Die Verschwiegenheitspflicht gehört nach § 43a Bundesrechtsanwaltsordnung zu den Grundpflichten des Rechtsanwalts. Jedoch: Diese Verschwiegenheitspflicht kennt dort ihre Grenzen, wo ein Versicherer in Vorleistung geht für den Schaden eines Versicherungsnehmers. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs mit Datum vom 13.02. 2020. Der Versicherungsbote stellt das Urteil vor.
Rechtsanwalt wollte Verfahrensstand verschweigen
Um was ging es in dem Rechtsstreit, der sich über drei Instanzen hinzog? Geklagt hatte ein Rechtsschutzversicherer. Dieser übernahm, durch Deckungszusage, einen Prozess aufgrund eines Verkehrsunfalls – Kostenvorschüsse in Höhe von 2.862,26 Euro wurden hierfür gezahlt. Das gesamte Geld schien nicht vonnöten. Überwies doch der Anwalt des Versicherungsnehmers in der Folge 1.309,41 Euro zurück.
Jedoch: Weiteres blieb für den Versicherer im Dunklen. Denn Anfragen des Versicherers hinsichtlich des Verfahrensstands wurden durch den Rechtsanwalt nicht beantwortet. Der Rechtsanwalt wollte sich hierfür auf seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber seinem Mandanten berufen gemäß § 43a Bundesrechtsanwaltsordnung(BRAO).
Der Versicherer freilich konnte sich mit fehlenden Angaben, die seine Vorleistungen und Kosten in dem Prozess betrafen, nicht zufrieden geben. Aus diesem Grund beauftragte der Rechtsschutzversicherer nun seinerseits Anwälte, um vom Anwalt des Versicherungsnehmers Auskunft zu erlangen.
Anwalt erleidet rechtliche Niederlagen durch drei Instanzen
Weil dennoch keine Auskunft durch den Rechtsanwalt in dem KFZ-Verfahren erfolgte, klagte der Versicherer nun letztendlich gegen den Anwalt und eröffnete so ein eigenes Klageverfahren. Diese Klage führte in erster Instanz vor dem Amtsgericht (AG) Berlin-Schöneberg dazu, dass der Anwalt des Versicherungsnehmers nun tatsächlich alle geforderten Auskünfte zum Stand jenes KFZ-Verfahrens gab, für das der Versicherer in Vorleistung ging. Das Klageverfahren gegen den Anwalt zog sich nun aber aufgrund der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hin – denn der Versicherer wollte auch die vorgerichtlichen Kosten für jene Anwälte erstattet haben, die bis zur Klage vor Gericht für den Versicherer tätig wurden. Das Amtsgericht sprach dem Rechtsschutzversicherer die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten auch tatsächlich zu (Az. 2 C 226/17).
Hiergegen ging der verklagte Rechtsanwalt in Berufung vor dem Landgericht (LG) Berlin. In zweiter Instanz war der Verklagte freilich erneut erfolglos – das Landgericht wies die Berufung zurück mit Entscheidung vom 01.04.2019 (Az. 50 S 22/18). Der verklagte Anwalt legte in Folge dieses Berufungsurteils nun Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Und vor dem Bundesgerichtshof besiegelte sich nun – letztinstanzlich – die rechtliche Niederlage des verklagten Anwalts: Die Revision wurde mit Entscheidung vom 13.02.2020 zurückgewiesen (Az. IX ZR 90/19). Demnach ist der Anwalt zur Auskunft gegenüber dem Rechtsschutzversicherer verpflichtet – auch, was den Stand jenes KFZ-Verfahrens betrifft, für das der Versicherer in Vorleistung ging. Zudem trägt der Anwalt die Kosten seines verlorenen Verfahrens gegen den Versicherer und trägt außerdem jene vorgerichtlichen Kosten, die notwendig waren, um seine Auskunft zu erlangen.
Verschwiegenheitspflicht-Entbindung durch „schlüssiges Handeln“
Wie aber begründet sich diese Entscheidung? Wichtig ist: Der Anwalt kann sich deswegen nicht auf die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Bundesrechtsanwaltsordnung berufen, da ihn schon das Handeln seines Mandanten aus dieser Pflicht entlässt. Das trifft zu, sobald der Mandant als Versicherungsnehmer:
- der Kostenübernahme durch den Versicherer zustimmt und er außerdem
- zugleich dem Anwalt die Kommunikation mit dem Rechtsschutzversicherer überlässt.
Denn eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kann durch den Mandanten ausdrücklich erklärt werden, aber grundsätzlich auch durch schlüssiges Handeln erfolgen. Und im verhandelten Fall liegt ein solch schlüssiges Handeln vor – mit dem getroffenen Arrangement. Mehr noch: Nicht nur liegt eine Entbindung aus der Verschwiegenheitspflicht vor. Vielmehr führt die „konkludente“ und damit stillschweigende Handlung dazu, dass der Anwalt nun auch gegenüber dem Versicherer Auskunft geben muss.
Rechtsschutzversicherer steht Ersatzanspruch für Vorleistungen zu
Begründet ist dies durch den Kostenerstattungsanspruch des Mandanten gegen den Prozessgegner, sobald ein Prozess gewonnen wird. Gewinnt der Mandant den Prozess, muss der Prozessgegner für Schäden und Kosten aufkommen. Allerdings ist der Versicherer für Kosten und Schäden seines Versicherungsnehmers in Vorleistung gegangen. Aus diesem Grunde steht dem Versicherer, gemäß § 86 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), ein Ersatzanspruch gegen den Prozessgegner als Dritten zu – der Ersatzanspruch geht in der Folge vom Versicherungsnehmer auf den Versicherer über.
Konkret bedeutet das für den Fall vor dem Bundesgerichtshof: Verliert der Prozessgegner des Versicherungsnehmers den Prozess und muss für Prozesskosten und Schäden des Versicherungsnehmers einstehen, hat der Versicherer einen Anspruch auf Auskehrung der durch den Prozessgegner geleisteten Zahlungen.
Ersatzanspruch begründet Anspruch des Versicherers auf Auskunft
Und aus diesem Grund entsteht für den Versicherer zum einen ein Anspruch auf die Schadenleistungen, die der Prozessgegner an den Versicherungsnehmer möglicherweise – je nach Ausgang des Prozesses – erstatten muss. Zudem entsteht ein damit einhergehender Auskunftsanspruch unter Maßgabe des § 666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der sich aus dem Anwaltsvertrag zwischen Mandant und Anwalt ergibt: Der Beauftrage (der Anwalt) ist eigentlich verpflichtet, dem Auftraggeber (dem Mandanten) über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen. Weil aber der Versicherer in Vorleistung ging für den Schaden, muss nun der Anwalt auch dem Versicherer Auskunft erteilen. Das betrifft alle Informationen, die eine Abrechnung der Vorleistungen und Ersatzansprüche betreffen – wie zum Beispiel Informationen zum Stand bzw. auch Ausgangs des Prozesses und zu den Kosten des Mandats.
Das Gericht stellt aber zugleich heraus: Keineswegs gehen alle Rechte des Mandanten aus dem Anwaltsvertrag auf den Versicherer über. Sondern nur einzelne Auskunftsansprüche sind betroffen – bezüglich der Vorleistungen und der Rückerstattungsansprüche des Versicherers gegenüber Dritten. Das Urteil kann auf der Webseite des Bundesgerichtshofs nachgelesen werden.