Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Widerrufsklauseln in Millionen deutschen Verbraucherdarlehen für intransparent erklärt - und damit für unwirksam. Wer zwischen 2010 und 2016 mit einem solchen Darlehen eine Immobilie oder einen anderen Kauf finanzierte, hat nun gute Chancen den Vertrag zu widerrufen. Ein Gastbeitrag von Martin Stolpe, Fachanwalt für Arbeits- und Versicherungsrecht sowie Gründer der Leipziger Kanzlei Stolpe Rechtsanwälte - Fachanwälte.
Der EuGH hat den Passus einer Widerrufsinformation: „Die Frist beginnt nach Vertragsschluss, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, (...) zum Nettodarlehensbetrag, (...) zur Vertragslaufzeit (...) erhalten hat“ für fehlerhaft gehalten, weil dies entgegen der EU-Richtlinie 2008/48 nicht klar und prägnant sei und damit gegen diese verstoße.
Damit ist auch die vom Bundesjustizministerium entwickelte Musterwiderrufsinformation ein Verstoß gegen die Richtlinie. Die Folge: Alle Verträge mit dieser Formulierung in der Information über das Widerrufsrecht ab dem 11.06.2010 dürften grundsätzlich widerruflich sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte diese Belehrung noch für ausreichend erachtet.
Verträge vor 2010: "Ewiges Widerrufsrecht" gekippt
Für die Verträge, die im Zeitraum vom 02.11.2002 bis zum 10.06.2010 geschlossen wurden, endet das „ewige Widerrufsrecht“ (bei grundpfandrechtlich gesicherten Verbraucherdarlehen) mit Ablauf des 21.06.2016 wegen des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Der Widerruf musste also bis 21.6.2016 erklärt werden.
Doch bei Vertragsschluss nach dem 10.06.2010 und bis zum 20.03.2016 greift die Gesetzesreform nicht; es gilt weiterhin das „ewige Widerrufsrecht“. Deshalb können diese Verträge auch nach dem 21.06.2016 noch widerrufen werden. Bei Vertragsschluss ab dem 21.03.2016 erlischt das Widerrufsrecht ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss (§ 356b Abs. 2 S. 4 BGB n.F.).
Fragen ungeklärt
Zahlreiche Folgeprobleme werden sich nunmehr (erneut) an das Urteil des Europäischen Gerichtshofes anschließen, so die Frage der Verjährung und Verwirkung der Rückabwicklungsansprüche sowie die Frage, ob weiterhin nach BGH-Rechtsprechung eine Belehrung als richtig gilt, wenn sie unverändert das gesetzliche Muster verwendet.
In der Zeit vom 11.06.2010 bis 29.07.2010 gab es kein gesetzliches Muster, an dem sich Banken und Sparkassen orientieren konnten. Mit Beschluss vom 19.03.2019 (Aktenzeichen: XI ZR 44/18) hat der BGH nunmehr klargestellt, dass für Darlehensverträge die Widerrufsfrist bereits 6 Monate nach Vertragsschluss - und damit spätestens am 29.01.2011 - endete.
Mit Geltung vom 30.07.2010 wurde ein gesetzliches "Muster für eine Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge" in Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB eingeführt.