Ist die Rentenbesteuerung verfassungswidrig?
Ist die Übergangslösung, die zur nachgelagerten Rentenbesteuerung führt, verfassungswidrig? Das behauptet aktuell ein Richter in hohem Amt – der für das Fachgebiet „Alterseinkünfte und –vorsorge“ zuständige Richter am Bundesfinanzhof Egmont Kulosa.
Demnach führe die mit dem Alterseinkünftegesetz angestoßene Reform zu einer Doppelbesteuerung und damit zu einer „evidenten Verfassungswidrigkeit“. FDP-Politiker Wolfgang Kubicki fordert nun die Bundesregierung auf, die Vorwürfe zu prüfen – und droht mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht.
Rentenbesteuerung ist ein komplexes Feld
Warum ist die Rentenbesteuerung verfassungswidrig? Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 17/99), welches die bis dahin übliche unterschiedliche Besteuerung von Pensionen auf der einen und Renten auf der anderen Seite als verfassungswidrig erklärte aufgrund eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, zwang den Gesetzgeber zum Handeln. Der reagierte mit dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) von 2005: Die Besteuerung der verschiedenen Arten von Alterseinkünften wird schrittweise angeglichen. Zugleich erhöhte der Gesetzgeber die Steuer auf Renteneinkünfte, um im Gegenzug die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung und ihr gleichgestellte Aufwendungen (Betriebsrente und Rürup-Rente) nach um nach steuerfrei zu stellen. Das Steuerfrei-Stellen der Rentenbeiträge sollte auch zu mehr Vorsorge motivieren. Bis zum Jahr 2040 soll der Übergang zur sogenannten "nachgelagerten Rentenbesteuerung" vollzogen sein:
- So sinkt jedes Jahr der mit Einstieg ins Rentenalter unveränderliche prozentuale Teil der Rente, auf den keine Steuer gezahlt werden muss (der sogenannte „Rentenfreibetrag“), um zwei Prozentpunkte: Aktuell beträgt er noch 22 Prozent der Altersbezüge für 2019, in 2020 hingegen sinkt er auf 20 Prozent. Ab 2040 wird der Prozentsatz für den Rentenfreibetrag dann bei Null liegen – dann muss die gesamte Rente versteuert werden.
- Schrittweise um 2 Prozentpunkte pro Jahr steigt im Gegenzug jener Anteil, der an Beiträgen zur Altersvorsorge steuerfrei gestellt werden kann – der so genannte „Freibetrag für Leibrentenversicherungen“. In 2005 startete der Gesetzgeber mit 60 Prozent, die als Sonderausgaben vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden. Aktuell liegt der Freibetrag bei 88 Prozent und wird in 2020 auf 90 Prozent steigen. Da der „Freibetrag für Leibrentenversicherungen“ weiterhin in Zwei-Prozent-Schritten wächst, wird er seine vollen 100 Prozent in 2025 erreichen: Ab da sind Beiträge für maßgebende Leibrentenversicherungen in voller Höhe steuerfrei. Jedoch gilt dies nur mit einer Einschränkung: Steuerfrei sind die Beiträge stets nur bis zu einem Höchstbetrag, der sich am Höchstbeitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung bemisst (aktuell liegt dieser Höchstbeitrag für Ledige bei 24.305 Euro und für Verheiratete oder Lebenspartner bei 48.610 Euro). Zudem wird der eh steuerfreie Arbeitgeberanteil für den abzugsfähigen Betrag angerechnet.
Richter Kulosa über Rentenbesteuerung: Übergangsregel ist eine „evidente Verfassungswidrigkeit"
Das Problem ist nun: Aufgrund der komplexen Lösung beim schrittweisen Übergang zur nachgelagerten Besteuerung steigt der Anteil der geleisteten Rentenversicherungsbeiträge, die steuerfrei gestellt werden können, in bestimmten Fällen langsamer als der zu versteuernde Prozentsatz der Renten. Hierdurch könnte es zu einer „Doppelbesteuerung“ kommen. Laut eines Fachartikels des Richters am Bundesfinanzhof Egmont Kulosa aber wäre genau dies der Fall. Das berichtet aktuell die Süddeutsche. So bedürfe es „keiner komplizierten mathematischen Übungen, um bei Angehörigen der heute mittleren Generation, die um 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen."
Das schrieb Kulosa laut Süddeutsche in einem Fachdienst – einem Publikationsorgan, das als Pflichtlektüre für Steuerberater und –Juristen gilt. Kulosas Beitrag hat demnach nicht nur durch sein Amt, sondern auch durch den Ort der Publikation Gewicht. Und das Fachurteil des Richters im Artikel fällt deutlich aus: Als „evidente Verfassungswidrigkeit" bezeichnet Kulosa jene Übergangslösung, die zur nachgelagerten Besteuerung der Renten führt.
FDP droht; Bundesverfassungsgericht ist bereits aktiv
Das gewichtige Wort bringt nun auch die Opposition auf den Plan. So hat FDP-Politiker Wolfgang Kubicki die Bundesregierung aufgefordert, den Vorwurf zu prüfen. Lasse doch „die harte Kritik des BFH-Richters Egmont Kulosa an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig“, wie Kubicki seinen Schritt begründete. Geht die Bundesregierung aber nicht auf die Kritik ein, droht der FDP-Vizechef gar mit einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht.
Die Vorwürfe freilich sind nicht neu. So zitiert die Süddeutsche in ihrem Artikel auch einen bisher unveröffentlichten Brief, den Rentenexperte Bert Rürup bereits 2007 zusammen mit dem damalige Chef der Rentenversicherung BfA, Herbert Rische, an die damaligen Bundesminister Peer Steinbrück (Finanzen) und Franz Müntefering (Wirtschaft) geschrieben hätte. Darin hätten beide Rentenexperten laut dem Münchener Blatt „eindringlich“ davor gewarnt, dass „die Übergangsregelung des Alterseinkünftegesetzes bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt". Eine Änderung des Alterseinkünftegesetzes sei "daher aus unserer Sicht erforderlich.“ Jedoch: Ganz so eindeutig ist es nicht.
Eine Prüfung des Bundesverfassungsgerichts ... ist durch dieses in die Zukunft verwiesen
Denn eindeutig lässt sich die Frage nicht beantworten, ob und in welchem Maße die Bestimmungen des jetzigen Alterseinkünftegesetzes die Verfassung verletzen. Hat doch das Bundesverfassungsgericht bereits mehr als zehn Verfassungsbeschwerden, die sich auf dieses Problem bezogen, wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückgewiesen (als Beispiel: 2 BvR 2683/11), wodurch sich der Gesetzgeber bestätigt sieht.
Allerdings wurde unter anderem geltend gemacht für die Nichtannahme einiger Fälle, dass die Summe der von den Beschwerdeführern steuerfrei bezogenen Rentenanteile die Summe der von ihnen geleisteten Beiträge übersteige und dass sich die Beschwerden auf Fälle bezogen, in denen nur eine Abweichung vom sogenannten Nominalwertprinzip zur Errechnung einer Doppelbesteuerung führte.
Nach dem Nominalwertprinzip ist der zahlenmäßige Wert unabhängig von der Wertentwicklung für Berechnungen grundlegend. Die Beschwerdeführer rechneten aber auch die Wertentwicklung des Geldes in ihre Beweisführung ein, um eine Doppelbesteuerung zu unterstellen. Aus Sicht des Verfassungsgerichts aber darf der Gesetzgeber ganz im Sinne des Nominalwertprinzips verfahren.
Ist die Sache damit eindeutig und aus der Welt? Nicht ganz. Das Verfassungsgericht gab auch zu bedenken: Würde man, wie die Beschwerdeführer, zum Beispiel 2039 oder 2043 ins Renteneintrittsalter kommen, wäre durchaus möglich, dass heutige Regelungen später zur Doppelbesteuerung führen. Die Prüfung steht aber noch aus: Erst in den Veranlagungszeiträumen ist eine verfassungsrechtliche Prüfung dieses Verdachts möglich, wie der Versicherungsbote bereits berichtete.