Die privaten Krankenversicherer können vorerst aufatmen. Im sogenannten Treuhänderstreit hat das Oberlandesgericht Celle geurteilt, dass eine Prämienanhebung im PKV-Volltarif auch dann rechtens sein kann, wenn sie von einem befangenen Treuhänder durchgewinkt wird. Ergebe eine Überprüfung, dass eine Beitragserhöhung zu Recht und in der zulässigen Höhe erfolgt sei, komme es auf die Unabhängigkeit des Gutachters gar nicht an. Sollte dieses Urteil Bestand haben, stellt sich die Frage, welche Funktion Treuhänder dann überhaupt haben - eigentlich sollen sie privat Krankenversicherte vor willkürlichen Prämiensprüngen schützen.
Im sogenannten Treuhänderstreit hat nun erstmals ein Oberlandesgericht ein Urteil gesprochen. Es ist eines, das den privaten Krankenversicherern gefallen dürfte. Demnach könne eine Prämienanpassung auch dann rechtens sein, wenn ein vermeintlich unabhängiger Treuhänder sich doch als befangen entpuppt hat und vom Versicherer finanziell abhängig ist. Über den Richterspruch berichtet das „Handelsblatt“ am Dienstag (Aktenzeichen: 8 U 57/18).
Treuhänder vom Unternehmen finanziell abhängig? Das ist egal!
Aufhorchen lässt der Richterspruch des Oberlandesgerichtes Celle, weil er konträr zu den Urteilen der Vorinstanzen ausgefallen ist. Und auch, weil damit das gesamte Treuhänder-System sich als Papiertiger entpuppen könnte. Demnach dürfte eine Prämienanpassung auch dann wirksam sein, wenn sie ein Treuhänder als 100%ig finanziell abhängig von jenem Versicherer entpuppt, den er doch eigentlich prüfen und überwachen soll.
Zur Erinnerung: Seit 1994 sind die Versicherer verpflichtet, ihre Prämienanhebungen von unabhängigen Aktuaren prüfen zu lassen. Sie sollen die Versicherten vor willkürlichen Beitragssprüngen schützen. Anheben dürfen die Versicherer die Prämien nur in zwei Fällen: wenn die Ausgaben die einkalkulierten Kosten um mindestens zehn Prozent übersteigen. Und wenn die Lebenserwartung der Versicherten stärker steigt als kalkuliert, weil dann im Schnitt auch die Gesundheitskosten steigen. Die Unabhängigkeit der Treuhänder ist hierbei ein wichtiges Kriterium. Sie haben eine Art Watchdog-Funktion im Sinne des Kunden.
Doch was bedeutet unabhängig? Über diese Frage verhandeln nun die Gerichte. Das Landgericht Potsdam hatte 2017 Prämienanhebungen der Axa für unwirksam erklärt. Der Treuhänder, welcher sie durchgewinkt hatte, bekam einen Großteil seines Einkommens vom Versicherer: mehr als 300.000 Euro im Jahr. So geht das nicht, urteilten die Richter. Um unabhängig zu sein, dürfe ein Aktuar nicht mehr als 30 Prozent seines Einkommens binnen fünf Jahren von einem Versicherer kassieren. Dabei beriefen sich die Richter allerdings auf einen Paragraphen des Handelsgesetzbuches (§ 319 Absatz 3 Nr. 5), der für Wirtschaftsprüfer galt, nicht für die PKV-Branche.
Viele andere Gerichte in erster Instanz schlossen sich diesem Richterspruch an. Der Treuhänder ist finanziell vom Versicherer abhängig - die Prämienanpassung also unwirksam. Dabei war längst nicht nicht mehr nur die Axa betroffen. Auch andere Versicherer unterlagen. Die Branche müsste immense Summen an ihre Kundinnen und Kunden zurückerstatten, wenn diese Interpretation Bestand hätte. Es könnte um Millionen von Euro gehen, die ein einzelner Versicherer zurückzahlen müsste - branchenweit sogar um Milliarden.
Allein Korrektheit der Anpassung entscheidend
Umso erleichterter dürften die Privatversicherer nun das Urteil aus Celle wahrnehmen. Und speziell auch dessen Begründung. Das Oberlandesgericht urteilte nämlich, dass es gar nicht auf die formale Unabhängigkeit des Treuhänders ankomme, so berichtet das Handelsblatt. Ein Prämienanstieg könne auch wirksam sein, wenn der Treuhänder vom Versicherer finanziell abhängig sei.
Zwar gebe es klare rechtliche Vorgaben für Prämienanhebungen, die auch dem Gutachter keinen Ermessensspielraum geben, so betonten die Richter. Insoweit könne jede Beitragserhöhung durch die Zivilgerichte bis ins Letzte überprüft werden. Aber entscheidend sei hierbei allein, dass die Korrektur der Prämie zu Recht und in der zulässigen Höhe erfolgt sei. Die Unabhängigkeit des Gutachters spiele hierfür keine Rolle.
Unter Umständen dürfen Treuhänder Einkommen geheim halten
Stark vereinfacht nannte das OLG Celle einen wichtigen Grund, warum es auf die finanzielle Unabhängigkeit der Treuhänder nicht ankomme. So könne eine juristische Prüfung dazu führen, dass sachlich gerechtfertigte Beitragserhöhungen durch unterschiedliche Gerichte mal gebilligt und mal abgelehnt würden – nur wegen der Einkommensverhältnisse der prüfenden Gutachter. Ein großes Chaos im PKV-System wäre die Folge. Es gehöre folglich schlicht nicht in die Zuständigkeit von Zivilgerichten, die Unabhängigkeit der Aktuare zu beurteilen, urteilt das OLG Celle. Ergänzen ließe sich: Hierüber muss die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) entscheiden.
Damit stützt das OLG Celle indirekt die Interpretation sowohl des PKV-Verbandes als auch der BaFin. Beide hatten ebenfalls argumentiert, dass es gar nicht darauf ankomme, wie viel Geld ein Treuhänder von einem Versicherer erhalte und ob er von ihm finanziell abhängig sei. Entscheidend sei allein, dass der Aktuar von der BaFin hierfür für geeignet erklärt wurde und für die Aufgabe zugelassen sei.
BaFin beleuchtet nicht Einkünfte der "unabhängigen" Treuhänder
Brisant: Wie die Bundesregierung als Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag einräumen musste, prüft die BaFin überhaupt nicht, wie viel Geld ein Treuhänder vom Versicherer erhält. Die Finanzaufsicht prüft stattdessen zum Beispiel, ob der Treuhänder mit einem Vorstand aus dem Unternehmen verwandt ist oder ob er selbst einen Versicherungsvertrag beim Anbieter hat.
Das hat der BaFin den Vorwurf eingebracht, sie selbst kontrolliere zu lax und vernachlässige die Interessen der Verbraucher. „Die BaFin ist eine Aufsichtsbehörde, die für die Wahrung der Belange der Versicherten und nicht, wie man manchmal denken könnte, allein der Versicherer tätig ist“, so hat die gängige Praxis der Grünen-Politiker Gerhard Schick kommentiert (der Versicherungsbote berichtete).
Wer im Treuhänder-Streit auf mehr Transparenz gehofft hatte, dem gaben die Richter noch einen weiteren Dämpfer mit. Unter Umständen müssen die beauftragten Aktuare nämlich gar nicht öffentlich machen, wie viel Geld sie von welchem Versicherer bekommen, weil es gegen deren Recht auf informelle Selbstbestimmung verstoße. Folgt man diesem Ansatz, ließe sich die finanzielle Unabhängigkeit der Treuhänder überhaupt nicht mehr öffentlich überprüfen. Sie könnten komplett am Tropf eines Versicherers hängen - und trotzdem als unabhängige Treuhänder tätig sein. Das Handelsblatt zitiert aus der Urteilsbegründung:
„Zum einen würde die Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders im Zuge der Überprüfung einer (gegebenenfalls jeder) Prämienanpassung zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung der Gerichte führen. Zum anderen würde eine solche Überprüfung auch den Treuhänder erheblich belasten und in dessen Recht auf informelle Selbstbestimmung eingreifen.“
Kritiker dieser Praxis können nun darauf hoffen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) anders entscheidet als das OLG Celle. Für Oktober wird ein Urteil vom obersten Zivilgericht in Deutschland erwartet. Der PKV-Verband begrüßte das Urteil hingegen. „Aus unserer Sicht ist das von den Mitgliedsunternehmen praktizierte Treuhänder-Verfahren gesetzeskonform. Es hat sich seit Jahrzehnten bewährt“, sagte Florian Reuther, Geschäftsführer Recht beim PKV-Verband dem Handelsblatt.