Ein weiteres Thema, mit dem Moderator Marc Surminski die vier Vorstände konfrontierte: Welche Rolle spielen die Versicherer in digitalen Ökosystemen? Können sie selbst Ökosysteme schaffen oder müssen sie sich anderen Systemen unterwerfen?
Gemeint ist hiermit stark vereinfacht die Idee, dass Unternehmen ihren Kundinnen und Kunden einen ganzen Kosmos an Diensten und Produkten bieten, die auch branchenfremde Leistungen beinhalten. Es geht darum, zum Begleiter im täglichen Leben zu werden, möglichst unersetzbar: ähnlich etwa dem Smartphone, mit dem man nicht nur telefonieren und Nachrichten schreiben kann, sondern auch bezahlen, fotografieren, Termine verwalten etc.
Ein eigenes Ökosystem sei der Königsweg, erklärte R+V-Chef Rollinger: Freilich sei es für Versicherer schwierig, in die Lebenswelt des Kunden vorzudringen. "Wir haben nur die Chance Ökosysteme zu bauen, auf denen nicht Versicherung steht". Dennoch hätten die Gesellschaften durchaus Chancen, wie Rollinger am Beispiel des eigenen Konzerns zeigte:
So sei man in der Gewerbesparte mit Versicherungen für Spediteure gut aufgestellt. Die R+V biete den Firmen aber mehr als nur Versicherungen. Fahrermangel und fehlende Rastplätze würden die Speditionsbranche stark belasten: Hier habe man gemeinsam mit Kooperationspartnern digitale Werkzeuge geschaffen, um die Ausbildung von Fahrern und das Finden von Parkplätzen zu unterstützen. Dabei seien Versicherer auf Kooperationen angewiesen: Lebenswelten allein könnten sie nicht schaffen, auch wegen der hohen Kosten.
Alte-Leipziger-Chef Christoph Bohn wählte zwar ein ähnliches Beispiel, widersprach aber Rollinger zum Teil. So hätten Versicherer durchaus die Chance, sich mit einem eigenen Ökosystem zu positionieren. „Es gibt im bAV-Bereich Ökosysteme, die von Firmen erfolgreich betrieben werden“, so Bohn. Entwickelten Versicherer zum Beispiel für mittlere Unternehmen spezielle Formen der betrieblichen Altersvorsorge, könnten sie sich als Produzenten eines solchen Systems in Szene setzen. Da müsse man "vorne mit dabei sein".
"Jeder Vermittler ein eigenes Ökosystem"
Auch Ergo-Deutschland-Chef Kassow pflichtete bei, es wäre ideal eigene Ökosysteme zu schaffen. Er gab zu bedenken: „Wir sind als Versicherer in einer Welt, die relativ kontaktarm ist gegenüber den Kunden“. Dennoch machte er drei Bereiche aus, in denen sich die Versicherer im Alltag der Menschen positionieren können: Mobilität, Travel sowie Gesundheit. „Das sind Themen, wo Versicherer über das Versichern hinaus eigene Leistungen erbringen können“, etwa über Pay-as-you-live-Tarife, die gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen.
Und welche Rolle komme bei der Schaffung von Ökosystemen dem Vertrieb bei?, wurden die anwesenden Vorstände von Moderator Surminski befragt. "Ich würde jeden Vermittler und Makler als eigenes Ökosystem bezeichnen wollen", schmeichelte Kassow den anwesenden Vermittlern im Publikum. Schließlich würden sie sich in einem eigenen Netzwerk bewegen und verschiedenste Kompetenzen vereinen, etwa Beratung zu Versicherung, Altersvorsorge und Schadenabwicklung: eine Schnittstelle in die Lebenswelt des Kunden.
PSD 2 - Verhaltenes Hoffen auf bessere Daten
Ein weiteres Thema: die PSD 2-Richtlinie, auch als "Zahlungsdiensterichtlinie" genannt. Sie verpflichtet Banken künftig, Daten zu Kontobewegungen auch Dritten zur Verfügung zu stellen: vorausgesetzt natürlich, der Kunde willigt explizit ein. Eine Datengoldgrube für Versicherer?
Norbert Rollinger trat vorerst auf die Euphoriebremse. Der Start gestalte sich als äußerst holprig, gab er zu bedenken: Die Kunden seien (noch) nicht bereit, die Daten freizugeben. Dennoch arbeite man an aktuell an Tools, die Zahlungsstrom-Analysen von Kontoinhabern des Partners Deutsche Volksbanken und Raiffeisenbanken auswerten zu können. Auch Zurich-Chef Schildknecht warf ein, man müsse abwarten, ob die Kunden zur Datenweitergabe bereit seien: schließlich müssten sie sich quasi nackt machen, wenn Drittanbieter ihre Kontobewegungen nachvollziehen könnten.
Für Ergo-Vorstand Kassow ist die PSD 2-Debatte Teil eines übergeordneten Phänomens: Wie kommen Versicherer an branchenfremde Datenströme, die für sie auch interessant sind? Anbieter wie Amazon, Facebook oder Google würden bereits eine Vielzahl wertvoller Daten auswerten, wobei sich viele Menschen beim Thema Datenschutz hier weit weniger empfindlich zeigen. Hier stelle sich die Frage, wo der Versicherer in der Wertschöpfungskette sitze.
"KI ist Rettungsanker für persönliche Beratung"
Beim Gewinnen dieser Daten kommen nun wieder die Vermittler ins Spiel: und die persönliche Beratung. "Menschen tun sich leichter, Müller, Meier oder Schultze die Daten zu geben als einer Institution", will Kassow im eigenen Konzern beobachtet haben: eine Frage des Vertrauens. Und so sei persönliche Beratung auch ein Schlüssel zu der digitalen Welt. Gleichsam wollen die Versicherer diese Daten auch ihren Vermittlern zur Verfügung stellen, wenn sie erst einmal gewonnen sind, so betonten die Vorstände.
Die Chancen besserer Datennutzung wurden als ein Grund gewertet, weshalb auch Künstliche Intelligenz (KI) keine Gefahr für die Vermittlerexistenz sei. Zwar sei KI der Bereich, "der mit die größte Auswirkung auf die Branche hat", sagte R+V-Chef Rollinger. Aber mit KI könnten die Makler und Vertreter ihre Kunden noch gezielter und persönlicher ansprechen. Auch hätten die Vermittler mehr Zeit für ihre Kunden, weil die Schadenbearbeitung vereinfacht und beschleunigt werde - weniger Versicherte rufen folglich im Büro an, weil sie Fragen oder Beschwerden haben. "Ich bin überzeugt, KI ist der Rettungsanker für persönliche Beratung", so Rollinger.