So genannte Vermögensübergänge „von Todes wegen“, aber auch Schenkungen fließen ab einer bestimmten Höhe in die amtliche Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik ein. Demnach ist die Statistik eine wahre Fundgrube zum einen, um steuerpolitische Maßnahmen zu beurteilen. Zum anderen aber offenbart die Statistik auch, wie Steuerpflichtige auf drohende Änderungen der Steuerpolitik reagieren durch Zeitpunkt und Art einer Schenkung. Aufschlussreiche Zahlen zu dieser Frage stellte das Statistische Bundesamt im August 2019 vor.
Die Statistik folgt den Maßgaben durch das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) und untergliedert Erbschaften und Schenkungen in Vermögensarten: Land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen, Betriebsvermögen und Übriges Vermögen. Um Zahlen zu deuten, müssen jedoch zunächst einige Dinge vorausgeschickt werden.
- Keineswegs liefert die Statistik einen vollständigen Überblick über alle Vermögensübergänge in Deutschland, stattdessen wird ein großer Teil der Erbschaften und Schenkungen nicht erfasst. Das liegt daran, dass ein Großteil der Vermögensübertragungen durch Verschonungsregelungen wie hohe Freibeträge innerhalb der Kernfamilie oder sachliche Steuerbefreiungen steuerfrei bleibt. Für kleinere Vermögen werden keine Vorgänge bei den Finanzämtern angelegt. Diese Erbschaften und Schenkungen erscheinen gar nicht in der Statistik. Andererseits jedoch werden Daten dann in die Statistik übernommen, wenn zwar ein Vorgang bei den Finanzämtern angelegt, die Steuerfestsetzung aber mit null Euro beschieden wird.
- Destatis weist Daten sowohl nach Festsetzungsjahren als auch nach dem Jahr der Steuerentstehung aus. Will man beurteilen, welches Vermögen in einem Jahr vererbt oder verschenkt wurde, sind Zahlen nach dem Jahr der Steuerentstehung maßgebend. Diese Zahlen beziehen sich auf den Stichtag der Schenkung oder – im Falle einer Erbschaft – auf den Todestag des Erblassers. Da die Steuerfestsetzung für mehr als die Hälfte der Vermögensübergänge aber zwei Jahre oder sogar länger beansprucht, sind für die unmittelbar zurückliegenden Jahre 2017 und 2018 viele Erbschaften und Schenkungen noch nicht in die Statistik eingeflossen.
Gesetzgebung zur Erbschaftssteuer: Die Krux mit dem Grundgesetz
Im Folgenden soll es darum gehen, ausgewählte Daten nach dem Jahr der Steuerentstehung vorzustellen. Das hat seinen Grund: An diesen Daten lässt sich veranschaulichen, wie Gesetzesänderungen die Vermögensübergänge beeinflussen. Eine Selbstverständlichkeit freilich muss für dieses Thema vorausgeschickt werden: Die Beobachtungen sind nur für Schenkungen, nicht aber für Erbschaften (und damit für so genannte „Vermögensübergänge von Todes wegen“) relevant. Denn nur bei Schenkungen besteht Einfluss auf den Stichtag, zu dem der Vermögensübergang vollzogen wird.
Dass die Politik mit der Ausgestaltung der Erbschaft- und Schenkungssteuer ihre Probleme hat, zeigt die Steuergesetzgebung der letzten Jahre. So machte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2006 (Az. 1 BvL 10/02) eine neue Gesetzgebung notwendig, da die Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht genüge. Die damalige große Koalition reagierte mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz, das zum 1. Januar 2009 in Kraft trat. Jedoch beinhaltete das neue Gesetz äußerst großzügige Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen. So konnte unter bestimmten Umständen sogar das nicht betriebsnotwendige Vermögen – das so genannte Verwaltungsvermögen – in unbegrenzter Höhe ohne Steuerbelastung erworben werden.
Der Bundesfinanzhof zweifelte jedoch an der Verfassungsmäßigkeit dieser Praxis und rief mit Vorlagebeschluss vom 27. September 2012 das Bundesverfassungsgericht an. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erfolgte am 17. Dezember 2014 (Az. 1 BvL 21/12). Das Gericht beschied: Die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres Ausmaßes mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar und damit verfassungswidrig. Jedoch: Dem Gesetzgeber wurde Zeit gegeben bis zum 30. Juni 2016 für eine Neuregelung.
Der Gesetzgeber reagierte mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2464). Dieses trat rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft. Jedoch: Bis Ende 2017 wurden von den Finanzverwaltungen noch keine Steuerbescheide nach dem neuen Rechtsstand festgesetzt. Demnach findet auch in den aktuellen Daten der alte Rechtsstand noch immer seinen Widerhall.
Vorzieh-Effekte der Steuerzahler: Man schenke zum richtigen Zeitpunkt
Wie wirken sich jedoch drohende Verschlechterungen bei der Steuerlast auf den Zeitpunkt der Schenkungen aus? Hierfür ist eine Tabelle aussagekräftig, die nach dem Jahr der Steuerentstehung geschenktes Vermögen über die Jahre hinweg vergleicht – angefangen mit dem Stand vor 2009 bis zum Stand 2018. Bedacht werden aber muss: Zahlen für 2017 bis 2018 sind noch unvollständig.
Aussagekraft aber besitzen die Zahlen für die Jahre der Gesetzreform. So verändert sich ab 2010 auffallend die Zusammensetzung des vererbten und des geschenkten Vermögens. Dominiert bei Erbschaften über all die Jahre die Vermögensart Übriges Vermögen die Übergänge, zeigt sich bei Schenkungen ab 2010 eine auffallende Dominanz des Betriebsvermögens. Ein hoher Wert von 39,0 Milliarden Euro lässt sich für 2010 konstatieren. Dem stehen ein Grundvermögen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro, ein Land- und forstwirtschaftliches Vermögen in Höhe von 0,3 Milliarden Euro und Übriges Vermögen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro gegenüber. Weil Betriebsvermögen ab 2009 steuerlich besonders begünstigt wurde, wurde mehr Betriebsvermögen verschenkt.
Allein im Oktober 2012: Sagenhafte 39,6 Milliarden Euro Vermögen durch Schenkungen übertragen
In 2012 jedoch schnellt der Wert erneut in die Höhe: 55,9 Milliarden Euro werden nun für Schenkungen bei der Vermögensgruppe Betriebsvermögen erfasst. Kann dieser Anstieg auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen sein, obwohl dieser Schritt erst im September durch den Bundesfinanzhof erfolgte? Wurden nun also Schenkungen von Betriebsvermögen vorgezogen, um noch schnell von eventuell verfassungswidrigen Regelungen zu profitieren? Eine Destatis-Studie bestätigt den Verdacht. Demnach wären, wenngleich für alle Vermögensgruppen, allein im Oktober 2012 sagenhafte 39,6 Milliarden Euro Vermögen durch Schenkungen übertragen worden. Auch in den nun folgenden Jahren liegen Zahlen der Vermögensgruppe Betriebsvermögen bei Schenkungen auffallend hoch. Eine Normalisierung setzt 2015 ein, wie die Tabellle des Statistischen Bundesamts veranschaulicht:
Und damit nicht genug: Weitere Destatis-Zahlen bestätigen den Befund, dass plötzlich Schenkungen von Betriebsvermögen schnell vorgezogen wurden. So verringerte sich der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs an diesem Vermögen vom Oktober 2012 bis Dezember 2014 – und das, obwohl in diesem Zeitraum wesentlich mehr Vermögen verschenkt wurde. Anders ausgedrückt: Mehr als in anderen Jahren wurde von 2012 bis Dezember 2014 vor allem jenes Betriebsvermögen verschenkt, das steuerlich besonders begünstigt war.
Der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten Vermögen lag zwischen 2009 und 2012 bei 22 Prozent – schon dieser Wert spiegelt großzügige Verschonungsregelungen ab 2009. Weil aber ein Wegfallen der Regelungen drohte, nahmen ab 2012 Schenkungen zu, die noch vom alten Gesetzstand profitierten. Demnach sank der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten Vermögen zwischen Oktober 2012 und Dezember 2014 auf 14,9 Prozent. Ab Januar 2015 jedoch normalisierte sich der Effekt, obwohl noch immer die alten Regelungen Bestand hatten. So stieg der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten Vermögen wieder auf 22,5 Prozent. Eine solche Normalisierung könnte sich daraus erklären, dass nun Vorzieh-Effekte nachließen, weil bereits ab 2012 viel von dem begünstigten Betriebsvermögen übertragen wurde.