrage ist ein Störfaktor – insbesondere, wenn der Online-Abschluss für den Kunden möglichst schnell und einfach funktionieren soll. Also: Produkten ohne Gesundheitsfragen gehört die Zukunft. Und wenn schon Gesundheitsfragen, dann müssen sie in wenigen Klicks beendet sein, sonst bricht der Kunde den Vorgang ab.
Aber ganz ohne Gesundheitsfragen besteht ein Risiko der Antiselektion: Die Produkte werden zu teuer und gesunde Kunden suchen sich andere Anbieter. Wie lässt sich das lösen?
Einerseits über entsprechende Wartezeiten oder Leistungsstaffeln, andererseits über das Gesetz der großen Zahl. Gerade die Krankenzusatzversicherung ist ein Massengeschäft. Hier haben die großen Anbieter einen Vorteil, weil sie auch in Tarifen ohne Gesundheitsfragen eine vorteilhafte Risikomischung hinbekommen.
Wie sieht es aus mit den Angeboten der betrieblichen Krankenversicherung? Bisher ist das ein vergleichsweise kleiner Nischenmarkt. Kommt hier mit digitalen Angeboten mehr Schwung hinein?
Da bin ich sicher. Die Vorgabe, dass ein Produkt transparent, einfach und preiswert sein muss, gilt für die betriebliche Krankenversicherung ganz genauso. Denn der Arbeitgeber möchte schnell wissen, was er für seine Mitarbeiter bekommen kann und es diesen erläutern. Gesundheitsprüfungen haben wir hier schon lange nicht mehr. Auch hier geht der Trend hin zu Onlinelösungen. Allerdings gilt für die Arbeitgeber dasselbe wie für alle Kunden: Der persönliche Kontakt ist und bleibt enorm wichtig.
Die Fragen stellte Jenny Müller