Die heftig umstrittene Schülerversicherung des Landes Baden-Württemberg wird zum Jahresende eingestellt. Für Kritik hatte gesorgt, dass die Policen direkt von Lehrern an alle Schüler ausgeteilt wurden. Auch der Nutzen der Schülerzusatzversicherungen war umstritten. Dennoch könnten nun Schülern auch Nachteile drohen, etwa wenn sie mit der Klasse in Schullandheimen übernachten.
Wenn in Baden-Württemberg das neue Schuljahr beginnt, werden Lehrer seit 1971 zu Versicherungsvertretern. Im Auftrag des Kultusministeriums teilen sie an die Kinder Anträge für eine Kombiversicherung aus, der unter anderem einen Privathaftpflicht- und Unfallbaustein beinhaltet. Auch das Geld sammeln die Lehrer direkt von den Schülern ein. Doch damit wird ab dem neuen Jahr Schluss sein. Laut der „Stuttgarter Zeitung“ wird das umstrittene Modell im kommenden Jahr eingestellt.
Vertrag läuft aus – und wird nicht verlängert
Wie die Regionalzeitung am Freitag berichtet, steigt das Bundesland Baden-Württemberg aus dem Gruppenversicherungs-Vertrag zum Ende des laufenden Schuljahres aus. Dies geschehe, „um Missverständnissen vorzubeugen“, wird Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zitiert. In den letzten Monaten hatte es massive Kritik an der Schülerzusatzversicherung gegeben. Produktgeber waren zwei öffentliche Versicherer: die Württembergische Gemeinde-Versicherung (WGV) sowie die Badischen Gemeinde-Versicherungen (BGV).
Konkret handelt es sich um einen sogenannten Versicherungsausweis für Schülerversicherungen. Das Kombiprodukt umfasst einen Unfall-, Haftpflicht- und Sachschaden-Baustein. Der Vertrag gilt im Unterricht, auf dem Schulgelände, bei Fachpraktika, Ausflügen und auf dem Schulweg. So zahlt die Versicherung zum Beispiel auch maximal 300 Euro, wenn im Sportunterricht die Zahnspange zerbricht oder bei einem Schulausflug die Jacke gestohlen wird (der Versicherungsbote berichtete).
Eingeführt wurde die Schüler-Police, um vermeintliche Lücken der gesetzlichen Unfallversicherung zu schließen. So zahle der Versicherer etwa auch, wenn die Erwerbsminderung dauerhaft weniger als 20 Prozent betrage: Hier greift der gesetzliche Schutz nicht. Teuer war sie nicht: der Grundschutz kostete einen Euro im Schuljahr, konnte aber um weitere Bausteine kostenpflichtig erweitert werden.
“Eindruck vermeiden, es handle sich um Pflichtversicherung“
Für massive Kritik hatten aber die sehr niedrigen Versicherungssummen der Verträge gesorgt. Manche Leistungen sind auch schlicht nutzlos. So beinhaltet die Police einen Haftpflichtbaustein, obwohl Kinder in der Regel bereits über die Haftpflichtversicherung der Eltern abgesichert sind. Auch die gesetzliche Unfallversicherung sichert eben Unfälle in der Schule und auf dem Weg dorthin ab. Unter anderem hatten die Verbraucherzentralen die Verträge bemängelt.
Ebenfalls umstritten war die Vertriebspraxis bei diesen Versicherungen. Die Verträge werden zu Beginn des Schuljahres von den Lehrern ausgeteilt – an alle 1,5 Millionen Schüler des Bundeslandes. Die Schüler sollten die Formulare von den Eltern unterschreiben lassen und auch das Geld beim Lehrer abgeben. Das Problem: Die Lehrer sind nicht für den Vertrieb von Versicherungen qualifiziert, denn wer in Deutschland Policen vertreiben will, muss Zulassung und Sachkunde nachweisen. Auch ist unklar, warum ausgerechnet die beiden Versicherer einen derart exklusiven Vertriebsweg über die Schulen nutzen dürfen. Die umstrittene Praxis hatte im Januar 2018 „Spiegel Online“ öffentlich gemacht.
Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg berichtete vor wenigen Wochen der „FAZ“, dass sich vermehrt Eltern beim Verbraucherschutz beschwert hätten. Sie fühlen sich schlicht unter Druck gesetzt, die Versicherungen abschließen zu müssen. Dies führt nun auch dazu, dass das Kultusministerium umdenkt und die Verträge einstellt:
Da der Beitrag von den Lehrern eingezogen wird und das Formular über die Schule verteilt wird, entstehe immer wieder der falsche Eindruck, es handle sich um eine Pflichtversicherung, erklärte Eisenmann den Rückzug gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“. Die Versicherung sei aber freiwillig. Auch solle nicht der Anschein erweckt werden, das Bundesland werbe für die öffentlichen Versicherer. „Um ordnungspolitisch Klarheit zu schaffen“, nehme das Kultusministerium Abstand von der Vereinbarung.
Alternativen gesucht
Das Problem: Mitunter ist eine Haftpflicht für Schüler ein Muss, wenn sie in Schullandheimen übernachten wollen oder ein Betriebspraktikum durchführen. Viele Einrichtungen verlangen einen Haftpflicht-Nachweis. Aber ungefähr 20 Prozent der deutschen Haushalte haben keinen solchen Schutz. Entsprechend müsste nun jeder Schüler einzeln eine Haftpflicht-Police nachweisen, wenn sie sich an Praktika oder Ausflügen beteiligen, berichtet das Schwäbische Lokalblatt.
Deshalb ist das Ende der Schüler-Zusatzpolice noch nicht komplett besiegelt. Man denke über Alternativen nach, bestätigte die WGV den "Stuttgarter Nachrichten". Denkbar sei etwa, dass Schulförder-Vereine die Gruppenverträge übernehmen. Dann müssten sie nicht mehr über Lehrer vertrieben werden.