Nur langsam setzen sich digitale Geschäftsmodelle bei deutschen Krankenversicherern durch. Gerade Angebote, die sich an gesunde Versicherte wenden, haben es noch schwer. Aber es ist ein Aufbruch in der Branche spürbar, kommentiert InsurTech-Gründer und Digital Health Experte Magnus Kobel den Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheits- und Versicherungswesen.
Neue digitale Geschäftsmodelle sind zweifelsohne DAS Thema in allen Branchen. Dabei zählt die Versicherungs- und die Gesundheitsbranche leider zu den Nachzüglern, die erst sehr spät die Potenziale der Digitalisierung für Versicherte und Patienten erkannt haben.
Mittlerweile ist ein Aufbruch spürbar, wenngleich die Bedenkenträger und Besitzstandswahrer weiterhin auf die Bremse treten. Nehmen wir das Beispiel elektronische Gesundheitsakte, die vor bald 20 Jahren von der Regierung auf den Weg gebracht wurde und einen Milliardenbetrag später immer noch keine Marktreife hat, zumal das Konzept von früher nun mit der digitalen Realität der Menschen von 2019 wenig gemein hat. Innovative Marktteilnehmer haben daher im letzten Jahr privaten Lösungen entwickelt. Zu erwähnen sind hier die elektronische Gesundheitsakte der IBM mit der Techniker Krankenkasse als größtem Nutzer, das Projekt Vivy um die Allianz herum, sowie „Meine Gesundheit“ mit der CompuGroup Medical im Hintergrund und mehreren großen privaten Krankenversicherungen als Anbieter. Sehr spannend ist dabei zu beobachten, dass Wettbewerber aus der Kassenwelt mit privaten Versicherungen gemeinsam die Projekte vorantreiben.
Parallel befassen sich nahezu alle Versicherungen intensiv mit Digitalisierungslösungen und stocken ihre Budgets auf, um digitale Touch Points zu ihren Versicherten zu generieren und die Customer Experience zu verbessern. Philosophie und Leistungsangebot der Versicherungen entwickeln sich dabei weg vom reinen Kostenerstatter und hin zum Gesundheitsdienstleister, der dem Versicherten den Zugang zu einem digitalen Ökosystem Gesundheit anbietet, welches nicht nur dabei hilft, gesund zu werden, sondern vor allem auch gesund zu bleiben. Viele Versicherungen bieten bereits digitale Unterstützung für bestimmte Krankheitsbilder und, wie aufgezeigt, digitale Gesundheitsakten oder Telemedizinangebote. Doch diese Services sind zumeist bestenfalls den bereits erkrankten Versicherten bekannt.
Was fehlt, ist der Zugang zu den gesunden Versicherten. Hierzu müssen sich die Versicherungen mit Lifestyle-Angeboten rund um das Thema "gesund bleiben" positionieren. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung zeigt: App-Konzepte, die spielerisch zu gesundheitsbewusstem Verhalten im Alltag motivieren und mit geldwerten Vorteilen belohnen, sorgen täglich für positive Kundenerlebnisse und Interaktion zwischen Versicherten und ihrer Versicherung. Digitale Prävention - als Lifestyle positioniert - ist von daher der Kern beim Aufbau digitaler Ökosysteme im Gesundheitsbereich. Ein niederschwelliger Zugang mit klarem Nutzen und Vorteilen motiviert die Versicherten nicht nur zu gesundheitsbewusstem Verhalten, sondern ermöglicht auch, die Versicherten regelmäßig über weitere digitale Gesundheitsservices und Produkte aus dem Ökosystem zu informieren.
Mein Fazit: Rückblickend lässt sich 2018 als das Jahr einordnen, in dem im Gesundheitsbereich endlich der Weg dafür bereitet wurde, dass die Digitalisierung Einzug in unseren Alltag hält. Dabei ergeben sich große Chancen für beide Seiten: Neue, digitale Touch Points ermöglichen den direkten Austausch zwischen den Nutzern (Versicherten, Patienten) und den Gesundheitsdienstleistern in einem Ökosystem Gesundheit, das sich in den nächsten Jahren sukzessive entwickeln wird. Last but not least: Die zurecht strengen Datenschutzregelungen für Gesundheitsdaten in Deutschland geben dem Versicherten dabei die Sicherheit und Möglichkeit, dass er selber darüber entscheidet, ob und mit wem er seine Daten teilt.