Selbstzahler hatten bei den gesetzlichen Krankenkassen zum Jahreswechsel 2019 Beitragsschulden in Höhe von 10,3 Milliarden Euro angesammelt. Das geht aus einem aktuellen Faktenblatt Ursache sind jedoch nicht nur Versicherte, die mit den Beitragszahlungen überfordert sind. Auch gesetzliche Vorgaben zur obligatorischen Anschlussversicherung lassen die Schuldenlast explodieren.
Stolze 10,3 Milliarden Euro: Auf diesen Betrag summierten sich die Beitragsschulden gesetzlich Versicherter Anfang Januar 2019. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von 2,09 Milliarden Euro. In den letzten fünf Jahren sind die Schulden geradezu explodiert: Im Januar 2014 haben sie noch bei 2,77 Milliarden Euro gelegen: Sie haben sich vervierfacht. Das geht aus einem aktuellen „Faktenblatt Beitragsrückstände“ des GKV-Spitzenverbandes hervor.
Viele Selbstständige mit Einkommen überfordert
Die Gründe für die Beitragsschulden der Krankenkassen sind komplex — und resultieren nicht allein daraus, dass Versicherte mit den Beiträgen überfordert sind. Diese Menschen gibt es zwar auch, vor allem bei freiwilligen Mitgliedern der Krankenkassen. Oft sind das Selbstständige, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil allein stemmen müssen. Die Krankenkassen fordern von ihnen einen Mindestbeitrag, der sich an einem fiktiven Gewinn orientiert. Viele können diesen nicht annähernd erzielen.
Der Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte orientiert sich an der sogenannten Bezugsgröße in der Sozialversicherung. Stark vereinfacht ist dies ein Wert, der das Durchschnittseinkommen der gesetzlich Rentenversicherten aus dem vorvergangenen Jahr widerspiegelt.
Hier hat der Gesetzgeber bereits eingegriffen und mit dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz die Kleinunternehmerinnen und -unternehmer tatsächlich entlastet. War bisher der 40. Teil der Bezugsgröße Basis für den Kassenbeitrag, so ist es seit Anfang 2019 der 90. Teil. Die Bemessungsgrenze sank von 2.283,75 Euro in 2018 auf nun 1.038,33 monatlich. Wie sich diese Gesetzeskorrektur auswirkt, könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht anhand von Zahlen nachvollzogen werden, teilte eine Sprecherin dem Versicherungsboten mit.
Selbstständige Geringverdiener: 46,5 Prozent des Einkommens für Krankenkasse
Wie prekär die Situation für viele Selbstständige bisher gewesen ist, zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK aus dem Jahr 2016. Demnach verdiente ein Drittel aller gesetzlich versicherten Selbstständigen – beziehungsweise 600.000 Personen von 2,16 Millionen – ein Bruttoeinkommen von durchschnittlich 787 Euro im Monat. Die erhobenen Daten beziehen sich auf das Jahr 2012.
Für diese Einkommensgruppe bedeuteten die Krankenkassen-Prämien eine erhebliche Belastung: sie mussten "durchschnittlich 3.520 Euro jährlich an Beiträgen aufwenden, entsprechend einem Anteil von durchschnittlich 46,5 Prozent ihrer Einkünfte“, heißt es in der AOK-Studie. Die ausgewerteten Daten stammen aus dem Soziooekonomischen Panel 2012, der größten wiederkehrenden Haushalts- und Einkommensbefragung in Deutschland.
Auswirkungen der Anschlussversicherung: Ungeklärte Mitgliedschaften
Doch nicht allein die überforderten Selbstzahler tragen dazu bei, dass die Beitragsschulden explodieren. Eine wesentliche Ursache seien gesetzliche Vorgaben zur sogenannten obligatorischen Anschlussversicherung nach dem Sozialgesetzbuch (§ 188 Abs. 4 SGB V). Und diese Regeln könnten dazu beigetragen haben, dass sich hinter vielen Beitragsschuldnern auch Karteileichen verbergen:
Seit dem 1. August 2013 waren die Krankenkassen verpflichtet, eine freiwillige Versicherung in der GKV auch dann fortzuführen, wenn der Aufenthaltsort der versicherten Person nicht feststellbar war. Und nicht nur das: Der Gesetzgeber schrieb den Kassen auch vor, dass sie dann den maximal möglichen Beitrag von den Betroffenen verlangen sollen. Auch diese Außenstände der ungeklärten Mitgliedschaften summieren sich auf einen Milliarden-Betrag.
Eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes berichtet: “Bei bestimmten Personengruppen wie zum Beispiel Saisonarbeitern, die nicht korrekt abgemeldet worden sind, griff in der Vergangenheit automatisch eine weitere anschließende Versicherung. Das entsprach der Pflicht zur Krankenversicherung; die Krankenkasse darf die Mitgliedschaft nicht beenden, auch wenn sie keine Beiträge zahlen. Hier bauten sich dann schnell Schulden auf, da keine Beiträge gezahlt wurden.“
Oft Saisonarbeiter aus dem Ausland betroffen
Hierbei gilt zu bedenken: Oft handelt es sich um Gastarbeiter aus dem EU-Ausland, die vorübergehend für deutsche Unternehmen tätig sind, zum Beispiel in der Fleischindustrie oder Gaststätten-Gewerbe. Der Saisonarbeiter muss aktiv seinen Austritt aus der Krankenkasse erklären: Die Abmeldung durch den Arbeitgeber reicht hierfür in der Regel nicht aus. Versäumt er dies, bleibt er weiter zum möglichen Höchstbeitrag der Krankenkassen versichert. Und die Beitragsschulden wachsen, oft ohne dass der Betroffene dies merkt.
Auch mit Blick auf die Anschlussversicherung hat der Gesetzgeber eingegriffen. Mit dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz wurde die Rechtslage mit Wirkung ab dem 15. Dezember 2018 geändert: Freiwillige Mitgliedschaften gelten nun als beendet, wenn die zuvor versicherten Mitglieder unauffindbar werden. Die „ungeklärten passiven“ Mitgliedschaftsverhältnisse müssen bis zum 15. Juni 2019 bereinigt werden. Nur wenn der Aufenthaltsort bekannt ist, bleibt das Mitglied weiterhin versichert.
Es ist folglich zu erwarten, dass durch das Versichertenentlastungsgesetz die Beitragsschulden bei den Krankenkassen schrumpfen werden: Gleich an mehreren Stellen hat die Bundesregierung für notwendige Korrekturen gesorgt. Ob und in welchem Umfang, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. "Vermutlich werden wir noch etwas warten müssen, bis man deutliche Effekte sieht, zumal sich auch bei der Kontierung im Zuge der Gesetzgebung etwas ändern wird", berichtet eine Sprecherin dem Versicherungsboten.