Welche Versicherungen brauchen Expatriates im Ausland? Und welche brauchen Personen, die grundsätzlich auswandern wollen - eventuell mit Rückkehroption? Auf solche Fragen antwortet im großen Versicherungsbote-Interview Philipp Belau, seit 1. August 2019 Geschäftsführer des Auslands-Spezialisten BDAE Gruppe.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) haben 2018 knapp 262.000 Deutsche ihr Heimatland verlassen, um im Ausland einen Neuanfang zu wagen. Viele werden von deutschen Unternehmen entsendet. Welche Versicherungen sollten Expatriates besitzen, wenn sie ins Ausland gehen?
Zunächst zu den Zahlen: Diese sind absolut nicht repräsentativ, da Destatis lediglich diejenigen Deutschen erfasst, die tatsächlich ihren Wohnsitz aufgeben. Die meisten Bundesbürger im Ausland behalten ihre Meldeadresse jedoch bei – etwa, weil sie ihre Wohnung untervermieten (dies tun insbesondere die digitalen Nomaden) oder weil sie Wohneigentum besitzen, das versteuert werden muss. Oder weil ein Teil der Familie nicht ins Ausland geht. Letzteres ist insbesondere bei Expatriates häufiger der Fall, die für einen temporären Zeitraum von ihrem Unternehmen im Ausland eingesetzt werden.
Zu den Versicherungen: Der Großteil der Expatriates fällt aus dem deutschen Sozialversicherungssystem heraus, deshalb müssen die entsendenden Arbeitgeber dafür sorgen, dass sie einen gleichwertigen Ersatz für die folgenden Versicherungen erhalten: Kranken-, Krankentagegeld-, Arbeitslosen-, Unfall- und Rentenversicherung. Dazu sind sie im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht per Gesetz verpflichtet. Alle anderen Versicherungen sind mehr oder weniger freiwilliger Natur. Allerdings empfehlen wir dringend, auch im Ausland eine Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung abzuschließen bzw. zu klären, inwieweit der Versicherer auch im Ausland leistet. Gilt der Schutz auch für Länder außerhalb der EU? Gibt es eine zeitliche Begrenzung hinsichtlich der Dauer des Auslandsaufenthaltes, bis zu der Versicherungsschutz besteht?
Wer eine Risiko-Lebensversicherung abgeschlossen hat, sollte ebenfalls genau prüfen, ob und unter welchen Umständen ein Schutz im Ausland besteht, damit die Angehörigen im worst case kein zweites böses Erwachen erleben. Was das Thema Ausland angeht, sind die deutschen Versicherer nämlich noch immer äußerst risikoavers.
Viele Auswanderer verfolgen den Plan, für immer am Wunschort zu bleiben. Doch wenn uns Vox mit "Goodbye Deutschland" eines gelehrt hat - es schaffen nicht alle. Welche Versicherungslösungen sollten Deutsche im Gepäck haben, die planen in ein anderes Land auszusiedeln?
Das A und O ist und bleibt die Auslandskrankenversicherung. Und damit meinen wir nicht die klassische Reisekrankenversicherung, die nur für urlaubsbedingte Aufenthalte und für maximal 6 bis 12 Wochen im Jahr leistet. Mittlerweile gibt es - abgesehen vom BDAE - zahlreiche Anbieter, die sich auf Langzeit-Auslandsaufenthalte von Deutschen spezialisiert haben und diverse Angebote offerieren: Von einer Basis-Absicherung bis hin zum Rundum-Sorglos-Paket.
Nicht so häufig zu finden sind hingegen Produkte, die lebenslang gültig sind – also für eine „echte“ Auswanderung ohne geplante Rückkehr nach Deutschland. Der Grund dafür ist unter anderem, dass das Risiko schwer kalkulierbar ist auf die gesamte Laufzeit. Deswegen werden potenzielle Auswanderer vor allem auf Produkte stoßen, die im Schnitt nur 5 Jahre Laufzeit haben.
Hinzu kommt, dass der Versicherer sich mit dem jeweiligen Gesundheits- und Abrechnungssystem des Gastlandes auskennen muss, um Arzt- und Krankenhausrechnungen richtig regulieren zu können. Wer hier nicht das richtige Know-how hat, riskiert eine zu hohe Schadenquote und muss dann Versicherungstarife „schließen“, also Kunden vorzeitig kündigen. Das ist dem einen oder anderen Wettbewerber schon passiert und dann „klopfen“ deren Kunden irgendwann beim BDAE an.
...und welche weiteren Policen empfehlen Sie für Auswanderer zusätzlich zum Krankenschutz?
Was weiteren Versicherungsschutz angeht, so muss jeder für sich selbst entscheiden, was ihm wichtig ist. Die Haftpflicht ist unserer Meinung nach überall essenziell. Auch zur Rechtsschutzversicherung raten wir, da man als Ausländer mit dem Rechtssystem anderer Länder wenig vertraut ist. Das folgende Beispiel ist sehr realistisch und in ähnlicher Form schon mal einem BDAE-Kunden widerfahren: Ein deutscher Ingenieur zieht aus beruflichen Gründen nach Dubai. Er ist gerade einmal seit vier Wochen dort, als er nach einem Sektempfang im Hotel Burj Al Arab in einen Verkehrsunfall verwickelt wird. Ihm passiert zwar nichts, aber der vermeintliche Unfallverursacher - ein Einheimischer - ist leicht verletzt. Schlimmer geht’s eigentlich kaum. Die Polizei nimmt den deutschen Geschäftsmann in Polizeigewahrsam - das ist ein in Dubai übliches Vorgehen - und nimmt dort eine Blutprobe von ihm. Die bei Verkehrsunfällen ebenfalls gängige folgende Gerichtsverhandlung kann allerdings frühestens stattfinden, wenn die Ergebnisses der Blutprobe da sind - was bis zu einer Woche oder länger dauern kann. Bis dahin muss der Ingenieur in Haft bleiben.
Sollte sich herausstellen, dass er den Unfall verursacht hat, ist das normale Strafmaß für Ersttäter in Dubai 30 Tage Haft! Zudem wird der Führerschein entzogen und das Auto mehrere Wochen sichergestellt. Sollte der Deutsche auch noch Alkohol konsumiert haben, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die Haft für einen noch längeren Zeitraum verhängt wird. Auch eine Ausweisung aus dem Land ist relativ sicher.
Auswandern ist ja stets ein Sprung ins Ungewisse. Dagegen sind KV-Policen bis ins kleinste Detail festgezurrt. Gibt es Möglichkeiten den Schutz an die möglicherweise veränderten Gegebenheiten anzupassen?
Eine Auslandskrankenversicherung, die auf eine unendliche bzw. ungewisse Dauer kalkuliert ist, hat den Nachteil, dass sie in gewissen Konstellationen wie beispielsweise ein hohes Eintrittsalter, ein in Sachen Gesundheitsversorgung „teures“ Aufenthaltsland oder bei der Mitversicherung von Vorerkrankungen sehr teuer ist. Wer noch nicht genau weiß, ob er wirklich für immer ins Ausland geht, dem empfehlen wir, eine günstige Auslandskrankenversicherung abzuschließen und zusätzlich eine Anwartschaftsversicherung zu kaufen. Diese „friert“ den Gesundheitszustand „ein“ und ermöglicht dann günstigere Konditionen, wenn der Langzeit-Auslandskrankenschutz erforderlich ist.
Ein Beispiel: Ein selbstständiger Softwareentwickler baut sein Business auf Bali auf und hat für die erste Zeit eine zeitlich begrenzte Basisversicherung abgeschlossen. Die Geschäfte laufen dann so gut, dass er beschließt, sich eine Wohnung auf Bali zu kaufen und dort langfristig bleibt. Zudem lernt er seine einheimische Frau kennen und plant, eine Familie zu gründen Die Anwartschaft kann nach Ende der Laufzeit der Basisversicherung dann in die höherwertige Versicherung – beim BDAE ist das der Expat Infinity - umgewandelt werden, der keiner Beschränkung der Versicherungsdauer unterliegt. Die Beitragshöhe orientiert sich dabei am Gesundheitszustand bei Abschluss der Anwartschaft.
Wie ist der Versicherungsschutz bei einem vorrübergehenden Heimataufenthalt?
Unserer Ansicht nach sollte jede Auslandskrankenversicherung Heimataufenthalte mit versichern, denn egal ob aus beruflichen oder aus privaten Gründen – jeder Expat, Weltreisende oder Auswanderer besucht hin und wieder seine alte Heimat. Die meisten Anbieter – und wir auch – sichern Heimataufenthalte ab. Man muss sich aber über die Dauer genau informieren. Häufig gilt für gewöhnlich: je günstiger das Produkt, desto weniger Tage Heimataufenthalte sind versichert. Bei uns sind bis zu 180 Tage im Heimatland pro Versicherungsjahr möglich. Entscheidend ist, dass der Lebensmittelpunkt des Versicherten im Ausland und nicht in seinem Heimatland ist.
...oft sind Metropolen medizinisch besser ausgestattet
Versicherungsbote: Eine wichtige Zielgruppe für Auslandsversicherungen sind Studenten. Das Erasmus-Austauschprogramm erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit, zunehmend Praktika in Übersee und „exotischen“ Ländern. Wie hoch ist der Anteil der versicherten Studenten? Worauf sollten Studenten besonders achten, wenn Sie ins Ausland gehen?
Philipp Belau: Bei uns spielen Studierende eher eine kleine Rolle, da gibt es Mitbewerber, die sich auf diese Zielgruppe spezialisiert haben und wirklich gute Absicherungskonzepte entwickelt haben. Was junge Menschen angeht, haben wir uns seit ein paar Jahren auf digitale Nomaden und Weltreisende spezialisiert, mit denen wir beispielsweise auch über Instagram & Co. kooperieren.
Beim Abschluss einer Auslandskrankenversicherung sollten Studierende darauf achten, dass der medizinisch notwendige Rücktransport mit abgesichert ist und dass sie freie Arztwahl haben. Das Arztwahlprinzip, wie wir es in Deutschland kennen, haben die wenigsten Staaten. Wer nicht privat versichert ist, muss immer erst in eine öffentliche Klinik gehen (selbst bei einem Schnupfen) und bekommt dort – im besten Fall – einen Spezialisten zugewiesen.
Auch die Heimatlanddeckung ist ein entscheidendes Wahlkriterium, ebenso wie der Schutz in anderen Ländern. Wer beispielsweise ein Auslandsjahr in Argentinien macht, reist sicherlich auch mal nach Chile, Brasilien oder womöglich in die USA. Für diese Aufenthalte will niemand zusätzliche Krankenversicherungen abschließen.
Studentinnen sollten besonders darauf achten, dass auch Schwangerschaft und Entbindung mit abgeschlossen sind, denn diese Leistungen sind außerhalb Deutschlands besonders teuer.
Das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt. Haben Versicherte im Ausland Anspruch auf eine „bessere“ Behandlung, wenn dort das Niveau der Gesundheitsversorgung nicht vergleichbar hoch ist?
Wenn sie beim BDAE versichert sind, haben sie zumindest Anspruch auf privatärztliche Behandlung. Das ist insofern von Bedeutung, als das staatliche Gesundheitssystem der meisten Länder der Welt nicht mit dem deutschen oder dem teils noch besseren skandinavischen Gesundheitssystem konkurrieren kann. Wer sich einmal im Rahmen des britischen National Health Systems in einem staatlichen Krankenhaus behandeln lassen hat, weiß das deutsche Gesundheitssystem wirklich zu schätzen.
Eine bei uns versicherte Ärztin, die in einem Londoner Klinikum arbeitete, hat uns mal berichtet, wie unterschiedlich die Gesundheitssysteme in der Praxis sind: Anders als in Deutschland gibt es nicht wirklich das System der niedergelassenen Spezialisten. Diese verteilen sich hauptsächlich auf die Krankenhäuser und bevor man einen Facharzt konsultiert, muss man erst einmal zu einem General Practitioner gehen, also einem Allgemeinarzt. In deutschen Krankenhäusern geht es zudem sehr organisiert zu und wenn um acht Uhr morgens eine OP ansteht, dann stehen der Chirurg und sein Team pünktlich bereit. In Großbritannien hat sie es auch teilweise anders erlebt.
Manchmal werden Deutsche im Ausland aber auch „zu gut“ behandelt. Wir haben es etwa bei Versicherten Entwicklungsländern erlebt, dass sie besonders lange im Krankenhaus belassen wurden, um noch eine Reihe „Sonderbehandlungen“ über sich ergehen zu lassen, die nicht unbedingt sinnvoll und zum Nutzen des Patienten waren. Das alles mit dem Ziel, um finanziell von dem scheinbar wohlhabenden westlichen Patienten zu profitieren.
Gibt es einen Anspruch auf adäquate Behandlung oder Privatbehandlung? Wie kann man die Absicherung im Ausland vergleichen: Mit der gesetzlichen Grundversorgung?
Das kann man pauschal absolut nicht beantworten. Es kommt darauf an, in welchem Land man sich aufhält und dann auch noch, wo dort konkret. Grundsätzlich sind Metropolen medizinisch besser ausgestattet als Provinzen oder Kleinstädte. In Shanghai ist die Versorgung um ein Vielfaches besser als etwa in der chinesischen Provinz Guangdong. Und meistens sind privat finanzierte Häuser besser ausgestattet als die staatlichen.
Als Ausländer hat man zudem bessere Karten, wenn man private internationale Krankenhäuser aufsucht, weil dort am ehesten die Chance besteht, Englisch sprechendes Personal anzutreffen. Das Thema Sprache bekommt noch einmal eine ganz andere Bedeutung, wenn es um die eigene Gesundheit geht oder derjenigen seiner Angehörigen. Hier ist die Rolle eines medizinischen Assisteurs gar nicht hoch genug aufzuhängen. Assistance-Dienstleister verfügen über ein medizinisches Abrechnungsnetzwerk und haben Verträge mit bestimmten Häusern abgeschlossen, die es für die Versicherten leichter machen, eine schnelle und adäquate Versorgung in Anspruch zu nehmen. Zudem unterstützen Assisteure bei der Kostenermittlung und -übernahme und bieten weitere hilfreiche Services (zum Beispiel Dolmetscher) an. Wer eine Auslandskrankenversicherung abschließt, sollte immer darauf achten, dass diese auch eine medizinische Assistance einschließt.
Anspruchsvolle Kunden sollten weiter besonders auf die Zimmerausstattung achten. Es empfiehlt sich immer die Variante zu wählen, die eine Behandlung im Einbett-Einzelzimmer vorsieht. Denn das Zweibettzimmer, das wir hierzulande kennen, gibt es in dieser Form fast nirgendwo. In Indien und in vielen asiatischen Krankenhäusern bekommt man entweder ein Einzelzimmer – teilweise sogar ganze Suiten – oder regelrechte Schlafsäle. Wer auf letzteres verzichten möchte, sollte lieber auf Nummer Sicher gehen und die Einzelbett-Variante wählen.
Blinddarm-Operation schnell bis 100.000 Euro
Versicherungsbote: Andere Länder...andere Gesundheitsversorgung: Die Kosten für die Gesundheitsversorgung sind von Land zu Land sicher auch unterschiedlich. Können Sie uns hier vielleicht ein paar Beispiele nennen?
Philipp Belau: Die Kosten variieren in der Tat enorm. Das stellen wir immer wieder bei der Regulierung der Gesundheitskosten unserer Kunden fest. Während beispielsweise eine Blinddarmoperation in Deutschland ungefähr 3.500 Euro kostet, ist man in den USA schnell mit 22.000 bis 100.000 Euro dabei. Die Behandlung eines Herzinfarkts kostet hierzulande etwa 8.500 Euro, in den USA bis zu 150.000 Euro und in China rund 30.000 Euro. Für ein Ambulanzflugzeug, das einen verletzten Mitarbeiter von Thailand zurück nach Deutschland befördert, zahlt man zwischen 40.900 und 70.000 Euro; für einen normalen Linienflug hingegen nur 1.100 bis 3.600 – je nach Sitzklasse.
Diversen Studien zufolge sind die Länder mit den höchsten allgemeinen Behandlungskosten für deutsche Urlauber und Expats übrigens Panama, Kap Verde, USA und Kanada. In Panama betragen sie durchschnittlich 5.300 Euro. In den USA 2.600 Euro. Auch Nepal, Israel, Zypern und Ecuador sind besonders teuer. Der Grund dafür sind vor allem Rücktransportkosten ins Heimatland, denn diese Länder sind teils schwer zugänglich und die medizinische Versorgung ist oft eingeschränkt. Deshalb müssen die Patienten nach Deutschland ausgeflogen werden.
Auch bei den Notfallbehandlungen gibt es immense Unterschiede: Am allermeisten muss man für eine reine Notfallbehandlung in Caracas in Venezuela zahlen. Dort muss man in der Notaufnahme rund 177 Euro auf den Tisch legen. An zweiter Stelle steht New York, wo Patienten im Emergency-Bereich etwa 162 Euro bezahlen. Die Notaufnahmen in Zürich schlagen mit 148 Euro zu Buche und zahlt man 119 Euro für eine Notfallbehandlung. Am wenigsten kostet die Notfallversorgung in Mumbai mit 8,80 Euro, in Taipei kostet es rund 10 Euro.
9. Wie fließen diese unterschiedlichen Kosten in die Beitragsgestaltung ein?
Bei unserem neuesten Produkt Expat Infinity haben wir vier Länderzonen eingerichtet, für die unterschiedliche Beitragsstaffeln bestehen. Weil das Gesundheitssystem in Kuba oder Slowenien deutlich günstiger ist, zahlen Versicherte in diesen der Zone 1 zugeteilten Länder weniger als beispielsweise in Singapur (Zone 4), wo es besonders teuer ist. Auf diese Weise bieten wir unseren Kunden die größtmögliche Fairness bei der Höhe der Versicherungsbeiträge entsprechend Ihrer Lebenssituation.
Weil zudem die durchschnittliche Schadenquote (also das Verhältnis von Beitragseinnahmen durch den Versicherten und die Höhe der Zahlungen im Leistungsfall) in der Regel mit zunehmenden Alter steigt, bemisst sich der Beitrag außerdem nach dem Alter. Logischerweise ist er umso höher, je älter der Versicherte wird. Da wir auch Vorerkrankungen mitversichern, erheben wir sogenannte Risikozuschläge, die sich ebenfalls auf den Versicherungsbeitrag auswirken.