Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen müssen sich ab kommendem Jahr auf steigende Zusatzbeiträge einstellen. Laut Bundesgesundheitsministerium wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag um 0,2 Prozentpunkte angehoben. Verbindlich für jede einzelne Kasse ist der Wert zwar nicht, deutet aber auf steigende Ausgaben der GKVen hin.
Die gesetzlich Krankenversicherten müssen sich im kommenden Jahr auf steigende Zusatzbeiträge einstellen. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird um 0,2 Prozentpunkte auf 1,1 Prozent angehoben, so teilt das Bundesgesundheitsministerium Anfang der Woche mit. Grund sei, dass die Ausgaben schneller steigen als die Einnahmen der Kassen.
Bindend ist der durchschnittliche Zusatzbeitrag jedoch nicht, er bietet nur eine Orientierung. Zusätzlich zu dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent darf jede Kasse einen individuellen Zusatzbeitrag erheben, wenn das Geld nicht reicht. Musste er zunächst von den Beschäftigten selbst geschultert werden, so wird er seit dem 1. Januar 2019 wieder paritätisch finanziert: das bedeutet, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen ihn zu gleichen Teilen.
Deutlich mehr Ausgaben als Einnahmen erwartet
Errechnet wird der durchschnittliche Betrag von einem Schätzerkreis: besetzt ist er von Vertretern des Ministeriums, des Bundesversicherungsamtes und des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen (GKV).
Für das kommende Jahr erwartet der Schätzerkreis Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds in Höhe von 240,2 Milliarden Euro. Zugleich werden Ausgaben der GKV von rund 256,8 Milliarden Euro prognostiziert.
Trotz der steigenden Kosten geht das Bundesgesundheitsministerium davon aus, dass einzelne Kassen ihren Zusatzbeitrag senken könnten. So seien die Finanzreserven der Anbieter im letzten Jahr auf 20 Milliarden Euro angewachsen, wenn auch zwischen den Anbietern sehr ungleich verteilt: Töpfe, die nun angezapft werden können.
Überwiegend positive Ursachen für Kostenanstieg genannt
"Gewollte Verbesserungen in der Versorgung, medizinischer Fortschritt und eine höhere Nachfrage nach medizinischer Versorgung in einer älter werdenden Gesellschaft führen dazu, dass die Ausgaben stärker steigen als die Einnahmen", begründet das Gesundheitsministerium die angekündigte Anhebung. Damit fällt auf, dass vor allem positive Argumente für das mögliche Beitragsplus genannt werden.
Kritiker führen hingegen immer wieder auch teure Fehlentwicklungen im Kassensystem an. So bestehe ein Anreiz für teure, aber oft unnötige Operationen, wie etwa der Spitzenverband der Krankenkassen selbst bemängelt.
Beispiel Hüftoperationen: In kaum einem anderen OECD-Land werden anteilig zur Bevölkerung so viele künstliche Hüftgelenke verpflanzt, wie „Statista“ berichtet. Mit 300 Implantationen je 100.000 Einwohner werden hierzulande pro Jahr 40 Prozent mehr Hüftgelenke implantiert als beispielsweise in den Niederlanden und ein Viertel mehr als in Frankreich. Ähnlich hohe Zahlen gibt es bei Knie-OPs und Wirbelsäulen-Eingriffen. Ein möglicher Grund: Kliniken können mit derartigen Operationen gutes Geld verdienen und müssen sich zugleich in einem harten Kostenwettbewerb behaupten.
Wiederholt kritisiert werden auch doppelte Strukturen im Kassensystem. 109 Krankenkassen bestanden laut GKV-Spitzenverband zum Jahreswechsel 2019, manche nur regional tätig oder für einen bestimmten Personenkreis geöffnet. Sie haben eigene Vorstände, eine eigene Verwaltung, eigene IT-Strukturen etc.: Dinge, die im Zweifel extra Geld kosten und den Ruf nach Fusionen lauter werden lassen.
Hohe Medikamentenpreise
Eine weitere Ursache, die vom Ministerium nicht explizit genannt wird bzw. nur verklausuliert durch die Formulierung „medizinischer Fortschritt“: Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Hochpreisland, was patentierte Medikamente betrifft. In Deutschland können Arzneimittelhersteller den Preis eines Medikamentes im ersten Jahr selbst bestimmen, während sie in vielen anderen europäischen Staaten von Beginn an gedeckelt sind. Erst ab dem zweiten Jahr bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Zusatznutzen des Medikaments und handelt danach Rabatte aus.
Laut Bundesregierung schießen speziell die Preise für patentgeschützte Medikamente in die Höhe. Sie verteuerten sich zwischen 2008 und 2017 im Schnitt um mehr als das Vierfache - von 981,54 Euro je Präparat auf 4457,63 Euro.
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie argumentiert, dass die Kosten für neue Medikamente „völlig unauffällig“ seien und die Gelder für die Forschung notwendig. Dem entgegen geht aus den letztjährigen Ausgaben des GKV-Arzneimittelverordnungsreportes hervor, dass in anderen europäischen Staaten die Preise für das gleiche Präparat oft deutlich niedriger sind als hierzulande: In manchen Nachbarländern gar um 50 bis 100 Prozent billiger. Das gilt vor allem auch für neue Rezepte. „Unsere Verordnungsanalysen zeigen seit vielen Jahren, dass Patentarzneimittel die wesentlichen Kostentreiber sind“, sagte Mitherausgeber Ulrich Schwabe bei der Vorstellung des jüngsten Reportes am 24. September in Berlin.
Das spiegelt sich - neben der alternden Bevölkerung - auch in den Ausgaben für Medizin wieder. Allein zwischen 2007 und 2016 verteuerten sich die Arzneimittelausgaben der GKV um durchschnittlich 33,7 Prozent je verschriebenem Medikament, wie aus Zahlen der Bundesregierung hervorgeht. Für individuelle Rezepturen wie zum Beispiel Krebsmedikamente nahmen die Kosten gar um 91,3 Prozent zu.
Auch für 2019 lässt sich erneut eine Teuerung prognostizieren: allein im ersten Halbjahr des Jahres stiegen die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel um 4,47 Prozent, so stark wie kein anderer Posten (siehe Tabelle).