Das „Handelsblatt“ greift in einem aktuellen Beitrag eine in der Branche häufig vorgebrachte Kritik auf: Verbraucherschützer seien nicht ausreichend für ihren Job qualifiziert. Weder müssten sie sich weiterbilden noch ihre Sachkunde nachweisen. Haften müssten sie für ihre Aussagen auch nicht - zumindest für jene in Interviews und Talkshows.
Unterlaufen den Verbraucherzentralen zu oft Beratungsfehler bei Versicherungen und Finanzen, weil die Mitarbeiter nicht ausreichend qualifiziert sind? Diesen Vorwurf hört man in der Versicherungsbranche immer wieder. Das Debatte darüber könnte nun neue Fahrt aufnehmen, nachdem das „Handelsblatt“ vermeintliche Defizite der Verbraucherzentralen am Sonntag mit einem Artikel aufgreift. Zu oft sei das, was die mit Steuermitteln gepäppelten Verbraucher-Instanzen empfehlen, schlicht falsch, so der Tenor des Beitrags.
Es fehlt Evaluation der Verbraucherzentrale-Beratung
Die Vorwürfe gegenüber den Verbraucherzentralen sind nur an Einzelfällen zu verdeutlichen, wie auch der „Handelsblatt“-Artikel zeigt. Denn es fehlt schlicht eine Instanz, die den Verbraucherzentralen oder anderen Verbraucherorganisationen auf die Finger schaut. Einen Verbraucherschutz für den Verbraucherschutz sozusagen. Oder wie Versicherungsvermittler in den sozialen Medien des Versicherungsboten pointierten: einen Verbraucherschutz, der die Verbraucher vor den Verbraucherschützern schützt.
Dennoch sind die im Artikel genannten Beispiele teils haarsträubend. So habe die Volksbank München etwa 2011 eine Beratung der Verbraucherzentrale München in Anspruch genommen, um die dortige Expertise zu testen. Einer Testkundin wurde geraten den Bausparvertrag aufzulösen, obwohl sie in naher Zukunft ein Haus bauen wollte.
Für Aufsehen sorgte auch ein Ratschlag des Verbraucherschützers Michael Herte von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein in den "Kieler Nachrichten". Er empfahl Schülern und Studenten, auf eine Berufsunfähigkeits-Police zu verzichten: obwohl viele Experten zu einem möglichst frühen Abschluss eines solchen Vertrages raten. Denn selbst in dieser Zeit kann ein Betroffener schon berufsunfähig werden. Auch können gute Verträge ohne erneute Gesundheitsprüfung weitergeführt werden - zwischenzeitlich auftretende Vorerkrankungen in der Zeit des Studiums können den Abschluss eines Neuvertrages deutlich verteuern oder gar unmöglich machen.
Berufsunfähigkeitsversicherung: Warum der Nettobeitrag als Orientierung nicht reicht
Ärgerlich sind auch Fälle, in denen die Versicherungskunden nicht über wichtige Vertragsdetails aufgeklärt werden, aus denen ihnen ebenfalls Nachteile erwachsen können. Ein weiteres Beispiel aus der Berufsunfähigkeitsversicherung: In einer Beratungsdoku der Verbraucherzentrale Niedersachsen empfahl der Verband, sich am Nettobeitrag des Tarifs zu orientieren, und sortierte die Angebote der Versicherer auch entsprechend.
Genau dieser Rat der Verbraucherzentrale kann für die Kunden zu einer bösen Kostenfalle werden. Denn der Nettobeitrag ist dem Versicherten über die Vertragslaufzeit hinweg nicht garantiert: Er bezeichnet lediglich den aktuell zu zahlenden Beitrag. Hierbei nutzt der Versicherer auch die erwirtschafteten Überschüsse am Kapitalmarkt sowie einige andere Stellschrauben, um die Prämie im Sinne des Versicherten zu senken. Das Problem: Kalkuliert ein Versicherer schlecht oder lockt die Kunden mit besonders günstigen Einstiegspreisen, kann er die BU-Prämie bis zum sogenannten Bruttobeitrag anheben. Und das geht im Zweifel richtig ins Geld. Die Kunden müssen dann plötzliche und unerwartete Beitragssprünge fürchten.
Bei der WWK zum Beispiel mussten Versicherte im letzten Jahr Prämienaufschläge von bis zu 40 Prozent des Zahlbeitrages akzeptieren - innerhalb einer einzigen Tarifanpassung. Der Versicherer hatte die Beiträge in einzelnen Tarifen auch im Jahr zuvor schon deutlich raufgesetzt (der Versicherungsbote berichtete). Der Bruttobeitrag ist folglich ein wichtiges Kriterium für Neukunden, die einen BU-Vertrag abschließen wollen, denn dieser ist tatsächlich die maximal erlaubte Höchstgrenze. Das sind Informationen, die man auch von einer Broschüre der Verbraucherzentralen erwartet. Und die der Kunde in diesem Fall nicht bekam.
...keine Mindestanforderung erforderlich?
Fehler wie die Vorgenannten nähren den Verdacht, das es den Verbraucherschützern in manchen Fällen schlicht an Expertise fehlt. Schon lange wurmt es Versicherungsvermittler, dass sie gegenüber den Industrie- und Handelskammern ihre Sachkunde nachweisen müssen: Für Verbraucherschützer eine solche Pflicht aber nicht besteht.
Mitarbeiter der Verbraucherzentralen müssten keine Qualifikation nachweisen, da die Einrichtungen keine Gewinnerzielungsabsicht hätten, kommentiert gegenüber dem "Handelsblatt" Christina Schröder, Leiterin Wettbewerbsrecht und Versicherungswirtschaft bei der IHK Wiesbaden. „Diese wird nur anzunehmen sein, wenn sie mit den eingenommenen Gebühren dauerhaft Überschüsse erzielen wollen“, so Schröder. „Stattdessen fallen die Verbraucherzentralen unter das Rechtsdienstleistungsgesetz und dürfen ohne Zulassung außergerichtlich beraten“, erklärt auch der vzbv als Dachverband der Verbraucherzentralen.
Einer, der an der Situation etwas ändern wollte, war der Versicherungsmakler Frank Dietrich aus Potsdam. Er forderte 2017 mit einer Petition auf change.org, dass auch Verbraucherschützer eine Mindestqualifikation nachweisen müssen sowie für ihren Rat gegenüber den Kunden haften (der Versicherungsbote berichtete). Der zuständige Bundestagsausschuss lehnte diesen Vorstoß ab. Zum einen seien die VZ-Mitarbeiter zur Teilnahme an regelmäßigen Weiterbildungen verpflichtet, hieß es zur Begründung. Auch sei der Vorwurf, beratende Verbraucherschützer haften nicht, nicht zutreffend. Beraten sie einen Kunden konkret, so würden sie einen Beratungsvertrag abschließen, der auch Schadensersatz bei Falschberatung vorsehe.
Versicherungsvermittler schlüpfen in Rolle der Verbraucher-Berater
Der Vorwurf, die Verbraucherzentralen würden über keine Expertise verfügen und nicht für ihren Rat haften, lässt sich so also so pauschal nicht aufrecht erhalten. Dennoch gibt es Schlupflöcher, so dass den Mitarbeitern weniger strenge Grenzen gesetzt sind als "traditionellen" Vermittlern. Und es fehlt an beruflichen Mindeststandards. Genau dies wollen sich Branchenvertreter nun selbst zu Nutze machen. Sie gründen Büros, die den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen (VZ) durchaus vergleichbar sind.
198 solcher VZ-Beratungsstellen gibt es aktuell in Deutschland. Nun eröffnet der Bundesverband der Sachverständigen für das Versicherungswesen (BVSV), in dem viele Versicherungsvermittler organisiert sind, deutschlandweit sogenannte BVSV Verbraucherbüros, so berichtet das "Handelsblatt". 16 solche Anlaufstellen wurden bereits eröffnet, weitere 65 sollen hinzukommen.
„Der Verbraucherschutz für Versicherte muss in die Hände derer, die es professionell betreiben und jeden Tag damit zu tun haben: den zugelassenen und registrierten Vermittlern oder Versicherungsberatern“, erläutert BVSV-Vorstand Andreas Schwarz dem "Handelsblatt". Der Plan ist, dass Ratsuchende zu denselben Honorarsätzen wie bei den Verbraucherzentralen beraten werden sollen. Das ist abhängig auch vom jeweiligen Bundesland. So kostet in Nordrhein-Westfalen eine dreißigminütige Beratung 40 Euro.
Zwar finde die Beratung im Büro eines Versicherungsvermittlers statt, berichtet das "Handelsblatt". Damit die Fachkräfte aber entsprechend beraten können, seien sie als Berater unter dem Dach der BVSV Sachverständigen GmbH organisiert. Um die Unabhängigkeit zu wahren, verpflichte sich jeder zugleich, für die folgenden sechs Monate kein Honorar vom Ratsuchenden anzunehmen. Ein solches Büro soll es in jeder Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern geben.
Jeder kann ein Verbraucherschützer sein
Die Kritik an den Verbraucherzentralen berührt nur einen kleinen Teil des Problems. Während außer Frage steht, dass Verbraucherschutz und entsprechende Watchdog-Organisationen wichtig sind, kann sich in Deutschland rein theoretisch jeder Verbraucherschützer nennen. Eine entsprechend geschützte Berufsbezeichnung gibt es nicht.
Dass dieser Status Quo den Boden für Fehlentwicklungen und sogar Verbrauchertäuschung bereiten kann, haben die Verbraucherzentralen selbst bereits kritisiert. Im Jahr 2015 bemängelte die Verbraucherzentrale NRW die inflationäre Vergabe von Testsiegeln an Versicherer und andere Dienstleister. Private Institute führen demnach Tarif-Vergleiche durch, bei denen eine inflationäre Zahl an Versicherern zu Testsiegern gekürt wird. Mit den entsprechenden Siegeln werben dann die Versicherer um Kunden: sie sollen suggerieren, dass unabhängige Stellen die Qualität der Leistungen und Services geprüft haben.
Nicht zufällig nennen sich die privaten Tester hierbei "Institut". Es ist eine Bezeichnung, die Wissenschaftlichkeit und Neutralität suggeriert - auch wenn es sich eben um private Anbieter und mitunter sogar Lobby-Organisationen handelt.
Doch die Tests sind oft intransparent, die Kriterien für die Ratings schwer nachvollziehbar. Während sich die privaten Tester als unabhängig darstellen, werden sie oft von den getesteten Produktgebern direkt bezahlt: entweder, weil sie entsprechende Beratungs-Services bei den Instituten in Anspruch nehmen. Oder über Lizenzen für die Testsiegel-Werbung (der Versicherungsbote berichtete).
Es ist mittlerweile ein Markt für den Verbraucherschutz entstanden, private Unternehmen verdienen Millionen damit. Verbraucherseiten wie "Finanztip" setzen sogar Affiliate Links zu bestimmten Anbietern - Links also, die werbefinanziert sind. Angeblich ohne Interessenskonflikt, aber das ist schwer überprüfbar (der Versicherungsbote berichtete).
Wie weit die mögliche Verbrauchertäuschung unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes gehen kann, zeigt die mittlerweile insolvente Cis AG des vermeintlichen Finanzgurus Daniel Moussa Shahin. Das Unternehmen warb um hochriskante Geldanlagen, sogenannte Garantie-Hebel-Pläne, mit einer Zeitung, die sich ebenfalls an Verbraucher-Magazine anlehnte und bundesweit im Bahnhofshandel erworben werden konnte: "Der Freie Berater". Shahin lebt mittlerweile in London, hat Privatinsolvenz angemeldet und behauptet, kein Geld mehr zu haben: das Geld der Anleger dürfte ebenfalls futsch sein. Hier wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, strengere Kriterien und Mindestanforderungen für den Verbraucherschutz zu definieren. Sonst bedarf es tatsächlich eines Verbraucherschutzes, der Verbraucher vor dem Verbraucherschutz schützt.