Bei der Allianz Direct, dem neuen Vorzeigeprojekt der Allianz Gruppe, gibt es offenbar Startschwierigkeiten. Vor allem Altkundinnen und -kunden des Vorgängers Allsecur beschweren sich über den neuen Direktversicherer: Trotz Kündigungen seien Verträge weitergeführt worden, der Service bisher mangelhaft. Bei „Trustpilot“ sind die Bewertungen bisher auch ernüchternd. Die Allianz positioniert sich, es handle sich um "klare Ausnahmefälle".
Es kommt immer mal wieder vor, dass Personen in der Redaktion des Versicherungsboten anrufen, weil sie glauben, wir seien ein bestimmter Versicherer: wohl, weil wir in einem Artikel über diesen berichtet haben. In den letzten Wochen ist das gleich viermal mit Kundinnen und Kunden der früheren Allsecur passiert. Viermal - das mag nicht viel klingen. Ist bezogen auf die Zahl der üblichen Fehlanrufe aber auffallend häufig. Und allen Anrufenden war gemein, dass sie eine gemeinsame Klage vorbrachten: Sie wüssten nicht, wie sie den Kontakt zu Allsecur herstellen sollen.
Ein Wunder ist das zunächst nicht: Allsecur gibt es nicht mehr. Der Online-Versicherer der Allianz wurde mit seinen 750.000 Kundinnen und Kunden auf die Allianz Direct transferiert, dem neuen Vorzeigeprojekt der Allianz. Ein digitaler Direktversicherer, der europaweit einheitliche Versicherungs-Tarife vertreiben soll und auch als Testlabor geplant ist. Nicht nur für neue Tarife, sondern auch für digitale Services jeder Art, etwa Vertragsänderungen und Schadenbearbeitung in Echtzeit. Vorgegebenes Ziel: 90 Prozent der Schäden sollen innerhalb eines Tages beglichen werden.
Handelsblatt schreibt von „Fehlstart“
Ließen die Anrufe in der Redaktion schon aufhorchen, so sind die Probleme bei Allianz Direct aktuell wohl größer als angenommen. Das berichtet das „Handelsblatt“ in einer Artikel vom Freitag. Demnach seien vor allem Kundinnen und Kunden der früheren Allsecur verärgert, weil sie Kfz-Versicherungen kündigen oder ändern wollten - was aber nicht gelungen sei. So zitiert das „Handelsblatt“ mehrere Kundinnen, denen trotz fristgerechter Kündigung auch für das neue Jahr abgehoben worden sei.
Die Allianz positioniert sich gegenüber dem „Handelsblatt“, dass es sich um Einzelfälle handle. So hätten bei der Übertragung des Bestandes von Allsecur auf Allianz Direct vereinzelt Daten händisch nachgetragen werden müssen.
„Im Zuge der Migration unserer Bestandskunden gab es einzelne Herausforderungen, die wir aber im Rahmen einer derartigen Umstellung als üblich einstufen“, zitiert das Medienhaus aus einem Statement des Versicherers. Es habe sich um „klare Ausnahmefälle“ gehandelt. Auch bei der privaten Krankenversicherungs-Tochter der Allianz kam es im Vorjahr zu Verzögerungen beim Abarbeiten von eingereichten Rechnungen (Versicherungsbote berichtete).
Vorbild für den neuen Direktversicherer sind branchenfremde Anbieter wie Amazon und Netflix. So bietet beispielsweise der Streaming-Anbieter Netflix lediglich drei Bezahlmodelle für seine Serien und Sendungen: ähnlich sollen auch die Autopolicen der Allianz aus wenigen, standardisierten Tarifen bestehen. Auch Verträge sollen einfach online verwaltet und geändert werden können. "In nur 20 Sekunden Beitrag berechnen! Schnelle Schadenbearbeitung! Die günstige Direktversicherung der Allianz", heißt hierzu das Werbeversprechen auf der Webseite der Allianz Direct.
Allianz Direct bei Trustpilot: aktuell verheerendes Bild
Dennoch würden Betroffene auch über weitere Probleme bei Allianz Direct berichten, schreibt das „Handelsblatt“: etwa lange Wartezeiten in einer Warteschleife, verfehlte Kontaktversuche bzw. verwirrende Informationen, wie überhaupt mit dem neuen Versicherer Kontakt aufgenommen werden könne. Das Düsseldorfer Medienhaus verweist auf die bisherigen Bewertungen für Allianz Direct bei der Bewertungsplattform Trustpilot. Und die zeigen kein positives Bild: im Gegenteil. Der Großteil der Kundinnen und Kunden zeigt mit dem Daumen nach unten.
Von aktuell 114 bisherigen Bewertern haben zum Stand 20. Januar 2020 immerhin 96 Prozent der Bewerter Allianz Direct mit „ungenügend“ bewertet: der schlechtesten Note, die bei der Plattform vergeben werden kann. Das ist die überwiegende Mehrheit. Nur drei Prozent urteilten hingegen positiv (siehe Screenshot).
"Keineswegs unser Serviceanspruch"
Im Kundenportal seien keine Vertragsunterlagen zu sehen und die Links zum alten Kundenportal teils irreführend, beklagt etwa ein namenloser Nutzer. Ein anderer schreibt, er habe versucht, vertragliche Details per Service-Chat zu klären: Es sei nicht gelungen, weil sich die Frau, mit der er gechattet habe, mitten im Austausch verabschiedet hätte. Die Einträge sind erst wenige Stunden alt.
Die Allianz nimmt das negative Feedback ernst. Bei "Trustpilot" werden die Kundinnen und Kunden direkt angeschrieben. In den Texten des Serviceteams an die Betroffenen heißt es: "Wir bedauern, dass Sie diese negative Erfahrung machen mussten, da dies keineswegs unser Serviceanspruch ist. Dass es derzeit zu längeren Wartezeiten in der Bearbeitung kommen kann, bitten wir zu entschuldigen."
Fast alle negativen Einträge bei Trustpilot kommen zudem von früheren Allsecur-Versicherten. Das lässt vermuten, dass es tatsächlich vor allem beim Übertragen des Bestandes zu Problemen kam.
Start rechtzeitig zur Wechselsaison
Die jetzigen Probleme nähren den Verdacht, dass Allianz Direct zu schnell auf Reise geschickt wurde. Zunächst sollten Kfz-Versicherungen über den neuen Direktversicherer vertrieben werden und der Startschuss sollte pünktlich zur Wechselsaison im Herbst 2019 fallen. Aktuell werden auf der Webseite auch ausschließlich Autoversicherungen angeboten, weitere Produkte sind geplant.
Konzernchef Oliver Bäte können die Probleme nicht egal sein. "Simplicity Wins!" ist die Strategie überschrieben, mit der er bei den Versicherungsnehmern punkten will. Diesen Merksatz wiederholt er bei seinen Vorträgen und Interviews fast mantraartig. “Wir arbeiten an vielen Stellen viel zu komplex. Die Straußeneier des Wettbewerbs sind Produktivität, Einfachheit und Innovation“, sagte er bei einer Rede vor Investoren im Herbst des letzten Jahres.
Auffallend ist, dass der neue Direktversicherer nicht bei der Allianz Deutschland AG angesiedelt ist, sondern beim Mutterkonzern: eine Folge freilich auch der internationalen Ausrichtung. Zunächst soll der frisch geschlüpfte Versicherer in Deutschland und den Niederlanden Verträge verkaufen, ab kommendem Jahr auch in Spanien und Italien. Geplant ist sogar ein weltweiter Einsatz, wenn sich Allianz Direct in Europa bewähren sollte.