Überraschenderweise handelt es sich bei dem Vertrieb der Zusatz-Policen nicht um ein neues Phänomen. Bereits seit 1971 werden die Versicherungen über Lehrer in Baden-Württemberg vertrieben, berichtet „Spiegel Online“. Umso überraschender, dass diese Praxis erst jetzt zum Thema wird.
Bedenklich ist dieser Versicherungsvertrieb über die Klassenzimmer in mehrerer Hinsicht. Zum einen könnte die Schule für wirtschaftliche Zwecke missbraucht werden. Entsprechend kritisch äußert sich Peter Breun-Goerk von der Wettbewerbszentrale Bad Homburg: Gegenüber Spiegel Online sagte der Jurist, er finde es „merkwürdig“, dass Versicherungen an Schulen vertrieben werden. Die Schule solle ein geschützter und werbefreier Raum sein. "Bei 1,5 Millionen Schülern und Schülerinnen als potentielle Versicherungsnehmer kann man nicht von Geringfügigkeit sprechen", kommentiert der Wettbewerbshüter.
Darüber hinaus stellt sich aus Sicht des Versicherungsvertriebs die Frage, ob die Schulen und Lehrer überhaupt berechtigt sind, entsprechende Versicherungen zu vertreiben. Wer sich in Deutschland derart betätigt, muss laut Gesetzgeber eine entsprechende Zulassung und Qualifikation nachweisen. Auch für Tippgebertätigkeiten gibt es strenge Vorschriften. Laut „Spiegel Online“ verteilen die Lehrer die Verträge und kassieren auch die Beiträge. Die Schulverwaltungen überweisen dann das Geld an die öffentlichen Versicherer. Ob Schulen und Lehrer mit an den Verträgen verdienen, konnte nicht geklärt werden.
Kritik von Verbraucherschützern, wonach die Eltern keine Versicherungsberatung erhalten, weisen die Konzerne laut "Spiegel Online" zurück. Aufgrund der Geringfügigkeit der Police von einem Euro sei eine Beratung gar nicht notwendig, so hätten sich die Versicherer positioniert. Auch das Bundesministerium betone, das "Mitwirken der Lehrer" falle kaum ins Gewicht. Eine fragwürdige These: Werden die Eltern beispielsweise nicht auf Ausschlüsse hingewiesen und das Kind erleidet einen Schaden, der laut Vertrag nicht versichert ist, stellt sich die Frage, wer dafür haftet.
Dass eine Versicherungsberatung trotz der niedrigen Beiträge angebracht wäre, zeigt auch die Webseite der Badischen Versicherung. Dort wird die Schüler-Police als "Rundumschutz" beworben, die "Versicherungslücken der gesetzlichen Versicherung" schließt. Ein "Rundumschutz" sind die Verträge eben gerade nicht: Sie enthalten gefährliche Absicherungslücken, gerade für den Fall der Invalidität.