Die Regierung ist sich über Parteigrenzen hinweg einig: Die Beitragslast der sogenannten "Doppelverbeitragung" lastet schwer auf den Betriebsrentnern. Einig aber ist man sich aber auch in einem weiteren Punkt: Auf die Sozialbeiträge will man nicht verzichten. Nachdem Gesundheitsminister Jens Spahn einen Gesetzentwurf vorlegte, die Beitragslast zumindest zu halbieren, erklärte die Bundeskanzlerin nun das Ende dieses Versuchs, wie die Bildzeitung am Mittwoch berichtete. Gescheitert ist der Gesetzentwurf aber letztendlich am Geschacher um die Kosten.
CDU-Parteitag ... da war doch was?
Da wurde die Rechnung wohl ohne die eigene Chefin und ihre Minister gemacht: Mit einem Vorstoß überraschte die CDU auf ihrem letzten Parteitag vom 08. zum 09. Dezember 2018. Münzten doch die Delegierten des Parteitags auf Initiative ihrer Mittelstandsvereinigung und der Jungen Union einen Antrag auf "Prüfung" der sogenannten Doppelverbeitragung für Betriebsrenten in einen Antrag auf "Abschaffung" um (der Versicherungsbote berichtete). Denn Betriebsrenten werden in der Auszahl-Phase stark mit Sozialbeiträgen belastet, obwohl sie eine wichtige Stütze im Alter sein sollen und aus Einkommen angespart werden: Hierfür also schon Sozialbeiträge flossen. Schon damals stellte sich freilich zugleich die Frage: Wie lässt sich der Vorstoß finanzieren?
Die negative Antwort kam jetzt prompt durch das Abwatschen eines Gesetzentwurfes, der wesentlich zaghafter als beschlossen die Belastung für Betriebsrentner zumindest halbieren sollte. Vorgelegt wurde der Entwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Absage hingegen kam von niemand geringerem als der Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich, nachdem schon Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sein Veto gegen den Finanzierungsvorschlag eingelegt hatte. Das berichtete die Bildzeitung am Mittwoch.
Die zitierte Äußerung der Kanzlerin zum Entwurf ist hierbei ziemlich vage, gedacht war sie zunächst wohl kaum für die Öffentlichkeit. Laut Bild nämlich fiel sie auf einer Sitzung der Unionsfraktion. Bezug nehmend auf Spahns Entwurf sagte die Kanzlerin laut Bericht, „das ginge nicht“. Gescheitert sind Spahns Pläne allerdings bereits, bevor diese schlechte Botschaft auf einer internen CDU-Sitzung verkündet wurde – und zwar am Geschacher der Ressorts um die Kosten.
Betriebsrente: Wehleidiger Blick zu den Nachbarn
Dabei gibt es durchaus Indizien, dass auch die hohen Sozialbeiträge Betriebsrenten unattraktiver machen: auf Kosten der Verbreitung. Alljährlich wird der Melbourne Mercer Global Pension Index veröffentlicht, ein vom Australian Centre for Financial Studies (ACFS) in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Mercer erstelltes Ranking, das Rentensysteme verschiedener Länder auf ihre Leistungsfähigkeit testet. Ein Kriterium des Vergleichs: Die Nachhaltigkeit. Bei diesem Kriterium ist Deutschland stets nur Mittelmaß, und kann nur neidisch auf die Sieger des Gesamtvergleichs mit ihren Top-Werten schauen, auf die Niederlande und Dänemark (der Versicherungsbote berichtete).
Das hat seinen Grund. Denn beide Länder haben eine sogenannte quasi-obligatorische Betriebsrente, die zwar nicht im strengen Sinne verpflichtend ist, jedoch derart etabliert, dass seit Jahren über 90 Prozent der Erwerbstätigen anhand dieser wichtigen Säule des Rentensystems vorsorgen. In Deutschland hingegen liegt der Verbreitungsgrad der bAV bei etwa 50 Prozent, wie aus Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hervorgeht. So recht wollen die Arbeitnehmer Deutschlands dieser wichtigen Säule der Altersvorsorge nicht trauen. Gering ist die Zahl der Betriebsrentler speziell bei kleinen und mittelständischen Firmen.
... aber erhebliche Belastung der Betriebsrenter
Wie aber schafft man in Deutschland, dass die Betriebsrente ebenso wie in den Niederlanden oder in Dänemark angenommen wird? Bisher ist es der deutschen Politik kaum gelungen. Im Jahr 2004 erhöhte man sogar die Beitragslast auf die Betriebsrente. Grund ist das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, das eigentlich zur Stärkung der gesetzlichen Krankenkasse angedacht war, aber wesentlich das Dilemma einer unattraktiven deutschen Vorsorgelandschaft verstärkte. Seitdem nämlich werden Betriebsrenten stark mit Sozialbeiträgen belastet.
So muss seit 2004 der volle Beitragssatz zur Krankenversicherung, derzeit 14,6 Prozent, auf Betriebsrenten gezahlt werden – Betriebsrentner stehen demzufolge sowohl für den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil ein. Doch damit nicht genug. Denn abgezogen werden auch die Krankenkassen-Zusatzbeiträge und ebenso Beiträge für die Pflegeversicherung (zum Beitragssatz von derzeit 3,05 Prozent). Zudem stemmen Kinderlose den Kinderlosenzuschlag für die Pflegeversicherung. In bestimmten Konstellationen werden folglich mehr als 18 Prozent auf die Betriebsrenten fällig, die als Sozialbeiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen sind. Kein Wunder, dass der Eindruck entstehen konnte: Die Politik möchte die gesetzliche Krankenversicherung stärken, indem sie an einer wichtigen Säule der Altersvorsorge sägt.
Eine solche Verbeitragung erregte früh die Kritik der Verbraucherschützer. So beklagte zum Beispiel der Bund der Versicherten (BdV) eine „erhebliche Belastung der Rentner im Alter“ (der Versicherungsbote berichtete). Zumal auf ein weiteres Problem hingewiesen wurde: In manchen Konstellationen müssen für Betriebsrenten tatsächlich „doppelt“ Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt werden – bei der Einzahlung und im Ruhestand bei der Auszahlung. Dazu kann es zum Beispiel bei pauschalversteuerter Entgeltumwandlung nach § 40b EStG kommen oder bei der Fortführung einer Pensionskassenzusage mit eigenen Beiträgen, wie auf der Seite des Fachverbands für betriebliche Altersversorgung ausgeführt wird. In bestimmten Konstellationen bezahlen bAV-Sparer die Zusatzrente also aus Einkommen, für das sie über die Jahre und Jahrzehnte bereits Kassenbeiträge abgezogen bekamen.
Der „Schwarze Peter“ geht um
In der Politik ist man sich der selbstgemachten Probleme durchaus bewusst. Aber es mangelt an Ideen, wie ein Übel ohne ein anderes auszutreiben ist. Denn entweder nimmt die Regierung eine hohe Beitragslast für Betriebsrentner in Kauf. Oder sie nimmt die alte Gesetzreform zurück und schwächt damit die gesetzliche Krankenkasse empfindlich, weil Milliarden Euro weniger den Kassen zufließen. Zu diesem Problem kommt aber hinzu: Das Thema ist geeignet, sich untereinander den sprichwörtlichen „Schwarzen Peter“ hin- und herzuschieben. Und da wirkt das ablehnende Schlusswort aus dem Kanzleramt fast schon befreiend.
Das Spiel geht nämlich so: Sozialminister Hubertus Heil (SPD) forderte den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) laut Süddeutsche auf, die Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung zu nutzen, um die Beitragsbelastung der Betriebsrentner endlich zu verringern. Heil schob also Spahn den „Schwarzen Peter“ zu. Letztendlich folgte nun zu Beginn des neuen Jahres tatsächlich ein Gesetzentwurf, der spürbar zumindest die halbe Last von den Schultern der Betriebsrentner genommen hätte. Von Spahn wurde dieser Entwurf mit Bitte um Stellungnahme an die Ressorts verschickt, wie die Süddeutsche berichtet. Eine Halbierung der Krankenkassenbeiträge war geplant, so dass Betriebsrentner quasi nur noch den Arbeitnehmeranteil der Sozialbeiträge selber schultern sollten. Das Problem nur: Die Rechnung wurde ohne den verantwortlichen Wirt gemacht, in diesem Fall ohne das Finanzministerium.
Kosten des Gesetzentwurfs: drei Milliarden Euro jährlich
Im Gesetzentwurf wurden laut einem weiteren Bericht der „Süddeutschen“ nämlich auch die Kosten dieses Vorschlags genannt: Drei Milliarden Euro jährlich hätte die gesetzliche Krankenversicherung entbehren müssen. 2,5 Milliarden Euro sollten als Zuschuss aus dem Bundeshaushalt kommen, die restlichen 500 Millionen Euro sollten die Beitragszahler schultern. Das war nun aber nicht im Sinne von Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Scholz also bestand darauf, dass das Geld nicht aus seinem Ressort kommt. An ihm hätte es folglich gelegen, die Betriebsrentner wesentlich zu entlasten ... und an ihm scheiterte nun der Plan. Der „Schwarze Peter“ lag bei Scholz. Das freilich wollte Scholz nicht auf sich sitzen lassen. Richten sollte es eine Stellungnahme seines Sprechers gegenüber der Süddeutschen: "Die Finanzlage der Krankenkassen“ sehe „deutlich besser aus“, weshalb Jens Spahn „auf der Suche nach der Finanzierung“ doch „dort fündig werden könnte.“ Scholz versuchte also, den „Schwarzen Peter“ an Spahn zurückzuschieben.
Recht eigentlich geliebt: Das unliebsame Kind „Doppelverbeitragung“
Dabei zeigte sich eigentlich längst, was nun durch eine Erklärung offenkundig wird, die aus dem Kanzleramt nachgereicht wurde. Schien doch die Bild-Meldung durch den vagen Wortlaut, mit dem Kanzlerin Merkel wiedergegeben wurde, eine Stellungnahme zu erfordern. Diese reichte in Form einer konkretisierenden Erklärung nun Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer nach, wie aus einem Bericht der Zeit hervorgeht: "Im Koalitionsvertrag ist eine Entlastung nicht vereinbart." Bevor weitere kostenintensive Projekte diskutiert würden, gelte es erst einmal, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Projekte anzugehen.
Die bedauernde Zustimmung zur Doppelverbeitragung über Parteigrenzen hinweg offenbart sich hierbei schon, seit das Gesetz verabschiedet wurde: Zwar unter der rot-grünen Regierung beschlossen, stimmten damals auch die Unionsparteien für die Gesetzesänderung. Das hat seinen guten Grund: Jährlich 5,8 Milliarden Euro fließen durch die umstrittene Regelung den gesetzlichen Krankenkassen zu, wie der Spiegel berichtet. Es ging und geht also um viel Geld. Und so wird auch stetig der Handlungsbedarf aufgrund einer Schwächung der Betriebsrente diagnostiziert, ohne dass die Regierung wirklich handeln will.
So auch in der jüngsten Vergangenheit: Obwohl nämlich der Bundesrat schon vor Verabschiedung des sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) im Jahr 2017 angeregt hatte, die Beitragslast auf Betriebsrenten zu verringern, umging die Bundesregierung unter der damaligen Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) das Problem schon damals komplett. Stärkung der Betriebsrenten sollte es also geben! Aber Geld für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sollte dann dennoch in gleicher Höhe aus dieser Quelle weiter fließen.
Fast scheint es also, als hätte die Doppelverbeitragung mittlerweile zu einem Ritual in der Sozialpolitik Deutschlands geführt: Während man mit einem weinenden Auge in Richtung Niederlande und Dänemark schaut, weil die Betriebsrente dort fast obligatorisch geworden ist, freut man sich zugleich mit einem lachenden Auge über die "Stärkung der gesetzlichen Krankenversicherung" durch eine hohe Beitragslast für Betriebsrentner.