Oliver Bäte, Chef der Allianz, hat in einem Interview die Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank kritisiert: diese würde für deutsche Sparer quasi eine Enteignung bedeuten. Was er unerwähnt lässt: Auch die Allianz hat bereits von staatlichen Eingriffen profitiert, als sie nach der Bankkrise 2008 ins Minus gerutscht war.
Allianz-Chef Oliver Bäte hat in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ die Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. "Die Preise für jene, die viele Schulden haben, werden künstlich niedrig gehalten. Und das Geld wird den Sparern weggenommen – eigentlich eine Enteignung“, sagte der 54jährige dem Schweizer Blatt auf die Frage, ob der Zinseszins-Effekt in der Altersvorsorge nicht abgeschafft sei.
Der Allianz-Chef sieht durch die Niedrigzinspolitik eine Umverteilung zwischen arm und reich: Mit einer recht originellen Argumentation. So seien es in Deutschland vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen, die ihr Geld auf einem Sparkonto bei Banken parken. Die EZB würde mit ihrer Politik des billigen Geldes südeuropäische Banken retten. Diese erhalten zu billigen Konditionen Geld, das sie „mit schönen Zinserträgen in Staatsanleihen“ anlegen würden. „Damit haben sie wieder Rendite und Eigenkapital verbessert und werden nun höher bewertet als deutsche Banken“, so Bäte.
Die Allianz sieht Bäte gut gerüstet, um trotz niedriger Zinsen zu bestehen. „Wir halten das ewig durch“, sagte er. Grundsätzlich seien die Versicherer besser auf den Niedrigzins vorbereitet als die Geldinstitute. „Die Banken leiden stark darunter, dass sie die Finanzkrise verursacht haben. In Reaktion darauf wurden die Kapitalregeln verschärft. Die Versicherungen haben zwar mit der EU-Solvency-II ein hartes Regime, aber sie konnten sich über die Jahre gut darauf vorbereiten“, erklärt Bäte. Lebensversicherer hätten konsequent ihre Verbindlichkeiten bewertet, die Branche habe auch viel an der Prämiengestaltung und an den Geschäftsmodellen gearbeitet: sie seien entsprechend stabil.
Hybrider Kunde — und jährlich 3,5 Milliarden Euro für Digitaltechnik
Im Interview äußert sich der Allianz-Chef auch zum Stand der Digitalisierung im Konzern. Die Allianz gebe jedes Jahr 3,5 Milliarden Euro für Investitionen in IT aus, davon 400 Millionen für das Asset-Management: also die digitale Vermögensverwaltung. Zwar habe man bereits eine der besten IT-Plattformen der Welt. Aber „das wirkliche Thema ist, unsere Produkte und Prozesse so zu vereinfachen, damit wir nicht an unserer Komplexität ersticken“.
In den letzten Jahren habe die Allianz ihre Datenzentren von 140 auf 6 reduziert, berichtet Bäte weiter. Zudem sei ein globales Allianz-Netzwerk zum Datenaustausch entstanden, gleichbedeutend mit 85.000 virtuellen Arbeitsplätzen. Die Grundlagen seien gelegt, um Skalenvorteile heben zu können: der nächste Schritt sei die Harmonisierung der IT.
Bevor die IT harmonisiert werden könne, müssten aber Produkte und Prozesse harmonisiert werden, berichtet Bäte. Konkret führte er dies im Interview nicht aus. In früheren Gesprächen hat er aber bereits mehrfach erklärt, dass er Produkte auf wenige Tarife zusammenstampfen will, damit diese leicht online und per Smartphone abgeschlossen werden können. Vorbild ist unter anderem die eigene Konzerntochter in Italien: Sie bietet lediglich drei einfache Kfz-Tarife an.
Ein Baustein hierfür ist der neue Digitalversicherer „Allianz Direct“, den Konzernchef Bäte auf der Hauptversammlung im Mai präsentiert hat. Er könnte Vorzeigemodell und Produktschmiede werden: und am Ende einheitliche Prozesse und Tarife in allen 70 Allianz-Ländermärkten stehen. Keine unumstrittene Entscheidung, gibt man damit doch auch regionale und kulturelle Besonderheiten der Zielmärkte auf. „Einfach, digital und skalierbar“ sollen demnach die neuen Allianz-Produkte sein (der Versicherungsbote berichtete).
Dennoch sieht Bäte keinen Widerspruch zwischen digitalem Vertrieb und persönlicher Beratung. Denn die Kunden hätten hybride Verhaltensweisen, positioniert er sich gegenüber der NZZ. "Es gibt kaum Kunden, die nur Online-Kontakt haben oder nur einen persönlichen Berater sehen wollen. Je nach Lebenssituation und je nach Produktart gibt es verschiedene Präferenzen, und es existieren länderspezifische Unterschiede", so der Manager. Gerade bei komplexen Produkten wie Altersvorsorge und Gesundheit seien die Menschen auch bereit, für eine persönliche Beratung mehr Geld zu zahlen. Automatisieren wolle der Versicherer hingegen in der Verwaltung.
Allianz hatte sich selbst mit Bankgeschäften verzockt
Oliver Bäte lässt bei seinen Ausführungen zu Niedrigzins und Bankenkrise unerwähnt, dass die Allianz selbst zu Zeiten der Finanzkrise gerettet werden musste, auf Kosten des Steuerzahlers — zumindest indirekt. Auch der Interviewer der NZZ fragt nicht danach:
2001 hatte der Versicherer die Dresdner Bank gekauft und 30,7 Milliarden Euro dafür gezahlt: Ziel der Münchener war es, auch im Bankgeschäft groß mitzumischen. Aufgrund fragwürdiger Investments in Ramschpapiere geriet das Geldhaus spätestens 2008 in Schieflage, allein im vierten Quartal 2008 verzeichnete die Bank einen Fehlbetrag von 4,8 Milliarden Euro. Im Geschäftsbericht tauchte er nicht auf.
Die Finanzwetten der Dresdner Bank rissen auch die Allianz mit in den Abwärtsstrudel. 2008 musste die Gruppe ein Minus von 2,4 Milliarden Euro beklagen. Ein Jahr später kaufte die Commerzbank, soeben teilverstaatlicht, die Dresdner Bank auf, obwohl sie das deutlich kleinere Bankhaus war. Der Versicherer erhielt dafür 9,8 Milliarden Euro. Die FAZ sprach damals von einem „Notausstieg der Allianz“ auf Kosten des Steuerzahlers, der „moralisch verwerflich“ sei —und beklagte undurchsichtige Geschäfte.
Die Übernahme der Dresdner Bank war nur möglich geworden, nachdem der Staat seine Kapitalhilfen für die ebenfalls angeschlagene Commerzbank um zehn Milliarden auf mehr als 18 Milliarden Euro erhöht hatte: Das Geld kam aus dem damaligen Bankenrettungsfonds Soffin. Analysten hatten zur damaligen Zeit vom Deal abgeraten, weil sich die Commerzbank damit selbst schade - die Allianz hat sie von einem Problem befreit.