Sollen Selbstständige verbindlich für das Alter vorsorgen müssen? Dieser Frage widmete sich eine Experten-Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuss. Die Sachverständigen befürworteten eine entsprechende Versicherungspflicht für Freiberufler. Aber es wurde auch gewarnt: Man solle unterscheiden zwischen einer Versicherungspflicht und einer Pflichtversicherung.
Details stehen noch nicht fest, aber der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vom März 2018 weist schon in die Richtung: Um den sozialen Schutz von Selbstständigen zu verbessern, soll eine „gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht“ eingeführt werden.
Auch möchte die Bundesregierung die Unternehmer bei den Krankenkassen-Beiträgen entlasten. Die Bemessungsgrundlage für die Mindestkrankenversicherungsbeiträge soll „nahezu halbiert“ werden von „heute 2283,75 Euro auf 1150 Euro“. In Reaktion auf einen Antrag der Linksfraktion (Drucksache 19/1034) nahm jetzt ein Expertengremium des Bundestages erstmals umfangreich zu den Plänen einer Versicherungspflicht für Selbstständige Stellung.
Sachverständige: Nur wenige Daten zur Vorsorge von Selbstständigen
In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom Montag, dem 8. Oktober 2018, wurde deutlich: die Mehrheit der Sachverständigen begrüßt eine Versicherungspflicht für Selbstständige. Deutlich wurde aber auch: bis Details geklärt sind, ist es noch ein weiter Weg. So wiesen sowohl Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund als auch der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Eckart Bomsdorf darauf hin: man verfüge nur über wenige Daten zum Vorsorgeverhalten und zur sozialen Situation von Freiberuflern.
Zwar zeigten Studien, dass ein erheblicher Teil der Selbstständigen vorsorge. Jedoch sei diese Vorsorge laut Reinhold Thiede oft nicht sehr umfangreich. Das belegen zum Beispiel Zahlen aus dem Alterssicherungsbericht 2016. Fast die Hälfte der ehemaligen Unternehmer verfüge im Alter lediglich über ein Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro, private Vorsorge eingerechnet, während es bei abhängig Beschäftigten nur gut ein Drittel ist. Selbstständige sind folglich weit stärker von Altersarmut bedroht. Hier könnte eine Altersvorsorge-Pflicht teilweise Abhilfe schaffen.
Nach Eckart Bomsdorf sind aber wichtige Details einer möglichen Versicherungspflicht noch nicht ausdiskutiert und bedürfen weiterer Anhörungen. So müssen Übergangsregeln gefunden werden, um Leistungen älterer Selbstständiger für die Altersbezüge sowie das Rechtsstaatsprinzip des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen.
Versicherungspflicht zielt auf Freiberufler mit geringem Einkommen
Wesentlich im Fokus der Diskussion: Selbstständige mit geringem Einkommen, insbesondere sogenannte "Solo-Selbstständige": also Unternehmer, die keine Angestellten haben. Laut Bundesregierung (Drucksache 18/10762) verfügen fast 30 Prozent aller Solo-Selbstständigen über ein persönliches Einkommen von weniger als 1.100 Euro. Sie leiden doppelt unter fehlender sozialer Absicherung: Zum einen haben sie nicht genügend Einkommen, um fürs Alter vorzusorgen – es droht Altersarmut. Zum anderen leiden sie an zu hohen Mindestbeiträgen der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung.
Selbstständige sollen bei Krankenkasse-Beiträgen entlastet werden
Aktuell sind viele Freiberufler mit den Kassenbeiträgen überfordert. Der Gesetzgeber geht von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von mindestens 2.283,75 Euro für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. An dieser Mindestbemessung orientieren sich auch dann die Beiträge, wenn das Einkommen wesentlich darunter liegt. Lediglich für Existenzgründer und andere Härtefälle gilt eine niedrigere Mindestbemessungsgrenze von derzeit 1.522,50. Die Folge: Viele können ihre Beiträge nicht mehr bedienen und sammeln Milliardenschulden bei den Krankenkassen an. Zum Jahresende 2017 summierten sich die Beitragsrückstände der Selbstzahler in der GKV auf 6,15 Milliarden Euro (der Versicherungsbote berichtete).
Eine Reform der Mindestbeitragsbemessung für Freiwillige in der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar angestrebt, geht aber vielen Kritikern nicht weit genug. Statt – wie von der Regierung geplant – die Bemessungsgrundlage auf 1150 Euro zu senken, fordern die Linken in ihrem Antrag ein Absenken bis zur Höhe der Geringfügigkeitsgrenze (derzeit 450 Euro) ... und befinden sich dadurch in seltener Übereinstimmung mit der FDP oder dem Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD).
Bedingungen für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung waren auch Thema der Anhörung. So müssten Selbstständige zu vernünftigen Konditionen in die GKV einsteigen können, wie Bomsdorf betonte. Bei hohen Bemessungsgrenzen hingegen gingen die Selbstständigen lieber zu den privaten Versicherungen.
Notwendigkeit zur Versicherungspflicht von den Spezialisten betont
Die Mehrheit der anwesenden Experten sprach sich für eine Altersvorsorge-Pflicht für Freiberufler aus. Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund wies auf den wichtigsten Aspekt hin: der Anteil von Selbstständigen, die später Grundsicherung im Alter bekämen, sei überproportional hoch. Deshalb sei eine Versicherungspflicht zur Altersvorsorge sinnvoll.
Ähnlich äußerte sich Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): Insbesondere Solo-Selbstständige zeigten eine besonders hohe Schutzbedürftigkeit, da sie oft von einigen wenigen Auftraggebern abhängig wären. Auch hätte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund auf seinem diesjährigen Bundeskongress eindeutig positioniert. Die Gewerkschafter halten es für notwendig, alle Erwerbstätigen in die sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen. Angebote, die der Markt zur privaten Vorsorge biete, würden in weiten Teilen die Bedürfnisse der Solo-Selbstständigen verfehlen.
... mit einem großen „Aber“
Der Meinung einer gebotenen Versicherungspflicht schlossen sich auch Gerald Friedrich von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie Eckart Bomsdorf an. Jedoch warnten sie auch davor, die Regeln allzu eng zu fassen.
Besonders in der Kritik: Die Forderung der Linksfraktion, alle bisher „nicht in einem obligatorischen Altersvorsorgesystem abgesicherten Selbstständigen“ in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Gerald Friedrich von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) mahnte: es solle den Selbstständigen freigestellt sein, ob sie eine private oder gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung wählen. Und Eckart Bomsdorf appellierte: Man solle sich die Frage stellen, ob man eine Versicherungspflicht oder eine Pflichtversicherung will. Eine Versicherungspflicht könne man in jedem Fall befürworten, keineswegs aber eine Pflichtversicherung: also, dass alle in die Rentenkasse einzahlen müssen.
Der Staat dürfe Selbstständige nicht zu Unselbstständigen machen
Bomsdorf warnte auch davor, die prekären Situationen einiger Selbstständiger auf alle Selbstständigen zu übertragen. Die meisten Selbstständigen hätten sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden, neben Nachteilen gebe es auch Vorteile. In den Ausführungen Bomsdorfs zeigte sich hinter der Selbstständigkeit ein eigenständiger Lebensentwurf, für den man auch die Risiken (die zumindest zum größten Teil bewusst seien) in Kauf nimmt.
Und bei einigen Forderungen, die in dem Ausschuss diskutiert wurden, konnte sich Bomsdorf des Eindrucks nicht erwehren: Es ginge darum, durch Vorgaben des Staates aus Selbstständigen Unselbständige zu machen.