Bedarfsgerecht versichert? Hoffentlich auch dann, wenn es zum Leistungsfall kommt. Die Besonderheit der Absicherung des Pflegekostenrisikos liegt darin, dass sich statistisch gesehen das Risiko erst Jahrzehnte nach Abschluss realisiert. Micha Hildebrandt, Vorstand vigo Krankenversicherung VVaG, setzt sich in seinem Fachbeitrag kritisch mit den Maklerpflichten auseinander und erläutert, auf welche Schwierigkeiten Vermittler bei der Produktauswahl treffen.
IDD: Im bestmöglichen Interesse des Kunden und entsprechend seiner Bedürfnisse
Die Pflegetagegeldversicherung ist eine Summenversicherung und ist mit Abstand die am häufigsten gewählte Pflegevorsorge. Welchen Wert die ursprüngliche gewählte Absicherung hat, zeigt sich erst im weiteren Zeitverlauf. Bei der Wahl der passenden Produktlösung sind die Makler also verpflichtet, auch die etwas abstrakten zukunftsgerichteten Aspekte einzubeziehen.
§ 60 VVG: Beratungsgrundlage des Versicherungsvermittlers
(1) Der Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinem Rat eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und von Versicherern zu Grunde zu legen, so dass er nach fachlichen Kriterien eine Empfehlung dahin abgeben kann, welcher Versicherungsvertrag geeignet ist, die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zu erfüllen.[…]
Das Bedürfnis der Kunden dürfte grundsätzlich sein, im Falle der Pflegebedürftigkeit genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, um wunschgemäß versorgt werden zu können. Während der Vertragslaufzeit kann es dabei zu erheblichen Bedürfnisveränderungen kommen. Die IDD beinhaltet kryptische Formulierungen, die weitergehende Erläuterungen erforderlich machen. Im „bestmöglichen Interesse des Kunden“ (§ 1a VVG) wäre es hier konkret, einen Vorschlag zu erarbeiten, in welchem während der Vertragslaufzeit die Absicherungshöhe spürbar und ohne erneute Gesundheitsprüfung anpassbar ist.
In Tests, Vergleichen und Tarifbewertungen wird dieser elementare Teil oftmals stiefmütterlich behandelt und zudem mit fragwürdigen Kriterien gemessen. Auf Seite der Versicherer fehlt dann der Druck, wirklich bedarfsgerechte Lösungen bereitzustellen, wenn ihnen ja trotzdem attestiert wird, dass ihr Tarif „sehr gut“ oder „Testsieger“ ist.
Inflation als unbrauchbarer Maßstab
Im Zusammenhang mit Dynamikmöglichkeiten wird im Versicherungsbereich häufig der Inflationsausgleich gemeint. Bei Rentenversicherungen kann dies ein sinnvoller Gradmesser sein. Viel entscheidender jedoch in der privaten Pflegezusatzversicherung: Wie verändert sich der konkrete Bedarf und was bringt die Zukunft der Pflege?
Niemand weiß heute, wie sich die eigene Familien- oder Einkommenssituation entwickelt. Verändern kann sich auch der Wunsch nach Art und Qualität der späteren Pflege. Und was gute Pflege in den nächsten Jahrzehnten kosten wird, kann überdies nur geschätzt werden. Bereits jetzt fallen häufig monatlich über 5.000 € an. Wer eine private Vorsorge getroffen hat, kann für den Moment – gefühlt – gut versichert sein, sich aber für die Langfristbetrachtung deutlich verschätzt haben.
Die Veränderung des Verbraucherpreisindex gegenüber den Vorjahren bewegte sich in den letzten 20 Jahren jeweils zwischen 0,3 und 2,6 Prozent.
Die Kostenentwicklung der Leistungserbringer (z.B. Pflegedienste, Pflegeheime) verlief in diesem Zeitraum wesentlich dramatischer. Der Trend wird sich weiter fortsetzen, wenn die Mitarbeiter im Pflegesektor künftig fairer entlohnt werden. Die Orientierung an einem solchen fachfremden Index erscheint insofern überaus unpassend. Dennoch orientieren sich Pflegetagegeldanbieter und Produktvergleicher oftmals genau daran. Es liegt an den Vermittlern, ihre Kunden hier vernünftig aufzuklären.
Fragwürdige Nachversicherungsgarantien
Noch viel spannendere, aber umso fragwürdigere Klauseln finden sich in sogenannten Nachversicherungsgarantien. Makler haben kritisch zu prüfen, ob die Regelungen echte Mehrwerte darstellen oder ob es sich um Blendungswerkzeuge für Werbeprospekte handelt.
Beispiele:
- Stark einschränkende Summen-Obergrenzen
- Altersbegrenzungen
- Ereignisse, die bei der Zielgruppe für Pflegeversicherungen kaum (noch) eine Rolle spielen, z.B. Geburt eines Kindes oder Abschluss der ersten Berufsausbildung
Wenn ein Tarif umfangreiche Dynamikmöglichkeiten vorsieht, stellt sich zudem die Frage, welchen Sinn eine zusätzliche Klausel für Nachversicherungsgarantien überhaupt noch hat. Beides kann ohnehin zu einem Oberbegriff subsumiert werden: Möglichkeiten zur Vertragserweiterung ohne Gesundheitsprüfung.
Dynamisierung mit Altersbegrenzung
Autos, bei denen die Airbags bei Unfällen nur bei Geschwindigkeiten bis maximal 60 km/h auslösen? Undenkbar. Eine analog zu wertende Beschneidung beinhalten jedoch einige Pflegezusatzversicherungen, indem Dynamisierungsmöglichkeiten nur bis zu einem bestimmten Alter ermöglicht werden. Die Menschen werden insgesamt älter und sind statistisch gesehen erst später – dafür jedoch umso länger – pflegebedürftig. Kunden, die Pflegetagegeldversicherungen abschließen, sind zumeist bereits Best Ager. Dennoch gilt für sie auch, dass sie statistisch gesehen noch Jahrzehnte vor sich haben, bevor sie pflegebedürftig werden.
Zu bedenken ist auch, dass mit zunehmendem Alter häufig einige Gebrechen hinzukommen, wodurch die Wichtigkeit von Dynamisierungsmöglichkeiten zunimmt. Jüngere sind – entsprechende Gesundheit vorausgesetzt – auf solche Klauseln nicht in dieser Form angewiesen. Bei Betrachtung von Kopfschadenstatistiken im Pflegebereich lässt sich auch für Laien erahnen, wieso viele Anbieter eine Dynamik ohne Altersbegrenzung verwehren. Ein solcher Mehrwert ist sauber zu kalkulieren und mit einem nicht unerheblichen Beitrag zu versehen. Ein vorderer Platz in Hitlisten ist dann nicht möglich.
Fazit: Über Sinn und Unsinn von Ratings und Produktvergleichen kann bekanntlich gestritten werden. Makler und sonstige Unternehmen, die Produktvergleiche (und Abschlüsse) ermöglichen, dürfen jedoch nicht pauschal einen (sinnfreien) Branchendurchschnitt als Benchmark definieren. Sie unterliegen schließlich § 1a VVG. Andersherum betrachtet sollten Versicherungsunternehmen sich nicht dazu erziehen lassen, sich die Inhalte für Produkte von Dritten „vorschreiben“ zu lassen. Dass Aktuare homöopathisch wirkende Erhöhungsmöglichkeiten bzw. für das Versicherungsunternehmen überschaubare Zusatzrisiken billig bzw. fernab des Kundenbedarfs in Tarife einbauen können, verleitet möglicherweise zu einem solchen Vorgehen. Beide Seiten täten gut daran, sich an gesetzlichen Vorgaben und Lebenswirklichkeiten zu orientieren.