Fast allen Vermittlerverbände lehnen einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung rigide ab, wie ihn die Bundesregierung und Finanzaufsichtsbehörde BaFin einführen will. Nicht so der Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM): Er hat deutlich gemacht, dass er sich mit einem solchen Deckel arrangieren könnte. Und das, obwohl speziell Makler Einbußen bei den Provisionen fürchten müssen? Der Versicherungsbote hat bei Hans-Georg Jenssen nachgefragt, geschäftsführender Vorstand des Maklerverbandes.
Anmerkung: Geführt wurde das (im Printmagazin 01/2019 des "Versicherungsboten" veröffentlichte) Interview vor dem 27. März 2019 und damit vor Bekanntwerden des ersten Referentenentwurfs zum Provisionsdeckel. Demnach konnte Jenssen zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht wissen, dass eine weite Definition des Gesetzentwurfs ebenfalls auf die Deckelung der Bestandsprovisionen zielt. Selbst der frühere Wissensstand aber ändert nichts an der zentralen Aussage des Interviews: Als Sachwalter des Kunden sind die Mitglieder des BDVM zu Kompromissen bereit, so lange die private Altersvorsorge über Lebensversicherungen eine faire Chance erhält.
Versicherungsbote: Verschiedene Verbände agieren zur Zeit öffentlichkeitswirksam gegen die Einführung eines Provisionsdeckels in der Lebensversicherung. Nicht aber der Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM): Man versuche, gesellschaftliche und politische Entwicklungen realistisch einzuschätzen, äußerte Ihr ehemaliger Präsident Georg Bräuchle, der mittlerweile im Ruhestand ist. Mit einem Provisionsdeckel, wie ihn die BaFin vorschlägt, könne man sich durchaus arrangieren. Wie kam es zu dieser Positionierung?
Hans-Georg Jenssen: Uns ist bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Vermittlerverbände mit der BaFin vor geraumer Zeit die Vorstellung der BaFin vermittelt worden. Und dann haben wir gemerkt, dass die Diskussion entgleitet. Sie müssen ja mal sehen: Wenn sie ein Makler sind mit qualitativen Anforderungen und diese Anforderungen erfüllen, darf bis zu 40 Promille gezahlt werden. Die meisten unserer Mitglieder haben nicht nennenswert über 40 Promille bekommen, als es noch keine Regulierung gab oder als das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) noch nicht griff. Die Durchschnittsvergütung liegt im Moment, glaube ich, bei ca. 36 Promille. Wir stellen uns die Frage, und das ist unser Petitum: Wenn der Gesetzgeber den Eindruck hat, dass die Lebensversicherung insgesamt zu kostenbelastet ist und insgesamt zu wenig für den Bürger dabei herauskommt, was wird er dann machen? Wir wollen, dass die private Altersvorsorge über Lebensversicherungen eine faire Chance hat.
Georg Bräuchle äußerte damals auch, Sie würden nicht den Don Quichote spielen wollen. Damit ist indirekt der Vorwurf an die anderen Verbände verbunden, einen vergeblichen Kampf zu kämpfen, gar aufgrund unrealistischer Annahmen. Befürchten Sie, dass es ohne Provisionsdeckel keine faire Chance gibt?
Der Gesetzgeber hat mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) deutlich gemacht, wo er die Vergütung ganz gern sehen würde: deutlich niedriger. Aber die Vergütung ist nicht so weit heruntergegangen, wie man sich das vorgestellt hat. Die Lebensversicherung erweckt den Eindruck, es geht ihr noch relativ gut. Da werden ja noch dicke Gewinnabführungen gemacht. Und wenn der Gesetzgeber den Eindruck hat, „es gibt keine faire Chance für die private Altersvorsorge“, hat er andere Gelegenheiten, loszulegen. Diese Schritte könnten Vermittlern weit mehr wehtun.
Der Gesetzgeber könnte zum Beispiel die steuerliche Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen weiter verringern, wir sind da noch privilegiert. Der Gesetzgeber hätte auch das Betriebsrentenstärkungsgesetz nicht laufen lassen müssen und rennt jetzt hinterher, das wissen wir aus Treffen mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, damit doch mal jemand eine NahlesRente abschließt. Die Versicherungswirtschaft hat das auf einem silbernen Tablett hingelegt bekommen. Und wenn es da keine Erfolge gibt, dann wird Folgendes passieren: Das Konkurrenzmodell ist die sogenannte Deutschland-Rente.
Die Gelder werden bei der Deutschen Rentenversicherung zwangsweise angelegt. Das ist kein Umlageverfahren, das ist ein reines Ansparprinzip. „Opt-out“ bedeutet: Jeder ist drin – und man kommt nur raus, wenn man was Gleichwertiges nachweist. Das ist natürlich total kostengünstig. Dann können Sie ja mal schauen, was von der privaten Versicherungswirtschaft im Leben-Bereich noch übrig bleibt. Davon ganz abgesehen, ist es so: Wenn Sie mal den Spiegel Online aufrufen, dann werden Sie in den letzten Monaten allein drei Artikel zum norwegischen Staatsfonds finden, wie gut der das Geld anlegt. Das kann eine Blaupause für einen Gesetzgeber sein. Und diese Blaupause möchten wir nicht.
Das Vorsorgesystem steht ja auch aufgrund einer fehlenden Nachhaltigkeit in der Kritik, Lebensversicherer denken über Run-offs nach, Pensionskassen finden sich in enger Manndeckung der BaFin. Und wenn ich das richtig herausgehört habe, befürchten Sie nicht die Option „Provisionsdeckel: ja oder nein?“. Sondern Ihre Angst ist: Es gibt einen Systemwechsel, bei dem der Staat große Teile der Altersvorsorge an sich reißt wie in einigen anderen Ländern …
Wenn Sie es realistisch sehen, haben wir seit der Finanzkrise ein Rollback in Richtung Staat. Dass der Markt nicht alles richten kann, merkt man an den Ausmaßen des PPI-Skandals in Großbritannien, als Banken zu horrenden Preisen teils nutzlose Restschuld-Policen verkauft haben. Provisionen in der Restschuldversicherung haben ja die ganze IDD-Debatte bestimmt. Oder das merken 70 Prozent der Deutschen, die auf eine Mietwohnung angewiesen sind. Wir haben eine relativ niedrige Eigentumsquote. Wenn alte Leute aus ihren Wohnungen heraussaniert werden, die dort 40 Jahre gewohnt haben und von ihrer kleinen Rente die Wohnung nicht halten können, merkt man das Versagen nicht klug regulierter Märkte.
Wir steuern ja nicht auf einen Alterswohlstand zu. Sondern die Berechnungen sagen nach wie vor: Wer immer den Mindestlohn verdient hat und 40 Jahre arbeitet, der wird Grundsicherung brauchen. Beim Betriebsrentenstärkungsgesetz haben wir uns deswegen dafür stark gemacht, dass Anrechnungsvorschriften für die Grundsicherung gelockert werden und nicht jeder Pfennig angerechnet wird, damit sich private Vorsorge für einen Geringverdiener lohnt. Sonst hätten ganze Berufsgruppen, etwa wenn Sie als Küchenhilfe arbeiten oder als Putzkraft, überhaupt keinen Anreiz für private Vorsorge.
Aber genau diesen Anreiz müssen wir schaffen. Das Problem ist: Wenn die Leute mit 25 nicht daran glauben, dass sich private Vorsorge für sie lohnen wird, ist es mit 50 immer schon zu spät. Das ist ja die Krux an langfristigen Sparprozessen. Deshalb versuchen wir für unsere Mitglieder, die private Altersversorgung erstens mit so viel Vertrauen wie möglich auszugestalten und zweitens durch eine — ich will nicht sagen „demütige“, aber vernünftige — Haltung abzuwägen zwischen den Chancen für den Kunden und der Vermittlervergütung. Wir halten es für vernünftig, dass ein Interessenausgleich stattfindet. Ich kann nicht erkennen, dass ein vernünftiger Interessenausgleich so ohne Weiteres gegen die Verfassung verstößt.
"Was da abläuft, ist der Versuch bestimmter Vertriebsformen, im Spiel zu bleiben..."
Sie geben mir das Stichwort: Durch zwei Gutachten, die der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW) und der Verband unabhängiger Finanzdienstleister (Votum) mit weiteren Akteuren in Auftrag gab, ist das Thema in der Öffentlichkeit präsent: Der geplante Provisionsdeckel sei verfassungswidrig und europarechtlich unzulässig. Die Verbände haben Klagen angedroht, so es zur Einführung kommt. Sie halten die Bemühungen aber für wenig aussichtsreich, übten auch bereits Kritik an den Gutachten? Warum?
Die beiden Gutachter – Hans-Jürgen Papier und Hans-Peter Schwintowski – sind ja renommierte Juristen. Aber sie haben offensichtlich vom Auftraggeber problematische Vorgaben bekommen. Eine Vorgabe lautete, dass der Provisionsdeckel für alle angebotenen Lebensversicherungen gleichermaßen gültig sein soll. Das ist nach meinem Wissensstand überhaupt nicht angedacht. Sondern er soll für Versicherungsanlageprodukte gelten, aber zum Beispiel nicht für die Absicherung biometrischer Risiken. Er macht ja bei einer Risikolebensversicherung oder einer typischen Berufsunfähigkeitsversicherung auch kaum Sinn. Das ist der erste Punkt.
Ein zweiter Punkt: Laut Gutachten sollen die gedeckelten Provisionen nicht nur die Abschlussprovision, sondern auch die sogenannte Betreuungsprovision umfassen. Aber das fordert keiner. Die 2,5 Prozent des Deckels beziehen sich ja bei der Zillmerung auf den Abschlussteil. Und Drittens soll es Vermittlern dann sogar verboten sein, vom Kunden über die Abschlussprovision hinaus noch eine Vergütung zu nehmen. Schließlich soll viertens auch die Honorarberatung gedeckelt werden! Auch das ist jedoch gar nicht angedacht. Zudem gibt es in dieser ganzen Sache ein paar Schnitzer: Herr Papier hatte in seinem Gutachten auf Seite 17 geschrieben, Provision und Honorar sind austauschbar. Aber das eine, die Abschlussprovision oder Courtage, ist eine erfolgsabhängige Vergütung, während ein echtes Honorar eine Tätigkeitsvergütung ist.
…und Honorarberatung ist ja auch gewollt, das ist ja auch der Vergütungsweg, den der Gesetzgeber stärken möchte…
Ja. Und deswegen haben wir auch in einer Stellungnahme gesagt: Wer falsch abbiegt, kommt ans falsche Ziel.“ Die Prämissen stimmen nicht. Und nicht nur das: Wenn Sie die Gutachten gesehen haben, behaupten beide, dass sich die Qualität der Beratung mit einem Abschlussdeckel verschlechtern werde, also eine „Qualitätsabwärtsspirale“ einsetzt. Wir denken aber, dass es auf die Pflichten ankommt, um die Qualität der Vermittlung zu sichern, nicht auf den Preis. Wenn der Gesetzgeber eine Höchstvergütung festlegt, dann mit einer Qualitätsabwärtsspirale zu argumentieren: Ist das plausibel? Man geht in ein Parlament hinein, wo massenweise Juristen sind, die – wenn sie nach Gebührenrecht abrechnen – eine Deckelung haben. Nehmen die nicht ihre Pflichten als Anwalt wahr? Haben wir eine Qualitätsabwärtsspirale bei Ärzten, die ja auch nur ganz bestimmte Sachen abrechnen dürfen? Deshalb ist das, was da abläuft, der Versuch – so will ich das mal formulieren – von ganz bestimmten Vertriebsformen, im Spiel zu bleiben.
Sehen Sie auch Chancen eines Provisionsdeckels? Sie hatten ja im Verband auch erklärt, dass man einen Missbrauch der Provisionen durchaus beobachten kann…Könnten von einem Deckel Makler profitieren, die wirklich im Kundeninteresse vermitteln und nicht auf hohe Provisionen setzen, sondern auf die Qualität der Beratung?
Ich will es mal anders formulieren: Ein Deckel hat deutlich weniger Auswirkungen auf jene Vermittlungsbetriebe, zu denen unsere Mitglieder gehören, die eben im Schwerpunkt nicht Leben beraten und vermitteln, sondern eine vernünftige Durchdringung zwischen Komposit-, Leben- und Krankenversicherung. Dafür muss der Deckel natürlich vernünftig gewählt sein, und das bedeutet: ausreichend hoch. Wenn Sie den Deckel bei 0,5 Prozent ansetzen würden oder bei einem Prozent, wie es jetzt im europäischen Bereich für das Pan European Pension Product (PEPP) gedacht ist, geht das nicht.
Aber die Struktur unserer Mitgliedsbetriebe sieht so aus, dass der Leben-Anteil im Schnitt nicht mehr als zehn bis 15 Prozent ausmacht, davon auch noch ein Großteil durch betriebliche Altersvorsorge. Und diese Vermittler werden natürlich davon anders betroffen sein als reinrassige Lebensvermittler, bei denen naturgemäß der Neuabschluss in Kombination mit der Abschlussvergütung eine andere Gewichtung hat. Wer mehr braucht, sind mehrgliedrige Vertriebsorganisationen, die einen speziellen Fokus auf Leben haben. Man muss natürlich sagen, dass andere Verbände, in denen andere Arten von Vermittlern organisiert sind, natürlich auch ihre Interessen verfolgen. Das ist auch legitim. Wir verfolgen nur ein anderes Ziel. Und wir glauben, dass es einem Verband, der die Sachverwalter des Kunden repräsentiert, ganz gut zu Gesicht steht, sich auch mal zu fragen: Was bedeutet das denn für den Kunden?
Früher haben bestimmte Vertriebe auf die anderen runtergeschaut und gesagt: „Wir sind ja viel erfolgreicher“. Nachhaltiger aber ist aus unserer Sicht unser Modell: nicht so sehr auf Abschlüsse zielen, sondern mit zufriedenen Kunden den Bestand sichern und ausbauen. Insofern sehen wir die Entwicklung ziemlich gelassen. Wir möchten, das ist unser Ziel, bei Leben und bei der privaten Altersvorsorge im Spiel bleiben. Und dazu sind wir zu gewissen Kompromissen bereit – unter der Voraussetzung, dass wir eine faire Chance haben.
Daraus könnte man schlussfolgern, dass Sie die Bestandspflege im Vergleich zum Vertragsabschluss höher vergütet sehen möchten.
Unsere Mitglieder haben schon vor circa fünf Jahren eine Leitentscheidung getroffen, dass wir den Abschlussanteil absenken und den Betreuungsanteil erhöhen. Ein Abschlussanteil ist vor allem deshalb notwendig, weil sonst der Berufseinstieg für den jungen Versicherungsmakler mit Schwerpunkt Leben schwierig ist. Das zeigten unsere Modellrechnungen: Ein junger Versicherungsmakler mit einer bestimmten Anzahl an Beratungsfällen würde bei einem durchschnittlichen Geschäft und 2,5 Prozent Provision die ersten Jahre deutlich unter dem Mindestlohn bleiben. Deshalb haben wir dann ein Stufenmodell entwickelt und haben gesagt: bis 30.000 Euro Beitragsvolumen darf die Abschlussvergütung 3,5 Prozent betragen, zwischen 30.000 und 60.000 2,75 Prozent und ab 60.000 zwei Prozent – wohl wissend, dass ein Großteil unserer Mitglieder bei hochvolumigen Verträgen sowieso rabattierte Gruppenverträge nimmt. Über zwei Prozent wird da an Abschlussprovision meistens nicht bezahlt. Bei einem solchen Modell steht aber natürlich außer Frage, dass dem Vermittler auch ein laufendes vernünftiges Betreuungsentgelt gezahlt werden darf und muss.
Die Fragen stellte Sven Wenig