Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird auch für die Versicherungswirtschaft immer spannender. Wir haben uns mit Bastian Schulz über die Möglichkeiten der neuen Technik unterhalten. Der Diplom-Kaufmann ist Head of Sales DACH bei Leverton, einem Anbieter von KI-basiertem Dokumentenmanagement. Im Interview erklärt er uns, wo KI zum Einsatz kommen kann und welche Voraussetzungen dafür im Unternehmen vorhanden sein sollten.
Wie und wo kann Künstliche Intelligenz heute bereits grundsätzlich im Versicherungswesen eingesetzt werden?
Bastian Schulz: Versicherungsunternehmen müssen in der Regel ein umfangreiches Spektrum an Vertragsdokumenten mit großen Mengen und auch rechts- und finanzrelevanter Daten händeln. Die Bandbreite reicht von einfachen Konsumentenpolicen bis zu komplexen Vertragswerken im Rückversicherungsbereich zwischen globalen Konzernen.
Schnell kommen da Millionen von häufig „kritischen“ Datenpunkten zusammen, die es alle im Auge zu behalten gilt. Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) können hier helfen, gerade unstrukturierte Daten schneller, einfacher und weniger fehleranfällig zu erfassen und zu bearbeiten und die Gewinnung relevanter, strategischer Informationen aus der Masse an Daten effektiver und effizienter zu bewerkstelligen. Das kann vom Konditionenvergleich für potenzielle Neukunden über die Prüfung von Bestandsverträgen zur Vorbereitung auf neue Regulierungen bis zum Kreditversicherer, der Bilanzen und GuVs von oft ausländischen Unternehmen durchleuchten muss, reichen.
Für welche Unternehmen macht der Einsatz künstlicher Intelligenz Sinn?
Es gibt in jedem Unternehmen Anwendungsfälle in den Geschäftsprozessen, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz teil- oder vollautomatisiert werden können. Überall dort, wo Daten manuell aus Dokumenten oder Verträgen erfasst werden müssen, macht es Sinn, über den Einsatz Künstlicher Intelligenz als Basistechnologie nachzudenken. Das ist immer auch eine Kosten-Nutzen-Frage, aber KI-Tools können Unternehmen helfen, zu skalieren, ohne dabei personell aufrüsten zu müssen. Zusätzlich können Mitarbeiter von einseitigen repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihre Fähigkeiten produktiver eingesetzt werden. Diese Form von intelligentem Wachstum kann ein zentraler strategischer Wettbewerbsfaktor sein.
Welche Voraussetzungen braucht es für den Einsatz künstlicher Intelligenz?
Allen voran klare Ziele, was mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz erreicht werden soll. Wichtig sind eindeutige Verantwortlichkeiten und ein für die Einführung zuständiges Innovationsteam, das die potenziellen Anwendungsfälle identifiziert, die KPIs, die erreicht werden sollen, definiert und den gesamten Prozess steuert. In der Regel macht es Sinn, nicht gleich „all in“ zu gehen, sondern einen iterativen Prozess mit einem ersten Test in einem gut überschaubaren Bereich zu starten. Es kann nämlich vorkommen, dass Anwendungsfälle, die von der Künstlichen Intelligenz bearbeitet werden sollen, noch „trainiert“ werden müssen. Diese Phase ist wichtig, wenn die Künstliche Intelligenz später ihr volles Potenzial ausschöpfen soll. Außerdem sollte die Abteilung, die Künstliche Intelligenz in ihrem Bereich einsetzen möchte, sich eng mit der eignen IT-Abteilung abstimmen und das „Buy In“ der Geschäftsführung haben. Last but not least: Die meisten KI-Lösungen sind cloudbasierte „Software as a Service“-Anwendungen (SaaS), deswegen sollte das Thema IT-Sicherheit und Datenschutz vorher intern besprochen werden, um nicht kurz vor dem Projektbeginn auf interne Hürden zu stoßen.
Welche Vorteile bringen KI-Systeme?
Die Vorteile reichen von der höheren Effektivität (z.B. Präzision) und Effizienz (Zeit- und Kostenersparnis) auf der operativen Ebene durch die Automatisierung bis hin zu Wettbewerbsvorteilen auf der strategischen Ebene durch eine transparentere Datenbasis, die schneller eine bessere Informationsgrundlage für Unternehmensentscheidungen liefert. KI-Tools optimieren die Datengüte, verbessern Prognosefähigkeiten und unterstützen damit wesentlich die Entscheidungsfähigkeit und -schnelligkeit des Managements. Die Automatisierung intelligenten Problemlösungsverhaltens stellt einen erheblichen Mehrwert für Unternehmen dar.
Wie muss sich ein Versicherungsunternehmen, das in Erwägung zieht, Prozesse mit Künstlicher Intelligenz zu automatisieren, die Vorgehensweise vorstellen?
Im ersten Schritt wird festgelegt, welcher Anwendungsfall (teil)-automatisiert werden soll und welches die damit verbundenen Ziele sind. Im zweiten Schritt wird definiert, welche Daten erfasst werden müssen, und es wird ein so genanntes Extraktionstemplate im System hinterlegt. Danach wird für gewöhnlich geklärt, ob die Künstliche Intelligenz trainiert werden muss, oder der Kunde auf ein bereits trainiertes Modell zugreifen kann. Im ersten Fall wird dann entscheiden, wer das Training der Künstlichen Intelligenz übernimmt – dies kann entweder der KI-Anbieter mit seinen Experten tun, oder das Unternehmen baut das Training in seinen bisherigen Datenerfassungsprozess ein und die KI lernt „on the job“. Wenn der gewünschte Automatisierungsgrad erreicht ist, kann das Unternehmen mit der KI-Lösung live beziehungsweise in den „Regelbetrieb“ gehen. Bleibt zuletzt die Frage, wo die Daten, die nun hochgradig automatisiert erfasst werden, weiterverarbeitet werden (sollen). Ist eine Be- beziehungsweise Verarbeitung in weiteren Systemen vorgesehen, müssen entsprechende Schnittstellen definiert und die Zielsysteme an die KI-Plattform angeschlossen werden.