Die Allianz bekommt ihre IT-Probleme nicht in den Griff. Am Freitag war die Allianz Deutschland für die Kunden stundenlang nicht erreichbar, weil das digitale Netz streikte. In einem internen Rundschreiben ist nun von „mehreren IT-Großstörungen“ beim Versicherer seit Ende August die Rede.
Treibt Konzernchef Oliver Bäte den digitalen Wandel bei der Allianz zu schnell und radikal voran? Diesen Eindruck nährt ein Vorgang am Freitag. Laut einem Bericht des Handelsblattes war die Deutschland-Tochter für Kundinnen und Kunden stundenlang nicht erreichbar. Der Grund: ein Ausfall der IT-Infrastruktur. Mehrere Leser hätten sich an die Zeitung gewendet und auf die Probleme hingewiesen.
“mehrere IT-Großstörungen“
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Erst im August hatte der Versicherungsbote berichtet, dass Vertreter der Allianz in internen Social-Media-Gruppen über IT-Probleme beim blauen Riesen klagten. Ebenfalls berichtet wird da über Systemausfälle, liegen gebliebene Anträge und verschwundenen Kunden-Dokumente. Im Fokus stand vor allem die Tochtergesellschaft Allianz Private Krankenversicherung (AKPV): Viele der Vertreter, die sich in den Foren äußerten, fürchteten aufgrund der Probleme sogar um ihren Ruf (der Versicherungsbote berichtete).
Die Allianz hatte sich damals positioniert, dass es sich um wenige Einzelfälle handle. Auch wenn es vereinzelt Probleme gegeben habe, Rechnungen und Anträge von Kunden abzuarbeiten, so würden immer noch sechs von zehn Kunden-Gesuchen innerhalb von 24 Stunden erledigt, erklärte damals ein Sprecher diesem Magazin. IT-Probleme? Ja, aber nicht systematisch und nicht im großen Rahmen.
Umso mehr lässt nun eine Stellungnahme aufhorchen, die die Allianz Deutschland laut „Handelsblatt“ an ihre Mitarbeiter in der Betriebs- und Schadenabteilung ausgesendet hat. Darin heißt es: „Nachdem wir seit Jahresbeginn erhebliche Fortschritte bei der IT-Stabilität und der Verfügbarkeit unserer Systeme verzeichnen konnten, sind seit Ende August mehrere IT-Großstörungen aufgetreten“. Man arbeite unter Hochdruck an einer nachhaltigen Lösung, um die Infrastruktur stabiler zu machen, verspricht der Versicherer, und sei zuversichtlich, dass dies gelingen werde. Das werde aber Zeit in Anspruch nehmen.
Mehrere Großstörungen? Man arbeite daran, die Infrastruktur stabiler zu machen? Solche Statements lassen vermuten, dass die IT-Probleme der Allianz doch umfassender sind, als die Münchener öffentlich eingestehen wollen. „Uns ist bewusst, dass ein solcher Ausfall für alle Kolleginnen und Kollegen sehr im Innen- wie auch im Außendienst sehr hinderlich ist und wir entschuldigen uns ausdrücklich dafür“, zitiert das „Handelsblatt“ aus dem Schreiben. Dazu passt: Selbst CEO Bäte hat kürzlich einräumen müssen, dass die IT zuletzt „vereinzelt holprig“ gelaufen sei.
Digitale Agenda - „Simplicity wins“
Für den ehrgeizigen Konzernchef kommen solche Störungen zur Unzeit. Er will die Allianz in einen digitalen High-Tech-Versicherer mit Vorbildfunktion umbauen. Zum Ende des abgelaufenen Geschäftsjahres 2018 stellte er seine Konzernstrategie „Simplicity wins - Renewal Agenda 2.0“ vor, die nahtlos an die bisherige Konzernpolitik unter seiner Führung andockt (der Versicherungsbote berichtete).
Bäte will nicht nur die Policen radikal vereinfachen und auf wenige Tarife zusammenstampfen, damit sie besser online abzuschließen sind — und zwar weltweit über eine einheitliche IT. Auch die Schadenbearbeitung soll sich deutlich beschleunigen. „Mein Traum ist es, dass beim ersten Kontakt 80 Prozent aller Schadenfälle bearbeitet werden können“, zitiert das „Handelsblatt“ eine frühere Rede des 54jährigen.
Milliarden-Investments in IT und digitale Technik
Seit Mai 2015 ist Oliver Bäte Konzernlenker bei der Allianz Gruppe. Der digitale Wandel wurde zu seinem wichtigsten Projekt. 700 Millionen Euro hat Europas Branchenprimus allein für seine "Single Digital Agenda" freigemacht: der „Transformation der Allianz in ein völlig kundenorientiertes und durchgehend digitales Unternehmen“, wie Bäte 2017 bei einem Vortrag in Afrika erklärte (der Versicherungsbote berichtete).
"Simplicity wins" knüpft nun an diese Konzernstrategie an. Und Bäte drückt aufs Tempo. Eine radikale Kundenorientierung schreibt er seinem Konzern bis 2021 ins Kursbuch sowie einen Digitalisierungsgrad von 100 Prozent. Das heißt: Jedes Produkt und jede Dienstleistung soll der Kunde auch online nutzen und bestellen können. Eine wichtige Voraussetzung hierfür: "Technische Exzellenz", so hob der Allianz-Chef beim Investorentag des Versicherers vor rund einem Jahr hervor. Ob diese bereits erreicht ist, darf angesichts der Probleme bezweifelt werden.
Ein wichtiger Baustein: Im November 2019 soll "Allianz Direct" in Deutschland und anderen europäischen Staaten starten, ein neuer Direktversicherer der Münchener. Er soll als Versuchsfeld dienen, um innovative Versicherungstarife zu testen, die international einheitlich über eine gemeinsame IT-Plattform vertrieben werden. Das alles verschlingt gewaltige Summen. Insgesamt dürften sich die Investitionen in den digitalen Wandel bereits auf einen Milliarden-Betrag summieren.
Viele Allianz-Vertreter verärgert
Unumstritten ist der Reformkurs von Bäte auch im eigenen Haus nicht. Ein Teil der rund 8.300 Allianz-Vertreter äußert offen seinen Missmut in internen Allianz-Gruppen. Die Vertreter hegen den Verdacht, der Konzernvorstand wolle sie durch digitale Technik ersetzen und überflüssig machen. Auf wenig Gegenliebe stieß es darüber hinaus bei den Agenturen, dass ihnen der Konzernvorstand 2018 eine wichtige erfolgsabhängige Bestandsprovision ersatzlos strich (der Versicherungsbote berichtete).
Der harte Reformkurs trägt dazu bei, dass bei der Allianz die Stimmung eher durchwachsen ist. Das betrifft auch den Innendienst. Eine interne Befragung ergab im Herbst 2018, dass nur 46 Prozent der deutschen Mitarbeiter Bätes Strategie für erfolgversprechend halten. Auch an der Glaubwürdigkeit der Konzernführung meldeten die Beschäftigten Zweifel an. Nur gut ein Drittel findet laut Umfrage, die Vorstände der Allianz handelten und kommunizierten glaubhaft (der Versicherungsbote berichtete).
Bäte genießt Rückendeckung der Konzernspitze
Dennoch: Für seine Strategie genießt Bäte das Vertrauen von Aufsichtsrat und Konzernspitze. Sie betrachten seine Strategie als alternativlos. Im November 2018 wurde der Vertrag des Managers vorzeitig bis 2024 verlängert - und seine Macht im Konzern gestärkt. Dabei kann der gebürtige Rheinländer durchaus Erfolge vorzeigen. Trotz Niedrigzins und einem schwierigen Marktumfeld fährt der Marktführer Rekordgewinne ein. Im Jahr 2018 erzielte die Allianz Gruppe ein Operatives Ergebnis von 11,5 Milliarden Euro: und übertraf sogar die Erwartungen vieler Analysten deutlich.
Seine Vorbilder für digitales Kunden-Erleben findet der Allianz-Chef nicht nur bei den Big Four aus dem Silicon Valley, also Google, Amazon, Apple und Microsoft. Auch Gesellschaften wie Netflix hat er bereits als Ideengeber genannt. So wie der prominente Seriensender lediglich drei Abo-Modelle anbietet, will auch Bäte Versicherungsverträge auf wenige Varianten reduzieren. Ein weiteres Vorbild ist sogar im eigenen Konzernbund ansässig: Die spanische Allianz-Tochter vertreibt im Neugeschäft lediglich zwei Kfz-Versicherungs-Tarife. Ein Modell, das Bäte mehrfach gelobt hat.
Im September begleitete der CEO Angela Merkel auf ihrer Reise nach China, um auch dort neue Partnerschaften zu schließen. Im Reich der Mitte sitzt mit Ping An eines der wertvollsten Unternehmen der Welt: nicht nur Versicherer, sondern umfangreiche Plattform für jede Art von Finanzdienstleistungen. Ping An kann nach eigenen Angaben ein Schadensgutachten für die KfZ-Versicherung per App in 10 Minuten ausstellen: und die Auszahlung einer Lebensversicherung innerhalb von 30 Minuten nach Antrag garantieren. Auch diesen Wettbewerber hat Bäte in einem Handelsblatt-Gespräch bereits als Vorbild genannt: und es bedauert, dass europäische Wettbewerber solchen Entwicklungen hinterherhinken.