Wie sicher sind auf lange Sicht Berufsunfähigkeitsversicherungen von Anbietern, die im Ausland sitzen? Keine unrelevante Frage, denn einige in Deutschland tätige Lebensversicherer haben ihren Sitz in Staaten wie Liechtenstein oder Irland, betreiben hierzulande nur eine Niederlassung. Auf dieses Problem macht aktuell Versicherungsmakler Gerd Kemnitz aus dem sächsischen Stollberg aufmerksam.
Eine Berufsunfähigkeits-Police sollten die Verbraucher möglichst in jungen Jahren abschließen, wenn die Gesundheit noch top ist und wenig Vorerkrankungen aufgetreten. Umso länger aber muss der Versicherer auch ein verlässlicher Partner sein und eine Rente zahlen können. Vertragslaufzeiten von 40 Jahren und länger sind keine Seltenheit. Diese Ausgangssituation lässt Versicherungsmakler Gerd Kemnitz aktuell danach fragen, wie die BU-Versicherer eigentlich gegen eine mögliche Insolvenz geschützt sind.
Vierfache Absicherung in Deutschland
Fest steht: Einheitliche EU-Regeln, um den Bestand von Verträgen vor der Insolvenz zu retten, gibt es nicht, wie Kemnitz auf dem Blog seines Maklerbüros berichtet. Dennoch haben die Versicherer Möglichkeiten, einer finanziellen Notlage vorzubeugen, wenn sie ihren Hauptsitz in Deutschland haben. Sie können die Überschussbeteiligung reduzieren und damit an der Höhe der Beiträge schrauben: ohne, dass ein Treuhänder und die BaFin zustimmen müssen.
Hier gilt es aus Sicht der abschlusswilligen Verbraucher, auf den Unterschied von Zahlbeitrag und Tarifbeitrag zu achten: auch bekannt als Unterschied von Netto- und Bruttoprämie. Der Zahlbeitrag ist jener, den ein Kunde aktuell zahlen muss: hierbei sind bereits Kapitalgewinne aus den erwirtschafteten Überschüssen im Sinne der Versicherten eingerechnet. Das ist auch jene Prämie, mit der die Kunden im Neugeschäft oft angelockt werden, die aber bis auf den Bruttobeitrag anwachsen kann.
Der Tarifbeitrag bzw. Bruttobeitrag ist hingegen jener Beitrag, auf den die Prämie laut Vertrag maximal klettern kann, wenn sich Überschüsse schlecht entwickeln oder der Versicherer schlecht kalkuliert hat, die Ausgaben für Renten also über Maßen steigen. Zumindest, ohne dass der Versicherer dies extra prüfen lassen muss.
Denn auch der Tarifbeitrag ist nicht wirklich sicher, so berichtet Kemnitz. Entsprechende Ausnahmen sind in § 163 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) formuliert. Demnach muss ein unabhängiger Treuhänder prüfen und urteilen, ob ein Anheben des Tarifbeitrages angemessen und erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn sich die zugrundeliegenden Rechnungsgrundlagen „nicht nur vorübergehend und nicht voraussehbar“ geändert haben. „Eine willkürliche Erhöhung des Tarifbeitrags zur Gewinnoptimierung ist damit ausgeschlossen!“
Auch Versicherungsleistungen können betroffen sein
Mit zwei weiteren Maßnahmen können Lebensversicherer auf eine mögliche finanzielle Schieflage reagieren: Haben alle anderen Maßnahmen versagt, kann die BaFin anordnen, dass die Bestände an Protektor überschrieben werden: die Auffanggesellschaft der Privatversicherer. Der Sicherungsfonds wird über Jahresbeiträge der Mitglieder finanziert. Aktuell verfügt Protektor nach eigenen Angaben über Netto-Rückstellungen in Höhe von 1,02 Milliarden Euro. Ob dieses Geld ausreicht, um die Verträge eines großen Lebensversicherers tatsächlich aufzufangen, ist zumindest umstritten.
Noch schmerzhafter als steigende Beiträge ist Maßnahme Numero 4, die aber eine Art letzte Option darstellt. Laut § 314 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) kann die Aufsichtsbehörde BaFin Leistungspflichten des Konzerns herabsetzen oder sogar zeitlich verbieten, wenn dies notwendig erscheint, um ein Unternehmen vor der Insolvenz zu retten. Besonders bitter: Dies betrifft explizit auch Versicherungsleistungen. "Sicher" ist in diesem Kontext wohl ein relativer Begriff, wenn auch BU-Renten nach § 314 zurechtgestutzt werden können. Dennoch schlussfolgert BU-Experte Kemnitz: "Mit diesen vier Maßnahmen dürfte die Insolvenz eines Lebensversicherers mit Sitz in Deutschland äußerst unwahrscheinlich sein!"
...und wie ist das mit den ausländischen Lebensversicherern?
Doch nicht nur deutsche Lebensversicherer bieten hierzulande BU-Verträge an, sondern auch viele, die im Ausland sitzen: oft in Steueroasen wie Liechtenstein oder Irland. Sie haben hier nur ihre Niederlassung, nicht ihren Sitz. Einige dieser Versicherer gerieten zuletzt wegen des Brexits in die Schlagzeilen. Sie haben große Bestände aus England in die Europäische Union überschreiben, damit es im Falle eines ungeordneten Brexits keine Schwierigkeiten gibt: Die deutschen Verträge dürften zwar auch weiterhin betrieben werden. Aber ab Ende 2020 wohl nur mit einer extra Geschäftserlaubnis der BaFin, die an zusätzliche Auflagen gekoppelt sein könnte (der Versicherungsbote berichtete).
Bei diesen Versicherern ist die BU-Rente weniger vor einer Insolvenz geschützt, weil die Anbieter weniger Korrektive zur Hand haben, schlussfolgert Makler Kemnitz. Und verdeutlicht dies am Beispiel der Canada Life. Sie ist in Irland tätig, wo es keinen Sicherungsfonds ähnlich Protektor gibt. Nachdem es der deutschen Niederlassung verweigert wurde, freiwillig diesem Schutzschirm der deutschen Versicherer beizutreten, klagte die Canada Life vor dem Verwaltungsgericht Berlin (VG) 2007 auf Aufnahme. Und erlitt zwei Jahre später eine krachende Niederlage. Zum Zeitpunkt der Klage hatte der Lebensversicherer 353.000 deutsche Kunden (Urteil vom 25.09.2009 - 1 A 224.07).
Die Canada Life argumentierte damals vor Gericht: Dass man nicht bei Protektor aufgenommen werde, bedeute einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie 2002/83/EG, wonach Lebensversicherer aus anderen EU-Staaten nicht schlechter gestellt werden dürften als heimische Versicherer. Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ausländischer Versicherer müsse gewahrt werden. Zudem sei die verweigerte Aufnahme in die Auffanggesellschaft diskriminierend: auch deshalb, weil die Verträge nach deutschem Versicherungsrecht abgeschlossen würden. Doch damit kamen sie vor dem Verwaltungsgericht nicht durch.
BaFin hat keinen Zugriff
Das Verwaltungsgericht Berlin entschied, dass die Canada Life kein Recht habe, Protektor beizutreten. Als wichtige Gründe wurde genannt, dass der Versicherer nicht von der BaFin beaufsichtigt werde, sondern von der irischen Finanzaufsicht. Auch könne sich die Konstellation ergeben, dass Protektor Verträge weiterführen müsse, die mit deutschem Recht nicht vereinbar sind. Explizit wiesen die Richter auf den Sachverhalt hin, dass die deutsche Finanzaufsicht auch gar nicht die Befugnisse hätte, im Falle einer Insolvenz Maßnahmen durchzusetzen, die für deutsche Versicherer verpflichtend sind.
"Es müssten Versicherer in den Haftungsverbund aufgenommen werden, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit anderen Bedingungen unterliegen, was die damit verbundenen Risiken weniger überschaubar macht und damit letztlich erhöht. Schließlich wäre eine Fortführung von Versicherungsverträgen im Sanierungsfall als für den Verbraucher bestem Schutz jedenfalls nicht ohne weiteres möglich", heißt es im Urteilstext.
Explizit äußerte das Gericht in der Urteilsbegründung auch die Absicht, man wolle verhindern, dass sich Versicherer dem strengeren Aufsichtsregime entziehen, aber von den Vorteilen des deutschen Systems profitieren. So stelle es einen "Rechtsmissbrauch dar, wenn ein Versicherungsunternehmen die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats in der Absicht gewählt hat, sich den strengeren Anforderungen eines anderen Mitgliedstaats zu entziehen, in dem es den überwiegenden Teil seiner Tätigkeit auszuüben beabsichtigt oder ausübt", argumentierten die Richter.
Aus Sicht deutscher Kunden entfallen hiermit zwei Korrektive, mit denen die Versicherer auf finanzielle Engpässe reagieren können, argumentiert nun Kemnitz. Erstens sind die BU-Verträge nicht durch Protektor geschützt. Und zweitens bricht auch der vorherige Puffer weg: Leistungspflichten können nicht entsprechend § 314 VAG herabgesetzt werden, denn auch dies muss ja die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin durchsetzen - die aber für diese Verträge nicht zuständig ist.
Stattdessen wirbt die Canada Life mit internationalen Ratings für ihre Finanzstabilität. "Auf Nachfrage hat uns die Canada Life jedoch bestätigt, dass es keine Patronatserklärung der Muttergesellschaft gegenüber der Canada Life Assurance Europe gibt", berichtet Kemnitz. Eine solche wäre erforderlich, damit die kanadische Mutter garantiert auch für die Sicherheit deutscher Verträge haftet. Dennoch betont der Makler, dass er ebenfalls Policen des Versicherers vertreibt.
Tarifbeitrag nur für die ersten fünf Jahre sicher
Ein weiterer Versicherer, der im Ausland sitzt, ist die Squarelife Lebensversicherungs-AG, in Deutschland mit Getsurance aktiv. Auch diese Verträge unterliegen nicht dem Protektor-Auffangfonds und der BaFin-Aufsicht, gibt Kemnitz zu bedenken. Zuständig sind die Liechtensteiner Behörden. Und er verweist auf eine Besonderheit der BU-Verträge: Der kalkulierte Tarifbeitrag ist nicht für die gesamte Vertragsdauer garantiert, sondern nur für die ersten fünf Jahre. Ändert sich danach der kalkulierte Leistungsbedarf um mehr als zehn Prozent, kann der Beitrag angehoben werden: Ohne, dass noch einmal ein Treuhänder draufschauen muss.
Kemnitz empfiehlt anderen Maklern, derartige Sachverhalte gegenüber dem Kunden deutlich anzusprechen, um nicht in die Haftungsfalle zu tappen. "Wie sicher eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine Berufsunfähigkeitsrente ist, hängt also entscheidend davon ab, in welchem Land das Versicherungsunternehmen seinen Sitz hat", warnt der Makler.