Eine kontroverse Ansicht vertritt Stefan Knoll, Gründer der Deutschen Familienversicherung, in einem Interview. Demnach würden Versicherungsvertreter und -makler nur gebraucht, weil Versicherungen zu kompliziert seien. Damit erklärt er indirekt einen ganzen Berufszweig für ersetzbar.
Die Befürworter einer radikalen Digitalisierung finden sich auch in den Vorstandsetagen der Versicherer. Aktuellstes Beispiel ist Stefan Knoll, Chef des Digitalversicherers Deutsche Familienversicherung. In einem Interview mit „Versicherungswirtschaft Heute“ erklärt er eben mal den Vermittlerberuf für überflüssig - sofern es nur ausreichend einfache Versicherungspolicen gäbe.
Konkret wird Knoll vom Fragesteller mit dem Vorwurf konfrontiert, die digitalen Anbieter würden ihre Kunden nicht ausreichend beraten und ihnen keine passgenauen Angebote machen. Doch diesen Hut will sich Knoll nicht aufsetzen. „Derartige Behauptungen bewegen sich auf dem Niveau Wilhelminischer Zukunftsprognosen. Der letzte deutsche Kaiser glaubte ja auch, dass das Automobil niemals das Pferd verdrängen kann“, wendet Knoll als Gegenargument ein.
“Produkte, die der Kunde auch ohne Beratung versteht“
Dann macht Knoll deutlich, dass er den gesamten Berufsstand der Vermittler im Grunde für ersetzbar hält: “Makler und Versicherungsvertreter braucht man im Wesentlichen deshalb, weil die angebotenen Versicherungsprodukte so kompliziert sind, dass man sie ohne Erläuterung gar nicht und selbst nach einer Erläuterung oftmals trotzdem nicht versteht. Die Antwort eines qualifizierten Direktvertriebes ist also nicht weniger Beratung bei gleichbleibend komplizierten Produkten, sondern einfachere Versicherungsprodukte anzubieten, die der Kunde auch ohne Beratung versteht“, sagt der digitalaffine Manager.
Diese Botschaft verknüpft Knoll mit Werbung für seine eigenen Policen. „So leistet unsere Zahnzusatzversicherung bei jeder zahnärztlichen Leistung oder einfach gesagt: Alles drin. Was wollen Sie jetzt noch beraten?“, sagt er. Also keinerlei Fallstricke, komplexe oder unverständliche Formulierungen in den Tarifwerken der Deutschen Familienversicherung? Es wäre die Chance des Interviewers gewesen, die Thesen kritisch zu hinterfragen - die aber ungenutzt bleibt. „Wir haben die Deutsche Familienversicherung nicht gegründet, um einen Berufsstand zu erhalten. Wir wollen einfachere und verständlichere Versicherungsprodukte anbieten“, positioniert sich Knoll.
Komplexität der Verträge hat Gründe
Doch es gibt Gründe, weshalb Versicherungspolicen eine gewisse Komplexität aufweisen - und damit oft auch Beratung erfordern. Dabei muss man den Versicherern nicht unbedingt Böswilligkeit unterstellen, so dass sie Fallstricke im Kleingedruckten verstecken wollen. Es geht auch um Rechtssicherheit, die eine bestimmte Art der Fachsprache erfordert.
Stark vereinfacht muss ein Versicherungsvertrag möglichst genau juristisch definieren, für welche Leistungen die Versicherung aufkommt und wann der Versicherungsschutz greift. Das erfordert auch, dass Fachbegriffe und Definitionen verwendet werden, teils mit Bezug auf bereits ergangene Urteile. Sonst wären die Verträge umso leichter juristisch anfechtbar: Schließlich sind auch die zugrundeliegenden Gesetze komplex. Dem muss nicht widersprechen, dass Versicherer auch bewusst intransparente Klauseln in ihren Policen verstecken.
Mitunter ist es auch der Komplexität des Themas geschuldet, dass Bedingungen schwer verständlich sind. Eine Rechtsschutzversicherung oder Rentenversicherung beinhaltet beispielsweise per se schon eine höhere Verstehenshürde als eine Hausratversicherung, da nicht nur der Vertragstext schwierig ist, sondern ebenso die zugrundeliegenden Sachverhalte. Folglich werden online auch überwiegend Policen abgeschlossen, die sich leicht standardisieren lassen: etwa Kfz- oder eben Hausratversicherungen.
GDV will Versicherungssprech in den Verträgen "entzerren"
Ein gewisser Beratungsbedarf wird also weiter bestehen bleiben. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat das Problem schwer verständlicher Verträge erkannt. Seit 2010 arbeitet er gemeinsam mit Sprachwissenschaftlern an einfacheren Musterbedingungen für die einzelnen Sparten, die den Versicherern als Orientierung dienen sollen. Viele wurden schon ausgetauscht. Das Prinzip hierfür wird mit „Entzerren, Reduzieren, Veranschaulichen“ umschrieben. Das heißt, lange Schachtelsätze werden durch kurze und prägnante Sätze ersetzt. Die Informationsdichte innerhalb eines Satzes wird reduziert. Lange und zusammengesetzte Wörter werden aufgelöst.
Ob auf Chatbots basierende Sprachprogramme künftig rechtssicher zu komplexen Policen wie Berufs- oder Krankenvollversicherungen beraten können, bleibt abzuwarten - hierfür müsste sich die Technik aber massiv verbessern. Ein weiterer wichtiger Grund spricht dafür, dass Vermittler so bald nicht ersetzbar sein werden. Viele wichtige Policen wie zum Beispiel Pflegezusatzversicherungen werden von den Kunden nicht aktiv nachgefragt, wie Stefan Knoll in einem Interview mit dem Versicherungsboten selbst einräumte. Vermittler müssen die Wichtigkeit der Vorsorge selbst ansprechen.