Der Streit zwischen früheren Mitarbeitern der Volksfürsorge und der Generali schwelt weiter. Der Versicherungsriese soll rund 5.000 Betriebsrentnern die Altersvorsorge unrechtmäßig gekürzt haben, es geht um Millionen. Am Freitag trafen sich gut 500 Betroffene im Hofbräuhaus — Sie wollen weiter gegen den Versicherer klagen. Auch, weil es bereits erfolgsversprechende Urteile gibt.
Hat die Generali zu Unrecht Betriebsrentnern die Altersbezüge gekürzt? Diese Frage wird weiterhin die Arbeitsgerichte beschäftigen. Das berichtet die Selbsthilfegruppe „keinesorge.org" auf ihrer Webseite. Am Freitag hätten sich rund 500 Betroffene im Hofbräuhaus Hamburg getroffen, um den aktuellen Stand auszutauschen. „Die Generali lässt unverändert weiterklagen“, berichtete auf der Veranstaltung Klaus Peter Kussmann, Gründer der Betroffeneninitiative. Dabei gehe es pro Jahr um einen Betrag von acht Millionen Euro.
Volksfürsorge - einst ein Big Player
Ein Blick zurück: Konkret geht es um die Frage, ob die Generali früheren Mitarbeitern der Volksfürsorge die Betriebsrente kappen darf. Und die Vorgeschichte ist durchaus komplex und undurchsichtig. Oft gestaltete sich die Beziehung zwischen Generali und Volksfürsorge eher als Zweckheirat denn als wirkliche Liebesbeziehung.
Ursprünglich 1913 als Versicherer der Gewerkschaften gegründet, stieg die Volksfürsorge in der Nachkriegszeit zu einem der bekanntesten Anbieter auf dem Versicherungsmarkt auf. Den Werbeslogan „Keine Sorge - Volksfürsorge“ flimmerte in den 80er und 90er Jahren über alle Fernsehbildschirme. Sechs Millionen Kunden betreuten die Hansestädter allein in der Lebensversicherung und gehörten somit zu den Big Playern auf dem deutschen Markt.
Trotzdem geriet der Volksfürsorge bereits Mitte der 80er in Schieflage: auch, weil sie über Beteiligungsgesellschaften eng an gewerkschaftseigene Banken gebunden war, die sich lange vor der Finanzkrise mit hochriskanten Finanzwetten verzockt hatten. Zunächst übernahm 1988 die AachenMünchener die Aktienmehrheit, der neue Hauptaktionär wurde zehn Jahre später wiederum von der Generali aufgekauft. Minderheitsaktionäre wurden herausgedrängt.
Fusion führte zum Ende der Marke
Eine im Jahr 2007 angestoßene Fusion führte schließlich zum Ende der Marke „Volksfürsorge“. Da war das Unternehmen aber wieder deutlich gesundet: Die Volksfürsorge belegte nach eingenommenem Bruttobeitrag zu diesem Zeitpunkt in Deutschland Platz vier in der Lebensversicherung und Platz sechs in der Schaden- und Unfallversicherung. Ziel der Generali Gruppe war es, doppelte Strukturen im Konzern einzustampfen und rund 100 Millionen Euro pro Jahr einzusparen.
Bereits im Vorfeld der Fusion hatte es höchst unpopuläre Maßnahmen zu Lasten der Mitarbeiter gegeben. Der damalige Volksfürsorge-Chef Jörn Stapelfeld zeigte sich als harter Reformer. Er trieb in Hamburg den Abbau von 600 Innendienst-Stellen voran und setzte massive Einschnitte bei den Gehältern der verbliebenen Mitarbeiter durch. „Ab 2007 sollen dort alle überbetrieblichen Sozialleistungen wegfallen“, meldete „Der Spiegel“ im August des Vorjahres.
Auch wurde der angestellte Außendienst in die Selbstständigkeit entlassen und agierte fortan als Handelsvertreter für die Generali: unter dem Verlust von Sicherheit. Ein radikaler Umbruch für einen Konzern, der in Spitzenzeiten 33.000 Mitarbeiter zählte. Infolge des harten Kurses wanderten laut damaligen Berichten der "Wirtschaftswoche" gerade etablierte Vertriebsmitarbeiter ab, was der Konzern mit Quereinsteigern zu kompensieren versuchte.
Stapelfeld wollte mit seinen Reformen zunächst die Marke retten, doch vergeblich. 2007 wurde sie eingestampft, auch gegen den Widerstand der Mitarbeiter. Danach aber besetzte Stapelfeld Schlüsselpositionen des aus der Fusion hervorgegangenen Unternehmens mehrheitlich mit früheren Volksfürsorge-Vorständen. Die Mutter-Holding Generali fühlte sich überrumpelt. Im Jahr 2009 wurde er entlassen und setzte seine Karriere bei der Talanx fort. Durch vollständige Integration der Vertriebsgesellschaft in den Mutterkonzern verschwand im Jahr 2015 die Volksfürsorge ganz vom Markt (der Versicherungsbote berichtete).
Generali - ein Notfall?
Harte Maßnahmen setzte die Generali aber nicht nur bei den Mitarbeitern durch, sondern auch bei den Ruheständlern der früheren Volksfürsorge. „Rund 5.000 Betriebsrentner erhalten nicht das Geld, das ihnen zusteht“, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ nun Klaus-Peter Kussmann, der die Selbsthilfegruppe „Keine Sorge“ gegründet hat. Bereits seit 2015 weigere sich die Generali, die betrieblichen Altersvorsorge-Verträge entsprechend den hauseigenen Versorgungsordnungen anzupassen. Diese ist vertraglich bindend — damals von Vorständen und Arbeitnehmern gemeinsam verabschiedet.
Die heutige Generali haftet für die Höhe der Renten — eigentlich. Denn ab 2015 begann sie, die Betriebsrenten nach unten zu korrigieren. Ursprünglich ist in den Vereinbarungen vorgesehen, dass sich die jährliche Anpassung an der gesetzlichen Rente orientieren muss. Und die ist in den letzten Jahren dank brummender Konjunktur mehrfach deutlich erhöht worden. Um mehr als drei Prozent hat die Rentenkasse die Altersbezüge der gesetzlich Versicherten angehoben (der Versicherungsbote berichtete).
Um etwa drei Prozent hätten folglich auch die Bezüge der Volksfürsorge-Ruheständler steigen müssen. Sind sie aber nicht. Die Generali fror stattdessen das Rentenplus bei 0,5 Prozent ein, womit sich nicht einmal die Inflation ausgleichen lässt. Es geht für die früheren Mitarbeiter oft um mehrere tausend Euro im Jahr, die nun auf dem Konto fehlen.
Mit welcher Begründung aber beschnitt die Generali die Renten, wenn die Höhe doch vertraglich garantiert ist? Mit Verweis auf eine Klausel. Demnach ist in alten Vereinbarungen eine Art Notfallklausel festgeschrieben. Hält es der Vorstand „nicht für vertretbar“, die Renten anzuheben: zum Beispiel, weil dies Existenz und Geschäft des Versicherers gefährden würde, darf er vorschlagen, „was nach seiner Auffassung geschehen soll“. Der Betriebsrat darf hier nicht mitreden, sondern hat nur Anhörungsrecht. Ein gefährlicher Stolperstein, wie nun die gut 5.000 Betriebsrentner erfahren müssen.
Denn die Generali macht geltend, dass ein solcher Notfall die Kürzung der Rente rechtfertige. Zum einen habe „ein notwendiger Erneuerungs- und Restrukturierungsprozess“ der Generali in Deutschland angeschoben werden müssen, erklärt ein Unternehmenssprecher gegenüber der „Frankfurter Rundschau“. Zum anderen werden allgemeine Herausforderungen der Branche nun von der Generali als „Notfall“ deklariert: der anhaltende Niedrigzins, eine zunehmende Regulierung im Zuge von IDD und Solvency II, die notwendige Digitalisierung.
Warum sollen ausgerechnet die Betriebsrentner bluten?
Tatsächlich lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Generali in den letzten Jahren und sogar Jahrzehnten harte Reformen durchdrücken mussten. Bereits die Volksfürsorge-Fusion war ein solch harter Einschnitt. Der Konzern befindet sich im Dauerumbau, hat doppelte Strukturen abgeschafft, Standorte geschlossen, den Vertrieb komplett neu organisiert. Eine traditionsreiche Marke wie die AachenMünchener wird soeben eingestampft, um künftig die Hausmarke „Generali“ global stärken zu können. Für Aufsehen sorgte, dass die Generali Leben an den Bestandsabwickler Viridium verkauft wurde. Rund vier Millionen hochverzinste Altverträge sind davon betroffen: auch viele der früheren Volksfürsorge.
Aber reicht das aus, um die Kürzungen der Betriebsrentner zu rechtfertigen? Andere große Versicherer haben mit ganz ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen. Fast überall wird umgebaut, neu organisiert, werden alte Strukturen aufgebrochen, müssen Mitarbeiter des Innendienstes für KI und Digitaltechnik weichen, auch Antworten auf den Niedrigzins gefunden werden. Die gesamte Versicherungsbranche entpuppt sich als Dauerbaustelle. Denkt man das Argument des Generali-Vorstandes weiter, müssten viele Betriebsrentner in anderen Branchen, die sich im Umbruch befinden, nun ebenfalls um ihre Betriebsrente fürchten.
Generali steht eigentlich gut da
Deshalb stellt sich nun die Frage, weshalb ausgerechnet die früheren Mitarbeiter der Volksfürsorge einen solchen „Beitrag zur Stärkung und Zukunftssicherung des Unternehmens“ leisten sollen, wie der Triester Versicherer fordert. Zumal die Generali in Deutschland gut dasteht. Der Versicherer verkündet stolz in einem Pressetext vom 10. Oktober, dass er In den letzten vier Jahren (…) einen erfolgreichen Turnaround vollzogen und damit die Basis für weiteres nachhaltiges Wachstum gelegt“ habe. Mit anderen Worten: Der Versicherer wächst seit genau dem Jahr, in dem er die Renten kappte, und zwar ordentlich.
Die nackten Zahlen: Allein 2018 erzielte die deutsche Generali ein operatives Ergebnis von 821 Millionen Euro, ein Plus von 9,4 Prozent. An der Börse schüttete er eine Rekorddividende von 608 Millionen Euro aus: ein Plus von deutlich mehr als 50 Prozent. Die Generali Gruppe will ihren Reingewinn bis 2021 gar auf 10,5 Milliarden Euro per annum steigern - das klingt nicht nach Krise, schon gar nicht nach einer existenzbedrohenden Notlage (der Versicherungsbote berichtete).
Aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichtes Hamburg
Laut Klaus-Peter Kussmann spiegelt sich das auch in den Urteilen der Arbeitsgerichte wieder. Insgesamt 1.500 Ruheständler haben sich bisher entschlossen, die Generali vor den Kadi zu zerren. „In allen abgeschlossenen Verfahren bekamen die Kläger Recht!“, sagte Kussmann der "Frankfurter Rundschau".
Auch bei dem Treffen der "Keine Sorge"-Aktivisten am Freitag im Hofbräuhaus stellte Kussmann erneut ein solches Urteil vor. Das Landesarbeitsgericht in Hamburg hat mit einem Urteil vom 21.06.2019 erneut dem klagenden Betriebsrentner Recht gegeben. Die Generali muss dem Kläger nun monatlich 167,87 nachzahlen, Zinsen kommen extra obendrauf. Eine Revision wird nicht zugelassen, damit ist das Urteil rechtskräftig (7 Sa 92/18). Auch das Bundesarbeitsgericht Erfurt habe laut Kussmann schon Grundsatzurteile gefällt.
Die Hansestädter Richter begründen ihr Urteil damit, dass die Generali die eigene angebliche Notlage nicht habe nachweisen können. Im Urteilstext heißt es: "Die Beklagte [Generali] hat nicht ansatzweise den Status quo ihrer wirtschaftlichen Situation zum Zeitpunkt der Anpassung Entscheidungen dargelegt, etwa durch Darstellung wirtschaftlicher Kennzahlen wie Ergebnis, Umsätzen, Liquiditätsreserven, Rentabilitätskennzahlen o.ä. Insoweit kann auch nicht beurteilt werden, inwieweit eine unveränderte Fortführung der Rentenerhöhung entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Rente auf die wirtschaftliche Situation der Beklagten solche Auswirkungen hätte, dass diese nicht mehr hinnehmbar wäre."
Die Generali hält weiterhin an ihrer Interpretation fest, dass die Renteneinschnitte "notwendig und richtig" gewesen seien. Zwar gestand der Versicherer wiederholt "einzelne Niederlagen" ein. Man habe aber ebenfalls einzelne rechtliche Erfolge vorzuweisen und wolle an den niedrigeren Renten festhalten. Damit wird der Rechtsstreit auch weiterhin die Arbeitsgerichte beschäftigen.