Kein langfristiges Konzept, blinder Aktionismus, unmotivierte und schlecht geschulte Führungskräfte: In seinem Gastkommentar nennt Sebastian Heithoff, Experte der Digitalagentur .dotkomm, häufige Fehler, weshalb eine Digitalstrategie im Vertrieb scheitert.
Die Versicherungsbranche versucht sich seit einigen Jahren (mehr oder weniger intensiv) damit, ganze Ausschließlichkeits-Mannschaften oder Mitglieder von Maklerpools und -verbänden auf die Nutzung digitaler Tools und Kanäle einzuschwören. Als Consultant stehe ich hier an vorderster Front und kann aus meinen Erfahrungen als "Enabler" für die digitalen Themen seit 2016 zentrale Fehler benennen, die entscheidend dafür sind, dass Initiativen fehlschlagen. Dazu gehören nicht nur IT-Probleme und fehlendes Fachwissen, es gibt weitere Schlüsselthemen, die noch gravierender sind. Zum Beispiel? Fehlendes Gesamtkonzept, lückenhafte Strategien, unfähige sowie unmotivierte Trainer und Führungskräfte. Heute werde ich wieder Tacheles reden, denn sonst hört niemand in der Branche zu.
Schneller und schlauer sein
Das bedeutet mitnichten, dass die persönliche Beratung aussterben wird oder dass der Direktvertrieb die Zukunft ist. Es bedeutet, dass wir schneller und schlauer sein müssen als beispielsweise Einzelhändler, Optiker und Apotheker, die vielfach schon im Ruin stehen. Wir müssen nutzen, was uns die digitale Sphäre bietet, um es uns und unseren Kunden leichter, angenehmer und effizienter zu machen. Doch da Unverständnis und durch sie bedingte Mangelmotivation in einem signifikanten Teil unserer Branche existieren, zeichnen sich unnötig intensive Probleme ab, die man umschiffen kann, wenn man größer denkt und in die Zukunft. Nicht ein Jahr, sondern fünf Jahre – mindestens.
Ein proaktives Gesamtkonzept ist gefragt
Wir haben in unserer Digitalagentur kürzlich erneut ein Format abgehalten, das wir schon länger proklamieren: Agentur 2025. So weit gilt es zu planen, will man wirklich ein Gesamtkonzept etablieren, das proaktiv ist und nicht hektisch reagiert, weil es knirscht und sich Bruchrillen bilden. Wenn eine AO, ein Maklerpool oder -verband im Jahr 2020 noch keine umfängliche Strategie dazu haben, wie sie sich in den nächsten fünf Jahren entwickeln wollen und wie sie dabei digitale Tools und Kanäle effizient nutzen, erkennt man gut, wer auf absehbare Zeit unnötig Geld verbrennt und aus Reaktionismus ins Rudern kommt.
Ein weiterer Fehler, der mir regelmäßig begegnet, ist die unzureichende "Umschulung" von Orga-Führungskräften zu Digital-"Experten" innerhalb von 1-2 Wochen. Der Effekt gen Null, die Erwartungshaltung von F1 und Vorstand exorbitant hoch, der Frust entsteht in der Mannschaft. Von diesem Fehler kann sich kaum eine Gesellschaft frei machen, doch bloß weil es fast alle tun, ist es noch lange nicht klug. Wir sehen den Output daran, dass sich die guten AOler und Makler selbstständig fähige Berater von extern holen. "Das bekommt die Zentrale doch sowieso nicht hin" - diesen Satz höre ich seit 2016 und werde ihn auch noch 2022 hören.
Was ist die Lösung? Das gleiche dreiteilige Rezept, das auch bei einem Endkunden dazu führt, dass er kontrahiert: Transparenz, Verständnis und Vertrauen. Eine über alle Abteilungen und Silodenken hinweg erarbeitete Gesamtstrategie, gechallenged von externen Experten, gemeinsam ausformuliert mit Commitment von allen relevanten Stakeholdern, ist groß gedacht, lückenlos, verständlich und transparent für alle Beteiligten ersichtlich und schafft dadurch Vertrauen, dass wir es alle gemeinsam hinbekommen, uns in die richtige Richtung zu entwickeln. Wenn jeder seinen Wertbeitrag kennt, das große Ganze sieht und den Sinn erfassen kann, sind wir auf dem bestmöglichen Weg.
Sebastian Heithoff