Der Italiener Matteo Carbone gilt als Vordenker in Sachen Insuretechs und digitale Transformation. Er hat das internationale Think Thank "Connected Insurance Observatory" gegründet, dem sich mehr als 30 Versicherer und andere Assekuranzdienstleister in Europa und Nordamerika angeschlossen haben. Von der Seite "insuretechnews.com" wird er aktuell als wichtigster Influencer genannt. Zuvor war Carbone elf Jahre lang für die Unternehmensberatung Bain & Company tätig. In diesem Interview berichtet er über seine Einschätzung der digitalen Transformation, Telematik und warum er mit Andrea Silvello ein Buch geschrieben hat.
Das Interview erschien zuerst bei Dr. Robin Kiera auf Digitalscouting.de in Englisch und wurde auf InsurtechNews erneut abgedruckt. Nun veröffentlicht der Versicherungsbote es exklusiv auf Deutsch.
Robin Kiera: Um einen ersten persönlichen Eindruck zu gewinnen: Kannst du uns verraten, welches deine drei wichtigsten „technischen Spielereien“ sind, die du unbedingt haben musst?
Matteo: Nun, für mich sind das: Smartphone, tragbare Powerbank... und eine zweite portable Powerbank, die natürlich größer ist als die erste.
Ok, wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich zugegebenermaßen ein Konnektivitätsproblem. Betrachte ich etwa gerade meinen Akkuverbrauch, so kann ich genau sehen, dass ich in den letzten 24 Stunden volle 8 Stunden vor dem Bildschirm verbracht habe. In den letzten sieben Tagen waren es 53 Stunden insgesamt. Damit verbringe ich 30 Prozent meiner Zeit (auch) vor dem Bildschirm des Telefons.
Das klingt nach einer Menge verschwendeter Zeit, die für andere Sachen fehlen könnte. Das mag zum Teil stimmen. Doch ich glaube, dass uns diese Art der Interaktion auch mehr Möglichkeiten bietet, Zeit sinnvoll auszufüllen. Denken Sie etwa an die ganze Freizeit, die verloren geht, wenn Sie im Taxi sitzen, im Aufzug fahren, auf Ihren Flug warten oder auf der Straßen laufen… da kann ich niemals zulassen, dass die Batterie plötzlich tot ist.
Du bist eines der bekanntesten Gesichter und einflussreichsten Stimmen der Insurtechbranche und im Bereich Telematik. Wie kam es überhaupt dazu und was hat dich dazu bewogen, solch eine öffentliche Rolle einzunehmen?
Es ist einfach passiert. Ich hatte keinen ausgefeilten, strukturierten Plan, mit dem ich ein bestimmtes Ziel verfolgte. Du startest damit, dass du neue Sachen mit einer recht kleinen Öffentlichkeit teilst. Du erhält erste Feedbacks, kannst daraus lernen. Wenn dir der Austausch gefällt, probierst du es erneut, arbeitest hart daran, besser zu werden … und eines Tages beginnt alles Früchte zu tragen und exponentiell zu wachsen.
So war es bei mir. Dies hätte allerdings nie funktioniert ohne das Netzwerk von 140.000 leidenschaftlichen Versicherungsexperten, die täglich mit mir auf LinkedIn diskutiert haben. Den größten Teil meiner Zeit widme ich daher LinkedIn. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wohin mich das noch führen wird … aber ich lerne viel und genieße diese Reise unglaublich.
Welche Aussagen würdest du derzeit über das Fintech- und Insurtech-Ökosystems treffen - besonders in deinem Heimatmarkt Italien?
Naja, wenn mich gerade jemand fragt: „ Wo ist dein zu Hause“ antworte ich instinktiv „am Flughafen“. Für das Jahr 2017 blicke ich auf fast zweihundert Flüge zurück und habe mehr Nächte in einem New Yorker Hotel verbracht als in meinem Haus in Mailand.
Auch habe ich im letzten Jahr 50 Organisationen aus Europa und Nordamerika mit meinem „IoT Insurance Observatory“ betreut. Jede Woche war ich in deren Zentralen, um zu diskutieren, wie digitale Lösungen den Versicherungssektor unterstützen können. Darüber hinaus haben wir mehr als 350 Stunden Workshops abgehalten und ich hatte das Privileg, mit Hunderten von Versicherungsverantwortlichen in mehr als zehn verschiedenen Ländern zu diskutieren.
Kommen wir aber zurück zu deiner Frage. Ich sehe im italienischen Markt eines der besten Beispiele, wie sich einer der ausgereiftesten Insurtech-Trends nutzen lässt: Telematik! Die Versicherungsgesellschaften nutzen hier täglich Daten von 7 Millionen Autos, deren Besitzer bereits Telematiktarife abgeschlossen haben. Das sind 20 Prozent der in Italien versicherten Privatfahrzeuge.
Da du so viel reist und damit Einblicke in unterschiedliche Märkte gewinnst: Was könnten wir alle voneinander lernen?
Es gibt keinen einheitlichen Ansatz: Jeder Versicherungsmarkt hat spezifische Merkmale aufgrund von Kultur, Landesgesetzen, Geschäftspraktiken und Versicherungsvorschriften. Versicherungen kann man eben nicht wie Smartphones verkaufen. Eine Brücke zwischen beiden zu bauen, gehört aber zu meinem täglichen Geschäft.
Ich kann mich glücklich schätzen, vielen verschiedenen Märkten „ausgesetzt“ zu sein. Die Möglichkeiten, dass sich die Ideen verschiedenster Geschäftsbereiche und Märkte gegenseitig befruchten, sind vielfältig. Um diese Chancen allerdings zu verstehen und umzusetzen, ist allerdings ein tiefgreifenderes Verständnis der jeweiligen Marktspezifikas erforderlich.
Viele traditionelle Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich an die schnellen Veränderungen anzupassen, die wir heute erleben. Was sind deiner Meinung nach die größten Chancen für traditionelle Unternehmen, die digitale Transformation zu nutzen? Was sind die größten Hürden?
Ich glaube, dass es heute für Versicherungsgesellschaft unabdingbar ist, sich der Frage zu stellen, wie sie ihr eigenes Modell weiterentwickeln könnte. Dabei gilt es stets darüber nachzudenken, welche Module innerhalb ihrer Wertschöpfungskette durch Technologie und Datennutzung transformiert oder neu erfunden werden sollten. Die Schlüsselthese meines Buches, das ich InsurTechs gewidmet habe, lautet: „Das InsurTech ist die Supermacht für die Bewertung, Steuerung und Übertragung von Risiken“.
Die "Dos and Don'ts" der Insurtech-Branche
Ein Wort zum Buch, das du gerade erwähnt hast. “All the Insurance Players Will Be Insurtech: A wave of innovation is finally reshaping the insurance industry” (deutsch: “Alle Versicherer werden letztlich InsurTechs sein: Eine Welle der Innovation wird die Versicherungsbranche endgültig verändern”, erhältlich hier bei Amazon). Das ist dein erstes Buch, welches du gemeinsam mit Andrea Silvello veröffentlicht hast. Kannst du uns kurz sagen, wer das kaufen sollte und warum?
Jeder, der in der Versicherungsbranche arbeitet oder sich dafür interessiert. Denn alle Akteure in der Versicherungsbranche werden schließlich InsurTechs sein, also Organisationen, bei denen sich Technologie als Schlüssel zur Erreichung strategischer Ziele durchsetzen wird.
Dieses Buch wurde aus einem bestimmten Blickwinkel geschrieben, aus der Liebe für den Versicherungssektor. Wir wollten damit nicht den Zerfall des Versicherungsbranche prophezeien, im Gegenteil. Im Buch haben wir uns darauf konzentriert, über die Art und Weise zu berichten, wie die InsurTech-Bewegung den Versicherungssektor stärken kann, um letztlich besser in der Lage zu sein, sein eigentliches strategisches Kernziel zu erreichen: den Menschen Sicherheit und Schutz in jeder Lebenslage zu bieten!
In der Ära von Videoblogs und Podcasts – was hat dich und Frau Silvello dazu veranlasst gerade ein Buch zu schreiben?
Wie das meiste in meinem Leben, war auch das nicht geplant. Eines Tages erzählte mir Andrea, dass es noch kein Buch über InsurTechs gibt … also entschieden wir, eines zu machen.
Drei letzte kurze Fragen
Was sind deine Top 3 Do's und Dont's für die Vorstandsetage der Versicherer?
DO'S:
- 1. Seien Sie ehrgeizig in Bezug auf die Zukunft des Versicherungssektors
- 2. Seien Sie neugierig auf InsurTechs: Darüber, wie Technologie Unternehmen bei der Bewertung, Steuerung und Übertragung von Risiken unterstützen können
- 3. Seien Sie skeptisch gegenüber allen Initiativen, die keinen Einfluss auf die Produktivität (Ihre Umsatzdiagnose), Rentabilität (Ihres Geschäftsbuchs), Nähe (zum Kunden) und Hartnäckigkeit haben.
DONT's:
- 1. Irrelevant zu denken (Der Schwerpunkt auf Sachen zu lenken, die unbedeutend sind, etwa dass der Verkauf von Versicherungsprodukten und Service automatisch zusammengeführt werden)
- 2. Dem Hype zu folgen (Zwar wird das autonome Fahren kommen, aber autonome Autos der Stufe fünf werden auch in den kommenden Jahrzehnten noch kein wesentlicher Bestandteil des Portfolios sein.)
- 3. Nehmen Sie Abstand von allen, die den Wandel zu stoppen versuchen
Was würdest du InsurTech-Gründern und Start-ups raten?
Zwei Dinge:
- 1. Macht eure Hausaufgaben und erarbeitet euch die Grundlagen der Versicherungswirtschaft.
- 2. Geht raus zu den Menschen und sprecht mit Ihnen. Die Kunden tun schließlich, was sie wollen und nicht das, was wir ihnen vorgeben.
Was räts du jungen Menschen, wenn du auf deine eigene beeindruckende Karriere zurückblickst?
Genießt die Reise, niemand kennt das Ziel wirklich!
Vielen Dank Matteo
Zu Dr. Robin Kiera: Dr. Robin Kiera ist Key-Note-Speaker zu Insuretechs, berät Finanzkonzerne und begleitet Start-Ups. Seine Plattform Digitalscouting.de berichtet über digitale Trends - auch im Versicherungs- und Bankenbereich.
Eine Übersetzung von Jenny Müller